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Fritz Felgentreu
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Frage von Michael N. •

Frage an Fritz Felgentreu von Michael N. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Dr. Felgentreu.

es ist gewissermaßen die Erweiterung der Frage von Herrn Fliß vom 07.11.2019. Es heißt ja immer, für die Rente soll man/frau selber vorsorgen. Gerne, sofern das Einkommen während der Arbeitszeit dazu reicht. Nur kommt jetzt unser Finanzminister, der ja auch Ihrer Partei angehört, mit der Idee einer Finanztransaktionssteuer um die Ecke. Das Ziel dieser Idee - die Grundrente ist ja zu befürworten und dagegen ist ja noch nichts einzuwenden. Nur: Warum werden u.a. der Hochfrequenzhandel und andere hochspekulative Geschäfte davon ausgenommen?

Ich zitiere mal aus dem Tagesspiegel vom 10.12.2019, da mir die dort aufgeführte Aussage von H. Hofreiter aus dem Herzen spricht:

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von "Etikettenschwindel". Scholz habe es geschafft, "eine Steuer zu erschaffen, die das Ziel verfehlt und noch dazu eine soziale Schieflage hat. Die Lehre aus der Finanzkrise 2008 war, dass man hochgefährlichen Handel besteuert und langfristige Anlagen schützt. Herr Scholz macht das glatte Gegenteil: Großanleger, die viel in kurzer Zeit verschieben, werden verschont. Wer langfristig Aktien anlegt, das sind unter anderem Kleinanleger, wird besteuert."
D.h., wenn ich aus der Dividende meiner Belegschaftsaktien den Bestand ein klein wenig aufstocken möchte, werde ich erstmal zur Kasse gebeten. Und sollte ich das (theoretische) Glück haben, dass meine Erträge den Freibetrag übersteigen, werde ich erneut zur Kasse gebeten.

Auch im heutigen Tagesspiegel (10.01.2020) ist ein Artikel über dieses Thema abgedruckt. (Wirtschaftsseite, Titel: Gutachten zur Aktiensteuer von Olaf Scholz von 11:43 Uhr)
Ein anderer Irrsinn vom gleichen Urheber ist die Kassenbonpflicht. Auch hier gilt: Die Idee dahinter ist verständlich. Nur wie viele Bäume müssen gerodet werden und wie viele Tonnen (noch schädlicher) Chemie werden für die nicht genutzten Bons ge- bzw. verbraucht?

MfG Michael Neuhauß

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Neuhauß,

vielen Dank, dass Sie die Initiative ergriffen und mit Ihrem Abgeordneten Kontakt aufgenommen haben. Bitte verzeihen Sie meine späte Antwort.
Finanzprodukte werden heute weltweit gehandelt und die verschiedenen regionalen Finanzmärkte sind eng miteinander verflochten. Ein Nebeneinander verschiedener nationaler Regelungen begünstigt jedoch die Entstehung von Steuerschlupflöchern sowie ungewollte Ausweichreaktionen und behindert die grenzüberschreitende Integration der Kapitalmärkte („Kapitalmarktunion“).

Die Finanztransaktionssteuer (FTT) soll für eine faire Besteuerung des Finanzsektors sorgen und dazu beitragen, dass sich alle Teile der Wirtschaft angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligen. Bislang unterliegen Finanzdienstleistungen – anders als sonstige Güter und Dienstleistungen – ganz überwiegend nicht der Umsatzsteuer. Dies führt dazu, dass für den Finanzsektor im Unterschied zu den meisten Sektoren der Realwirtschaft, etwa dem Einzelhandel, keine durchgängige allgemeine Verbrauchsteuer oder eine besondere Verkehrsteuer greift. Auf dieses grundlegende strukturelle Problem weisen auch europäische und internationale Organisationen wie die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds hin. Im Koalitionsvertrag ist daher vereinbart, dass die Bundesregierung zum Ziel hat, die Finanztransaktionssteuer im „europäischen Kontext“ einzuführen. Die Finanzminister von 9 Mitgliedstaaten der EU (Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien) haben sich darauf verständigt, eine Finanztransaktionssteuer im Rahmen einer sog. „Verstärkten Zusammenarbeit“ einführen zu wollen.

Demnach wird die FTT auf den Erwerb von Aktien von börsennotierten Unternehmen erhoben werden, die ihren Hauptsitz im Inland haben. Dabei werden nur Unternehmen einbezogen, deren Marktkapitalisierung am 1. Dezember des vorangegangenen Jahres 1 Mrd. Euro übersteigt. Der Steuersatz soll bei 0,2 Prozent liegen. Grundsätzlich zahlen alle die FTT, die Aktien von börsennotierten Unternehmen erwerben, welche ihren Sitz im Inland haben. In der Praxis aber wird die Steuer insbesondere von Banken, Finanzdienstleistern und anderen institutionellen Anlegern gezahlt werden. Die Behauptung, dass die Steuer in erster Linie einkommensschwache Kleinanleger trifft, ist falsch.

