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Volkan Baran
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Frage von Carolin L. •

Sehr geehrter Herr Baran, ich möchte Sie fragen, ob Sie sich gegen die Chatkontrolle einsetzen, also die anlasslose Massenüberwachung privater Nachrichten.

Sehr geehrter Herr Baran,

ich mache mir große Sorgen wegen der Chatkontrolle, über die am 14.10. im Rat der EU abgestimmt werden soll. Diese würde eine anlasslose Massenüberwachung privater Nachrichten bedeuten. Private Inhalte auf den Geräten der Nutzer sollen dabei ohne jeden Anlass gescannt werden. Ein analoger Vergleich: Das ist, als wenn die Post ständig sämtliche Briefe öffnen und kontrollieren würde. Ich finde dieses Vorhaben zutiefst beunruhigend.

Offiziell soll es dabei um Kindesmissbrauch gehen. Aber wer garantiert, dass nicht auch auf politische Inhalte gescannt wird, sexuelle Orientierung, Krankheiten, oder was auch immer eine zukünftige Regierung verdächtig findet?

Insgesamt entsteht so ein Klima der Angst, was insbesondere Menschen betreffen wird, die Opfer von Marginalisierungen sind. Ein freier Diskurs kann so nicht mehr stattfinden.

Bitte setzen Sie sich daher gegen die Chatkontrolle ein.

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Antwort von SPD

Sehr geehrte Frau L.,

vielen Dank für Ihre Nachricht, in der Sie Ihre Sorge in Bezug auf die Chatkontrolle zum Ausdruck bringen.

Ich bin Dortmunder Landtagsabgeordneter, entsprechend ist die Chatkontrolle, die - wie Sie richtig schreiben - auf EU-Ebene beraten wird, zwar ein Thema, das mich interessiert und das ich verfolge, aber es ist keins, bei dem ich mitentscheiden darf. Ich möchte das voranschicken, um keinen falschen Eindruck zu vermitteln.

Zunächst einmal finde ich es wichtig zu betonen, dass der Hintergrund der Chatkontrolle, wie Sie auch schreiben, der Schutz vor Kindermissbrauch, auch im digitalen Raum, ist. Zwei repräsentative Studien aus den vergangenen Jahren kommen zu dem Ergebnis, dass etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste. 

Diese Zahl ist nur bedingt auf heutige Kinder und Jugendliche übertragbar: Zum einen, weil in den Studien kaum Minderjährige befragt wurden. Zum anderen war sexuelle Gewalt mittels digitaler Medien kein Gegenstand älterer Studien.Die Zahlen von angezeigtem Kindesmissbrauch steigen deutlich, was dringenden Handlungsbedarf offenbar, welcher Gestalt ist dabei erstmal offen.

Ich finde das von Ihnen vorgebrachte Argument, welche Möglichkeiten das für zukünftige Regierungen öffnen würde, schwierig, denn wer an der Macht ist, hat ohnehin gesetzgebende Gewalt und kann damit jedes Gesetz ändern. 

Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch müssen, da gebe ich Ihnen recht, verhältnismäßig und angemessen sein und auch besonders die Privatheit und Freiräume von Kindern und Jugendlichen weiterhin schützen, denn sie sind unverzichtbar für die Entwicklung. Aber auch für Erwachsene gilt für mich, dass das digitale Briefgeheimnis nicht leichtfertig gebrochen werden darf, deshalb braucht es klare, rechtsstaatliche Verfahren, die den Datenschutz wahren und nicht alle Bürger:innen unter Generalverdacht stellen.

Das Thema der Chatkontrolle ist schon lange auf dem Tisch. Der Verordnungsvorschlag zur Bekämpfung von Kindermissbrauch ist schon im Mai 2022 veröffentlicht worden und seitdem wird mit ihm gerungen.

Er löste zu Beginn schon heftige Reaktionen und Ablehnung aus, da das Scannen privater Kommunikation und eine Hintertür zur Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorgesehen wurden. 

Der Vorschlag enthält vor allem Risikobewertungs- und -minimierungspflichten für Plattformen bezüglich der Verbreitung von Missbrauchsmaterial und sagt eigentlich kaum etwas darüber aus, wie Kinder im Netz besser geschützt werden könnten. 

Seit über drei Jahren streitet der Rat der EU über die Voraussetzung für eine rechtsicherere Lösung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch online und plant nun im Oktober 2025 ein Mandat im Rahmen des Ministerrats für Justiz und Inneres anzunehmen. 

Ein besonderer Rückschritt für die Grundrechte von Kindern und Internet-Nutzer:innen zeichnet sich dabei insbesondere durch den Kompromissvorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft ab. Dieser würde die hart erkämpften Errungenschaften beim Schutz der Vertraulichkeit von Kommunikation faktisch zunichtemachen. 

Die polnische Ratspräsidentschaft hatte vorgeschlagen, die Durchsuchung von Chatinhalten freiwillig statt verpflichtend zu machen und verschlüsselte Kommunikation auszunehmen. 

Die dänische Präsidentschaft lehnt das ab und führt erneut eine umfassende verpflichtende Chatkontrolle ein. Insbesondere droht, dass Aufdeckungsanordnungen wieder so weit gefasst werden können, dass eine Umgehung von Verschlüsselungstechnologien und ein faktisches Client-Side-Scanning ermöglicht würden. Damit würde die Balance zwischen Kinderschutz und Grundrechtsschutz gefährlich verschoben und das zum Nachteil der Privatsphäre und der Grundrechte aller Bürger:innen.

