Sehr geehrter Frau Röpcke, wie wollen die Grünen die steuerfinanzierten Kosten der Überproduktion von Solarstrom verhindern/stoppen?
Am Mi. 19.09.24 lief in der ARD Plusminus. Hier der Link :
https://www.ardmediathek.de/video/plusminus/plusminus-vom-18-september-2024/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3BsdXNtaW51cy8yMDI0LTA5LTE4XzIxLTQ1LU1FU1o
Wenn dem so ist, wundert es mich nicht, wenn die AFD bald das Sagen hat. Wie kann die Politik so einen Wahnsinn zulassen? Anlagen werden gefördert und beworben, die wichtigeren Speicher jedoch nicht? Überkapazitäten müssen steuerfinanziert(!) abgegeben werden.
Bitte ändern Sie diesen Irrsinn, damit ich meinen Glauben an eine vernünftige, sachorientierte Politik nicht verliere. Ich werde sicher nicht zur AFD wechseln, aber über "ungültig" wählen habe ich schon nachgedacht.
Mit hoffnungsvollen Grüßen,
Sebastian L.
Sehr geehrter Herr L.,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich antworte Ihnen aus der Landespolitik zu einem bundespolitischen Thema, denken Sie dies bitte immer mit. Ich spreche nicht für die Bundesregierung oder die Bundestagsfraktion.
Die Antwort auf Ihre Anfrage hat zwei Teile, denn der Plusminus-Beitrag vermischt zwei Sachen: Negative Strompreise und Überschussstrom. Negative Strompreise sind in der Tat ein dringendes Problem. Die Ursachen sind einerseits kleine PV-Anlagen auf Dächern sind, die anders als größere Solaranlagen, Windanlagen oder andere erneuerbare Stromerzeuger nicht abgeregelt werden und selbst dann weiterproduzieren, wenn die Netze voll sind. Aber das eigentliche Kernproblem sind fehlende oder falsche Marktsignale – dazu später mehr.
Zunächst zum Überschussstrom: Abregelungen wird es auch in einem optimalen System immer bis zu einem gewissen Grad geben, auch wenn wir sie möglichst minimieren wollen, weil es viel zu teuer wäre, jede kWh wegzuspeichern – genauso wie es im alten Energiesystem ja auch nicht sinnvoll war, alle fossilen Kraftwerke durchlaufen zu lassen (selbst wenn sie keine Brennstoffkosten gehabt hätten). Abregelungen sind also nur dann ein Problem, wenn sie exzessiv werden – oder wenn Abregelungen bei anderen Anlagen die mangelnden Abregelungen bei Kleinanlagen ausgleichen müssen ( negative Strompreise). Diesbezüglich haben wir vieles erreicht:
- Wir haben den Netzausbau mit Entbürokratisierung und Vereinfachung von Planungen und Genehmigungen auf ein Vielfaches beschleunigt
- Wir haben die Bedingungen für “Nutzen statt Abschalten“ deutlich verbessert, auch wenn die Reform aus unserer Sicht noch verbessert werden könnte. Bei „Nutzen statt Abschalten“ geht es darum, Überschussstrom von Steuern und Abgaben zu befreien, wenn dieser so einer Verwertung zugeführt werden kann, was in der Regel durch die Zuschaltung neuer Verbraucher passiert (z.B. Power to Heat, oder auch Wasserstoffelektrolyse).
- Heimspeicher werden bereits gefördert und boomen. Auch für Großspeicher habe wir finanzielle Anreize geschaffen (Befreiung von Netzentgelten) und erleichtern die Planung und Genehmigung. Wir versuchen ferner, dafür zu sorgen, dass diese schneller von den Netzbetreibern ans Netz genommen werden, was aktuell der Engpass ist (Investitionsinteresse ist da), zum Teil gibt es hier noch rechtliche Probleme. Grundsätzlich ist hier aber schon vieles auf den Weg gebracht und braucht nur Zeit, um zu wirken. Damit die Großspeicher sinnvoll ins System eingebunden werden, bräuchte es aber noch eine regionale Differenzierung beim Strompreis (siehe unten).
- Ein unterstützenswerter Ansatz, an dem wir dran sind, ist den gemeinsamen Anschluss von unterschiedlichen Erzeugern und die „Überbauung“ von Netzanschlusspunkten zuzulassen, wobei die einzelnen Anlagen weniger stark ausgelastet werden, dafür aber sehr viel gleichmäßiger Strom ins Netz eingespeist werden kann. In diesem Zusammenhang würden sich neue Anreize für Speicher und andere Flexibilitätsoptionen ergeben und der Netzausbau wird entlastet. Aktuell müssen Netze immer für die maximale Erzeugungsleistung gebaut werden, was energiewirtschaftlich nicht sinnvoll ist.
