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Rita Hagl-Kehl
SPD
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Frage von Walter S. •

Frage an Rita Hagl-Kehl von Walter S.

Sehr geehrte Frau Kehl,

wie stehen Sie dazu?: Für den Wahlkampf sollte allen berechtigten Parteien das gleiche Budget für den Wahlkampf zu Verfügung stehen, aus Steuermitteln finanziert. Alle weiteren Spenden sind nicht überprüfbar, insbesondere die von großen Interessenverbänden oder reichen Unternehmen/Privatpersonen. Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen verantwortlich- da müssen wir wieder hin! Wenn ich sehe, dass allein Großspenden innerhalb eines Halbjahres in Höhe von Euro 1,3 Millionen an die FDP gingen, dann kann ich Ihnen jetzt schon prophezeien, dass bei der Bundestagswahl die FDP, als ein Vertreter des absoluten Kapitalismus, der Unternehmer und Privatbonzen die nächste Politik mit den Schwarzen bestimmen wird.!
Die Zusatzeinkünfte von Abgeordneten sind genauso pervers und stellen diesen letztlich als "Hobbypolitiker" dar mit hohem Verdienst und kostenloser Altersversorgung.. Der Mann, die Frau weiß doch garnicht, was beim einfachen Bürger abläuft! Meine Forderung: Jeder Abgeordnete erhält sein Gehalt mit Zulagen, muss für seine Altersvorsorge n selbst bezahlen. Alle weiteren Einkünfte mindern sein Abgeordnetengehalt bis gegen Null! - Nur so sind Abgeordnete glaubwürdig - jeder Bürger ist doch nur noch frustriert ob der Unverfrorenheit der Politiker!

MfG W. S.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Frage. Wie wohl die meisten Menschen, die kritisch sind und sich eine gut funktionierende Demokratie wünschen, kann ich Ihre Forderung gut nachvollziehen: Auch ich bin unzufrieden damit, auf welchen Wege Parteien sich bei uns finanzieren (müssen) und auch ich denke, dass einem Parlamentarier hohe Nebeneinkünfte, z.B. in Form von Gehaltszahlungen eines Privatunternehmens, nicht gut zu Gesicht stehen. Ihre Lösungsvorschläge sind meines Erachtens aber zu kurz gedacht.