Anders als im Rat hat das EU-Parlament nach schwierigen Verhandlungen bereits Ende 2023 eine Einigung zwischen den Berichterstattern und Schattenberichterstattern erzielt, die im zuständigen Ausschuss mit großer Mehrheit über Fraktionsgrenzen hinweg angenommen wurde.

Im Vergleich zum Kommissionsvorschlag wurde der Text in ganz wesentlichen Punkten zum Besseren verändert, sodass nun der Fokus auf einer effektiveren Strategie zum Schutz von Kindern im Netz liegt. Gleichzeitig sorgt eine Generalklausel gleich zu Beginn des Vorschlags dafür, dass das EU-Parlament sich gegen Massenüberwachung einsetzt und dem Schutz von Ende-Zu-Ende Verschlüsselung verschreibt. 

Dies wird auch nochmal in den Bestimmungen zur Aufdeckungsanordnung wiederholt. 

Im Einzelnen sind u. a. besondere Risikominimierungsmaßnahmen für Online-Dienste, die sich direkt an Kinder richten, vereinbart worden. Unter dem Stichwort „Sicherheit durch Design“ sollen junge Menschen vor Manipulation geschützt werden, indem Internetdienste und Apps von Grund auf sicher gestaltet sind. So soll die private Kommunikation mit unbekannten Nutzern oder die Anzeige bzw. Freigabe bestimmter Inhalte wie z.B. Nacktheit nur nach vorheriger Bestätigung durch die Nutzerin oder den Nutzer möglich sein. 

Maßnahmen zur Altersverifizierung sollen grundsätzlich freiwillig sein, außer für Online-Dienste zur Verbreitung pornografischer Inhalte. Zur Verhinderung von Grooming sollen die Dienste eine Moderation durch einen Menschen von öffentlich zugänglichen Chats mit hohem Risiko des sexuellen Kindesmissbrauchs etablieren. 

Sollten diese präventiven Maßnahmen nicht ausreichen, können ausschließlich Justizbehörden als letztes Mittel Aufdeckungsanordnungen erlassen, die jedoch in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt und gezielt sein müssten: Zum einen sollen sie sich nur auf individuelle Nutzer oder eine spezifische Nutzergruppe beziehen dürfen, bei denen begründete Verdachtsmomente auf eine (auch indirekte) Verbindung zu Missbrauchsmaterial hindeuten. 

Kommunikationsinhalte, die der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unterliegen, sollen von Aufdeckungsanordnungen und Technologien zur Umsetzung von Aufdeckungsanordnungen ausgenommen werden. Zum anderen sollen die Aufdeckungsanordnungen auf bekanntes und neues Missbrauchsmaterial beschränkt bleiben. Aufgrund der hohen Fehlerquote von Aufdeckungstechnologien für Grooming in Textnachrichten soll dies vorerst nicht Gegenstand der Aufdeckungsanordnungen werden, wobei eine Überprüfungsklausel vereinbart wurde, wonach die Kommission nach drei Jahren einen Bericht und ggf. einen neuen Vorschlag zum Aufspüren von Grooming vorlegen kann.

Damit im Internet kein Kindesmissbrauchsmaterial mehr zirkulieren kann, soll das neue EU-Zentrum für den Schutz von Kindern proaktiv öffentlich zugängliche Internetinhalte automatisch nach bekanntem CSAM durchsuchen. Dieses sog. Crawling kann auch im Darknet verwendet werden und ist somit effektiver als Überwachungsmaßnahmen durch private Diensteanbieter.

Ähnlich wie auch im DSA müssen Diensteanbieter gemeldetes Kindesmissbrauchsmaterial entfernen. Strafverfolgungsbehörden trifft auch eine Meldepflicht, sodass sie sich an die Provider wenden müssen, wenn sie Kindesmissbrauchsmaterial finden. Dies ist eine Reaktion auf die Versäumnisse im Zusammenhang mit Darknet Plattformen wie „Boystown“ wo Kindesmissbrauchsmaterial trotz Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden und Europol weiterhin online geblieben ist. 

Darüber hinaus braucht es keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Kommunikations- und Inhaltsdaten. Sie stellt alle Bürger:innen unter Generalverdacht und missachtet Grundrechte. 

Dank des Einsatzes von S&D sind sog. Blocking Orders nicht mehr verpflichtend und nur noch als Ultima Ratio einsatzbar und an strenge Voraussetzungen geknüpft, sodass legale Inhalte nicht betroffen sein dürfen. 

Privatsphäre und Datenschutz sind nicht verhandelbare Grundrechte unserer Gesellschaft. Sie bilden das Fundament einer freien und demokratischen Ordnung. Wenn wir diese Rechte aushöhlen, gefährden wir nicht nur die Privatsphäre der Bürger, sondern auch das Vertrauen in unsere Institutionen.

Zudem ist Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eine unverzichtbare Maßnahme für die Cybersicherheit. Sie schützt nicht nur die Kommunikation vor unberechtigten Eingriffen und Missbrauch, sondern auch Unternehmen und kritische Infrastrukturen. Diese Verschlüsselungstechnologie darf nicht geschwächt werden, sondern muss gestärkt werden, um die Vertraulichkeit der Kommunikation und die Sicherheit im Netz zu gewährleisten.

Mittlerweile ist die Abstimmung zwar verschoben worden, doch selbst wenn es eines Tages zu einer Mehrheit für eine Ratsposition kommt, ist das nicht das Ende der Debatte, sondern Beginn von Verhandlungen zwischen Rat, Parlament unter der Vermittlung der Kommission.

Mit freundlichem Gruß

Volkan Baran

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