Das eigentliche Problem sind nicht mangelnde Speicher, sondern dass der Strommarkt zu wenig Anreize für ein systemdienliches Verhalten von Speichern, Verbrauchern und Erzeugungsanlagen liefert. Ein Speicher, der sich nicht an den Bedürfnissen des Marktes orientiert, fängt die Solarspitzen im Gesamtnetz nicht auf und hilft nicht gegen negative Strompreise, und spart auch keinen Netzausbau. Das gilt z.B. für die Heimspeicher, die aktuell in der Regel zur Optimierung des Eigenverbrauchs betrieben werden, anstatt die Mittagsspitze wegzuspeichern –dafür fehlen die Anreize. Großspeicher sind tendenziell schon jetzt hilfreicher (zu den Problemen und Lösungen hier, siehe oben). Vor allem mangelt es daran, dass das System die zeitlich variablen Preise noch nicht genug abbildet. Wir haben in Deutschland aktuell noch ein Energiemarktsystem, dass an einer mehrheitlich unflexiblen fossilen oder nuklearen Erzeugung ausgerichtet war und zum Teil unflexibles Verhalten belohnt. Wir setzen uns für ein neues Strommarktdesign mit flexiblen Preisen ein, damit Stromkunden von billigem Strom profitieren können, und so die Nachfrage erhöhen, was die Systemverzerrungen ausgleichen würde. Das ist politisch nicht leicht, weil das für bedeutende Akteure bedeutet, dass sie ihre Geschäftsmodelle umstellen müssen, ist aber unausweichlich.
Einige Dinge haben wir hier schon erreichen können:
- Das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende, mit dem wir den Smart Meter-Ausbau ins Rollen bringen – das braucht aber eine Weile, um zu wirken
- Ab 2025 ist zudem jeder Stromanbieter verpflichtet, flexible Stromtarife anzubieten, es gibt bereits eine Vielzahl an Angeboten
Daran arbeiten wir mit Hochdruck:
- Wir setzen uns für eine Flexibilisierung der 7000 Stunden-Regel ein, die aktuell Großverbrauchern Netzentgelte erlässt, wenn sie möglichst gleichmäßig Strom verbrauchen – obwohl wir ja im Gegenteil eine flexible Nachfrage fördern müssen. Hier gibt es allerdings noch deutliche Widerstände. Die zeitlich starren Netzentgelte sollten zudem grundsätzlich flexibilisiert werden.
- Wir brauchen ein neues Strommarktdesign, dass Angebot und Nachfrage besser abstimmt und zeitliche Flexibilitäten anreizt und aus fachlicher Sicht auch regional differenziert (letzteres wird aber in den südlichen Bundesländern aus regionalen Interessen heraus ganz anders gesehen). Das BMWK führt zu diesen Themen einen ergebnisoffenen Dialogprozess mit den unterschiedlichen betroffenen Akteuren, denn so tiefgreifende Reformen kann man nur mit breiter Akzeptanz umsetzen. Das ist ein sehr dickes Brett, dass wir seit Beginn der Legislatur am Bohren sind.
Es kann sein, dass zur Abmilderung negativer Strompreise weitergehende Maßnahmen nötig werden, z.B. dass
- neue EEG-geförderte klein-Solaranlagen auf Dächern wieder ihre maximale Wirkleistungseinspeisung begrenzen oder alternativ eine Fernabschaltungseinrichtung einbauen müssen
- die Einspeisevergütung für neue Anlagen reformiert wird (z.B. durch eine Ausweitung der Direktvermarktungspflicht. Es werden auch grundlegendere Reformansätze diskutiert, z.B. die Umstellung auf eine Mengenförderung, damit die bereits existierenden Strafzahlungen bei negativen Strompreisen die Anlagenbetreiber besser dazu anreizen, ihre Einspeisung zu flexibilisieren, oder eine Kopplung der Vergütung an negative Strompreise.)
Wenn Sie selbst etwas tun wollen, um Ihren Geldbeutel zu entlasten, und das Problem der negativen Strompreise abzumildern, können Sie zu einem Anbieter von flexiblen Strompreisen wechseln. Einige Anbieter sind z.B.: 1Komma5°, Awattar, E.ON, Entega, EWE, Gasag, GP JOULE, Lichtblick, LUOX Energy, Naturstrom, Octopus Energy, Ostrom, Polarstern, Rabot Charge. Stromee, Tibber, Vattenfall, VoltegoYippie
Mit freundlichen Grüßen
Uta Röpcke
PS: Der Plusminus Beitrag spricht auch über Kosten, auf eine recht seltsame Art und Weise. Dazu der folgende Absatz, den ich jetzt erstmal nicht einfügen würde, unter anderem, weil er kommunikativ glaube ich eher hinderlich ist:
Die Kosten durch fehlende Abregelungen von Solaranlagen dürften in diesem Jahr eher bei ca. 200 Mio. € liegen, nicht bei 10 Mrd. € wie der Plusminus-Beitrag insinuiert - immer noch ein zu hoher Betrag, auch wenn er im Kontext von Umsätzen gesehen werden muss, die auf dem deutschen Energiemarkt im Bereich von hunderten Milliarden Euro liegen. Trotzdem ist das in dem Plusminus-Beitrag angesprochene Problem der negativen Strompreise sehr ernst und aktuell das drängendste Problem der Energiewende im Stromsektor. Bei der Angabe von vermeintlichen Mehrkosten wird zudem gerne ignoriert, dass Erneuerbare Energien die Strommarktpreise generell senken, was bei kleinen Anlagen außerhalb der Direktvermarktung durch das Design der Einspeisevergütung noch einmal verstärkt wird, wobei dies in letzterem Fall zu einer gleichermaßen höheren EEG-Umlage bzw. Steuerfinanzierung führt. Oft werden daher Zahlen genannt, die nicht die reale Kostenentwicklung der Energiewende widerspiegeln.