Bleiben Sie als SPD standhaft bei der Unterstützung der Kandidatin Brosius-Gersdorf?
Sehr geehrter Herr Hartmann,
ich bin sehr besorgt darüber, dass bei der Wahl der Verfassungsrichter(innen) keine Meinungsvielfalt mehr möglich sein soll. Es kommt beim obersten Verfassungsgericht doch darauf an, ausgewogen und mit höchster fachlicher Expertise Urteile oder Beschlüsse zu fällen. Die Gesellschaft ist (noch) bunt und sie sollte dabei auch so repräsentiert werden. Bitte bleiben Sie als SPD standhaft bei der Unterstützung der progressiven Kandidatin. Ich bitte Sie um Antwort. Danke!

Sehr geehrte Frau L.,
vielen Dank für Ihre Zuschrift und Ihr offenes Anliegen. Die Wahl von Richterinnen und Richtern an das Bundesverfassungsgericht ist eine bedeutsame Entscheidung – sie verdient daher sorgfältige Abwägung und Verantwortung gegenüber dem Grundgesetz.
Die geäußerte Kritik an Frau Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf basiert auf einem Narrativ, das maßgeblich von Akteuren der politischen Rechten verbreitet wurde – teilweise durch bewusste Verkürzungen, gezielte Fehlinterpretationen und emotionale Zuspitzung. Diese Kampagne hatte das Ziel, eine hochqualifizierte Kandidatin zu diskreditieren und gesellschaftspolitische Debatten zu emotionalisieren – auf Kosten rechtsstaatlicher Integrität.
Frau Brosius-Gersdorf ist eine überaus geeignete Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Als renommierte Verfassungsjuristin bringt sie jahrzehntelange wissenschaftliche Erfahrung, umfassende Fachkenntnis und ein tiefes Verständnis der Grundrechteordnung mit. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch große juristische Präzision, argumentativen Tiefgang und verfassungsrechtliche Unabhängigkeit aus. Sie genießt breite Anerkennung – auch unter Fachleuten, die politisch unterschiedlichen Lagern zuzuordnen sind.
Die in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe hat Frau Brosius-Gersdorf in einer ausführlichen Stellungnahme deutlich zurückgewiesen. Anders als behauptet spricht sie dem ungeborenen Leben keineswegs die Schutzwürdigkeit oder das Grundrecht auf Leben ab. Im Gegenteil: Sie betont ausdrücklich, dass menschlichem Leben ab der Nidation, also ab der Einnistung der Eizelle, das Grundrecht auf Leben zusteht – und dass sie sich in ihrer Arbeit stets dafür eingesetzt hat.
Die Behauptung, sie würde für eine Legalisierung oder eine völlige Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt eintreten, ist frei erfunden und von ihr selbst als „Verunglimpfung“ bezeichnet. Eine solche Position hat sie nie vertreten – weder wissenschaftlich noch persönlich.
In ihren verfassungsrechtlichen Überlegungen verweist sie vielmehr auf ein Spannungsverhältnis, das sich aus der herrschenden juristischen Lehre ergibt: Wenn dem ungeborenen Leben die volle Menschenwürdegarantie zuerkannt wird, wäre nach dieser Logik eine Abwägung mit den Grundrechten der Schwangeren ausgeschlossen – auch im Falle einer Lebensgefahr für die Mutter. Diese Konsequenz hält sie für verfassungsrechtlich problematisch und regt daher eine fachlich fundierte Diskussion an, wie dieser Widerspruch aufgelöst werden kann. Dabei bleibt der Schutz ungeborenen Lebens für sie unbestritten zentral.
Dieser differenzierte und wissenschaftlich sorgfältige Zugang wird von über 300 Verfassungsjuristinnen und -juristen ausdrücklich unterstützt, die sich öffentlich hinter Brosius-Gersdorf gestellt haben. Sie warnen davor, dass durch pauschale Diffamierung nicht nur eine qualifizierte Juristin beschädigt wird, sondern auch das Vertrauen in unsere rechtsstaatlichen Verfahren und Institutionen. Zusätzlich wurde Frau Brosius-Gersdorf von Bundeskanzler Friedrich Merz in der Regierungsbefragung ausdrücklich gelobt und der Richterwahlausschuss votierte mit einer 2/3 Mehrheit für sie.
Ich bin überzeugt, dass Frau Brosius-Gersdorf mit ihrer fachlichen Integrität und ihrem klaren Wertekompass einen wichtigen Beitrag für unser höchstes Gericht leisten kann – gerade in einer Zeit, in der demokratische Institutionen zunehmend unter Druck geraten. Ich werde mich daher mit voller Überzeugung für ihre Wahl einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Hartmann, MdB