Um mehr Chancengleichheit bei Wahlkämpfen zu erreichen, fordern Sie, die Möglichkeit abzuschaffen, Parteien Geld zu spenden (was übrigens jedes Parteimitglied regelmäßig in Form seiner Mitgliedsbeiträge tut). Stattdessen sollen die Parteien für den Wahlkampf ausschließlich Steuermittel erhalten – und alle Parteien genau gleich viel.
Sehr geehrter Herr S., halten Sie sich vor Augen, dass zur Bundestagswahl 2017 sage und schreibe 48 Parteien zugelassen sind. Darunter sind zahlreiche Kleinstparteien, die sehr spezielle Interessen vertreten. Dazu zählen auch Parteien mit weniger als 300 Mitgliedern und Parteien, die in zurückliegenden Wahlen bundesweit weniger als 5.000 Stimmen erhalten haben. Das sind weniger als 0,01 % aller abgegebenen Stimmen. Eine solche Partei müsste ihr Ergebnis um 50.000 Prozent steigern, um in den Bundestag einzuziehen!
Ich halte deshalb den Vorschlag für groben Unfug, solchen Parteien dieselben Mittel zur Verfügung zu stellen, wie den Parteien, die zehntausende Mitglieder haben (SPD und CDU jeweils ca. 430.000, LINKE, GRÜNE und FDP jeweils über 50.000) und von mehreren Millionen Bürgerinnen und Bürgern bei den zurückliegenden Wahlen gewählt wurden. Aus meiner Sicht wäre die Erfüllung Ihrer Forderung eine horrende Verschwendung von Steuergeld! In unserer Demokratie haben Parteien die Aufgabe, zur politischen Willensbildung beizutragen (Artikel 21 GG). Diese Aufgabe erfüllen sie, indem ihre Mitglieder Probleme erkennen und aufgreifen, Lösungen diskutieren, Interessen bündeln und gesellschaftliche Debatten über die Ziele und Wege der Politik führen. Abhängig von ihrer Größe können die Parteien diesen grundgesetzlichen Auftrag in unterschiedlicher Intensität erfüllen. Nach jetziger Rechtslage gilt bei uns die Logik: ERST muss eine Partei die Zustimmung der Wähler erhalten, DANACH erhält sie entsprechend ihres Stimmenanteils Geld aus Steuermitteln – nicht andersherum. Diese Finanzierungslogik fördert in einem gewissen Maße parlamentarische Kontinuität, da haben Sie Recht. Sie ist aber auch eine Lehre aus Weimar, mit der wir seit 1949 gut gefahren sind. Wenn die jetzige Regelung dazu führen würde, dass aus gesellschaftlichen Strömungen keine neuen Parteien entstünden und diese nicht in Parlamente gewählt würden, würde ich Ihnen Recht geben. Das Gegenteil ist aber der Fall: Die Grünen, die Linken und wohl leider bald auch die AfD sind auf Bundesebene die jüngsten Beispiele dafür (die NPD hatte es mit 4,3 % in den 60er Jahren übrigens auch einmal fast in den Bundestag geschafft).
Da Sie offenbar Mitglied der Piratenpartei sind, lassen Sie es mich aber auch noch einmal anders formulieren: Ich glaube nicht, dass die Ursache dafür, dass die Piraten inzwischen aus allen vier Landesparlamenten von den Bürgerinnen und Bürgern wieder herausgewählt worden sind, darin liegt, dass sie zu wenig Steuergeld für ihren Wahlkampf bekommen haben (zumal sie nach Einzug in die Parlamente ja gerade mehr Steuermittel für den Wahlkampf zu Verfügung hatten als zuvor).
Eine wirksame Verbesserung beim Thema Parteienfinanzierung sieht meines Erachtens anders aus: Erstens müssen wir die Höhe von Einzelspenden begrenzen: Maximal 100.000 Euro fordern wir in unserem Wahlprogramm, aus meiner Sicht wären 50.000 oder 30.000 auch schon mehr als genug. Zweitens muss das Sponsoring endlich so geregelt werden, dass alle Parteien genau Rechenschaft darüber ablegen müssen, wer sie (auch jenseits von Spenden) finanziell unterstützt. Auch das steht in unserem Wahlprogramm. Auch das könnten wir in der nächsten Wahlperiode umsetzen.

Beim Thema Nebeneinkünfte fordern Sie de facto ein Berufsverbot für Parlamentarier außerhalb des Parlaments. Ich bin der Meinung, dass Politik kein Beruf sein sollte. Es tut es unserer Demokratie gut, dass in den Parlamenten heute fast ausnahmslos Menschen sitzen, die vor ihrem Mandat einen ganz normalen Beruf hatten. Ich selbst z.B. war ausgebildete Damenschneiderin und bin nach Abendschule und Studium heute Gymnasiallehrerin (seit der Wahl in den Bundestag selbstverständlich beurlaubt und ohne Bezüge). Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt: Der Abhängigkeit unverdächtig würde ich doch gerade denjenigen Mandatsträger bezeichnen, der nicht existentiell auf seine Abgeordnetenentschädigung angewiesen ist und der zumindest nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament wieder in seinen normalen Beruf zurückkehren kann. Bei solchen Personen ist die Wahrscheinlichkeit doch gerade besonders gering, dass sie aus finanziellen Gründen an einem Mandat kleben.
Da wir zum Glück inzwischen eine Regelung haben, die die Bundestagsabgeordneten zwingt, ihre Nebeneinkünfte zu veröffentlichen, sind es bei diesem Thema heute die Wählerinnen und Wähler, die die Wahl haben: Als Wählerin wundert mich, wie man Kandidaten seine Stimme geben kann, die für einen politischen Wirtschaftsverband arbeiten oder hunderttausende im Jahr mit Beraterleistungen verdienen. Ich will doch, dass mein Abgeordneter mich in Berlin vertritt und nicht womöglich die Interessen Dritter: www.faz.net/aktuell/politik/inland/die-hoechsten-nebeneinkuenfte-der-bundestagsabgeordneten-15133338.html

Ich hoffe meine Ausführungen konnten ein bisschen zur Debatte um die beiden Themen beitragen und mögliche Lösungen aufzeigen.

Mit freundlichen Grüßen
Rita Hagl-Kehl

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