Kann man nicht bei der Beschulung Behinderter sinnvoll Geld sparen und zugleich Diskriminierung abbauen?
Sehr geehrte Frau Schmidt,
als Mutter von drei behinderten Kindern (17,18,21), habe ich festgestellt, dass die Beschulung meiner Kinder mit enormem bürokratischem Aufwand verbunden ist, da Schule für Behinderte Sozialleistung ist. Das Schlimmste ist, dass ich jedes Jahr 3 zusätzliche Einkommenserklärungen abzugeben habe, ich muss SchülerbaföG beantragen (nochmal 3 zusätzliche Einkommenserklärungen), das dann aus einer Staatskasse in die andere fließt, dazu kommen ständige ärztliche Gutachten, etcetcetc. Für ein Grundrecht.
Wäre es nicht einfacher, die Beschulung Behinderter gleich dem Schulamt, damit dem Gutachten der Schulärzte und Schulen zu überlassen, die wenigstens fachlich qualifiziert sind? Es würde in jedem Landkreis mindestens 1-2 Stellen und tonnenweise Papier einsparen, und den Eltern jede Menge Zeit und Nerven, die in der Pflege besser aufgehoben sind. Was halten Sie von dieser Idee? Können Sie sich vorstellen, sich im Bundestag dafür einzusetzen?
MfG, Antje B.
Sehr geehrte Frau B.,
danke, dass Sie Ihre Erfahrungen so klar schildern. Wie Sie sicherlich wissen, bin ich auch Mutter eines Sohnes mit Trisomie 21. Ich kann daher sehr gut nachvollziehen, wie zermürbend es ist, wenn man für ein Grundrecht auf Bildung Jahr für Jahr neue Anträge, Einkommensnachweise und Gutachten einreichen muss – gerade, wenn ohnehin viel Pflege- und Organisationsarbeit an Ihnen hängt.
Dennoch muss ich kurz auf die Zuständigkeiten in der Bildungspolitik kommen: Schule ist in Deutschland Aufgabe der Länder. Schulart, Förderbedarf, Beschulung und der schulärztliche Dienst liegen bei Schulämtern bzw. Schulbehörden im Land, oft mit Beteiligung der Kommunen als Schulträger. Viele Unterstützungsleistungen für Kinder mit Behinderung im Schulalltag – etwa Schulbegleitung, Assistenz, Fahrdienst, Hilfsmittel – sind rechtlich „Leistungen zur Teilhabe“ nach dem Sozialrecht (Eingliederungshilfe) und werden in der Regel von kreisfreien Städten und Landkreisen bzw. Bezirken bewilligt. Hinzu kommt Schüler-BAföG. Das ist Bundesrecht, wird aber von Landesämtern vollzogen und ist einkommensabhängig. Diese vielen Zuständigkeiten und Ebenen (Länder/Kommunen – Sozialleistung – BAföG) erklärt leider einen Teil des Papierkriegs, den Sie erleben.
Nun aber zu Ihrem Vorschlag. Die Beschulung und die dafür notwendigen Feststellungen stärker beim Schulamt zu bündeln und die Begutachtung an die fachlich zuständigen schulischen Stellen zu knüpfen, geht in die richtige Richtung: Ein Verfahren, eine führende Stelle, eine verlässliche Grundlage – statt paralleler Nachweisschleifen. Genau darauf zielt mein Anspruch und der der SPD-Bundestagsfraktion. Wir wollen das Leben von Familien leichter machen – nicht schwerer. Wer Kinder hat, egal ob mit einer geistigen bzw. körperlichen Einschränkung oder ohne, soll die Zeit mit ihnen verbringen und nicht in Bürokratie untergehen.
Seit ich 2013 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, setze ich mich für drei Dinge ein. Erstens für das Prinzip „einmal prüfen – vielfach nutzen“. Wenn Schulamt und Schule den Förderbedarf festgestellt haben, sollen Sozial- und Förderstellen diese Entscheidung als maßgeblichen Anknüpfungspunkt übernehmen. Dazu braucht es klare Datenwege und eine rechtliche Vorgabe, dass Folgeanträge ohne veränderte Lage nicht jedes Jahr neu komplettiert werden müssen. Dazu hätte es in der vergangenen Wahlperiode einen Schritt in die richtige Richtung bei den familienwirksamen Leistungen gegeben, wenn die Koalition durch den Austritt der FDP nicht zerbrochen wäre. Auch in der jetzigen Regierungskoalition kämpfe ich weiter um diese „Vereinfachung“. Zweitens möchte ich weniger Einkommensbürokratie. Familienleistungen für Bildung und Teilhabe sollen so weit wie möglich pauschaliert und aus Steuern finanziert werden, statt Eltern jährlich durch komplette Einkommenserklärungen zu schicken. Und dort, wo Einkommen doch relevant ist (z. B. beim BAföG), müssen digitale Schnittstellen und das „Once-only“-Prinzip (Daten und Nachweise werden einmal eingereicht und staatliche Stellen greifen auf Antrag dann auf diese zu, ohne dass Sie die Daten nochmals einreichen müssen) gelten. Drittens braucht es mehr Service durch Verfahrenslotsen statt der Ihnen nur zu gut bekannten Aktenlaufzettel. Eine zuständige Stelle in der Schulverwaltung, die das Verfahren steuert, Fristen im Blick behält und mit dem Träger der Eingliederungshilfe abgestimmt handelt. Hier zumindest stehen wir jedoch vor der großen Herausforderung, dass hier keine Zuständigkeit des Bundestages besteht, sondern diese beim Land Hessen liegt.
Weil Bildung Ländersache ist, können wir das im Bundestag nicht allein beschließen. Aber ich bin sehr dafür, Bund-Länder-Vereinbarungen einzufordern und das Bundesrecht zu entbürokratisieren (etwa beim BAföG und im Sozialrecht). Ihre Anregungen nehme ich in jedem Fall mit in die Beratungen der Sozialstaatskommission, die derzeit ihre Arbeit aufgenommen hat. Ebenso werde ich es in Gespräche mit dem zuständigen Landesminister nehmen.
Für den unmittelbaren Alltag empfehle ich Ihnen (falls Sie dies noch nicht genutzt haben) die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) vor Ort. Diese Beratungsstellen unterstützen kostenfrei beim Zusammenstellen der Unterlagen, bei Widersprüchen und oft auch dabei, die Antragswege zwischen Schulamt und Träger der Eingliederungshilfe zu koordinieren. Gern stelle ich auf Wunsch den Kontakt her.
Wenn Sie wünschen, können wir auch jederzeit einen Termin vereinbaren und sprechen gemeinsam über Hürden und Herausforderungen. Dazu würde ich auch die örtliche Landtagsabgeordnete hinzuziehen, da wie bereits angesprochen viele Aspekte das Landesrecht betreffen. Für die Terminabsprache können Sie sich direkt mit meinem Wahlkreisbüro unter dagmar.schmidt@bundestag.de in Verbindung setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Dagmar Schmidt, MdB