Denn nicht der Aktienbesitz wird besteuert, sondern der Aktienhandel. Kleinanleger sind keine Aktienhändler und auch keine Spekulanten. Menschen, die für ihr Alter vorsorgen, sind an langfristigen Anlagen interessiert, nicht an kurzfristigen Kursgewinnen. Sie sparen langfristig, kaufen die Aktien und lassen sie dann über einen längeren Zeitraum im Depot liegen. Die Steuer wird nur einmal beim Kauf der Aktie fällig. Durchschnittliche Privatanleger zahlen also weitaus weniger Steuer als solche, die auf kurzfristige Kursgewinne spekulieren und eine Vielzahl von Transaktionen in kurzer Zeit durchführen. Auch der niedrige Steuersatz in Höhe von 0,2 % hält die Kosten für Privatanleger in engen Grenzen. Es sind deshalb auch keine nennenswerten Auswirkungen auf das Anlage- und Sparverhalten zu erwarten. Ein Blick nach Frankreich oder Großbritannien, also Länder in denen Finanztransaktionen bereits besteuert werden, zeigt, dass die Steuer keine nennenswerten negativen Effekte auf das Sparen in Aktien haben dürfte.

Auch wenn eine umfassendere Besteuerung unter Einbeziehung von Derivaten und anderen Finanzprodukten vielfach aus guten Gründen für zweckmäßiger gehalten wird, ist diese derzeit weder europäisch noch international durchsetzbar. Daher wäre diese Lösung ein erster Schritt, der eine weiter reichende Finanztransaktionssteuer jedoch nicht ausschließt. Eine umfassendere Besteuerung, die damit auch stärker gegen Spekulation wirken würde, kann nur international abgestimmt geschehen. Finanzhändler können ansonsten sehr leicht die Handelsplätze, an denen sie handeln, wechseln. Eine breit angelegte FTT war aber derzeit nicht durchsetzbar, weder auf G20- noch auf EU-Ebene. Bei einer isolierten Einführung einer breiten FTT nur in Deutschland wären starke Ausweichreaktionen zu erwarten. Die Auswirkungen wären nicht nur für den Finanzstandort Deutschland und die deutsche Volkswirtschaft insgesamt nachteilig, sondern es wären auch nur geringe Mehreinnahmen zu erzielen.
All dies zeigt: Die FTT ist maßvoll ausgestaltet. Die zusätzlichen Kosten für Privatanleger sind sehr begrenzt. Bei der gegenwärtig diskutierten Ausgestaltung wird es daher nicht zu nennenswerten negativen Folgen auf das Anlage- und Sparverhalten kommen. Zusätzlich rechnen wir für Deutschland mit jährlichen Steuereinnahmen von rund 1,5 Mrd. Euro. Einen erheblichen Teil dieser Einnahmen werden wir für die Finanzierung der Grundrente verwenden.

In Bezug auf die sogenannte „Kassenbonpflicht“: Dem Staat, also allen Bürgerinnen und Bürgern, gehen durch Steuerbetrug mit manipulierten Kassen jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge verloren. Steuern werden hinterzogen, indem die Umsätze nach unten manipuliert werden. Daneben können manipulierte Kassen auch zur Geldwäsche verwendet werden: Umsätze werden künstlich erhöht, um Geld zu waschen. Dreh- und Angelpunkt des Betrugs sind die manipulierbaren Kassen. Deshalb haben wir im Dezember 2016 das Kassen-Betrugs-Bekämpfungs-Gesetz beschlossen. Offiziell heißt es: "Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen". Demnach sind Händler ab dem 1. Januar 2020 u.a. verpflichtet, ihren Kunden einen Beleg auszustellen, wenn sie über eine elektronische Registrierkasse verfügen.

Drei Jahre nach Beschluss des Gesetzes sehen wir nun, dass sich die Wirtschaft nicht auf den Wandel vorbereitet hat. Die allgegenwärtigen Bon-Müllberge sind die Folge. Dabei wird oft unterschlagen, dass die Erstellung des Belegs auch in elektronischer Form erfolgen kann. Hier ist die Wirtschaft gefragt, praxistaugliche Lösungen zu entwickeln. Das hat sie drei Jahre verschlafen und versucht die eigene Untätigkeit mit Kritik an dem nachvollziehbaren Gesetz der Bundesregierung zu kaschieren. Es gibt bereits erste App-Lösungen, die eine Übertragung des Kassenbons per Nahfeldkommunikation (NFC) auf das Handy des Kunden ermöglichen. Bis dahin muss kein mit schädlichem Bisphenol A (BPA) beschichtetes Papier verwendet werden, denn es gibt schon BPA-freies Thermopapier.
Insgesamt sind die Finanztransaktionssteuer und die Belegausgabepflicht weitere Bausteine unserer Maßnahmen für ein faires Steuersystem, mit dem wir zentrale Vorhaben für mehr soziale Gerechtigkeit in unserem Land finanzieren.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Fritz Felgentreu