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Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jan M. •

Frage an Konstantin von Notz von Jan M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr von Notz.
Meine Frage bezieht sich auf die aktuelle Situation des Journalisten Julian Assange, der laut Berichten des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer im britischen Belmarsh-Gefängnis unter Folterbedingungen inhaftiert ist, worunter seine gesundheitliche Lage extrem leidet.
Mich interessiert, wie sich die Grünen zu dem Fall Assange positionieren. Denken Sie, dass die völkerrechtlichen Gundlagen in dieser Sache eingehalten oder missachtet werden?
Des weiteren interessiert mich, ob Sie die Pressefreitheit in unserer westlichen Wertegemeinschaft gefährdet sehen, oder ob sie der Meinung sind, dass es in rechtskonform ist, einen Mann, der Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, in einem europäischen Land zu Tode zu foltern. Sollten Sie Einwände gegen die Haftbedingungen haben, bitte ich um Auskunft darüber, wie sich die Grünen für Julian Assange einsetzen und was sie konkret in dieser Frage unternehmen.
Ich freue mich auf eine schnelle Antwort.

Mit freundlichen Grüßen,

J. M.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.,

haben Sie besten Dank für Ihre Frage und das Interesse an der Arbeit der grünen Bundestagsfraktion. Über beides habe ich mich sehr gefreut. Auch wir verfolgen das Verfahren gegen Julian Assange im Vereinigten Königreich über einen mögliche Auslieferung in die USA mit großer Aufmerksamkeit.

Wie Sie vielleicht wissen setzen wir uns seit vielen Jahren für einen verbesserten Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber ein und haben wiederholt auch entsprechende Gesetzesvorschläge in den Bundestag eingebracht. Diese wurden leider von der Großen Koalition immer abgelehnt.

Wikileaks hat die Öffentlichkeit immer wieder auf gravierende Rechtsverstöße aufmerksam gemacht. In den letzten Jahren ist die Plattform aber mehrfach zu Recht sehr deutlich dafür kritisiert worden, bei Veröffentlichungen nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorzugehen. Wiederholt wurden hierdurch Menschen gefährdet. Klar ist aber: Julian Assange verdient selbstverständlich ein rechtsstaatliches und faires Verfahren.

Auch vor dem Hintergrund der klaren Positionierung der UN-Beauftragten und der vielen Berichte über den schlechten Gesundheitszustand von Julian Assange haben sich mehrere Abgeordneten der grünen Bundestagsfraktion noch vor Weihnachten mit einem Brief an Bundesaußenminister Heiko Maas gewandt. Sie drückten in diesem Brief ihre Besorgnis um Julian Assange aus und forderten eine medizinische Versorgung nach üblichen Standards. Denn die außergewöhnlichen Umstände, in denen sich Herr Assange seit Jahren befindet, hinterlassen offensichtlich schwere Spuren.

Darüber hinaus teilten sie Ihre Besorgnis darüber mit, dass die strafrechtlichen Ermittlungen in den USA ein Einfallstor für die Beschneidung journalistischer Arbeit im digitalen Zeitalter sein könnten. Teile der aktuellen US-amerikanischen Anklage beschreiben Standardarbeitsprozesse investigativer Journalisten als "Mittel für eine Verschwörung". Strafprozesse gegen Whistleblower in den USA haben gezeigt, wie Presse- und Meinungsfreiheit nationalen Sicherheitsinteressen untergeordnet werden können. Die Ausweitung der Anklage hin zu Vorwürfen der Spionage erscheint zu diesem Zeitpunkt ungewiss. Daher bestehen bei einer Auslieferung in die USA Bedenken, dass Julian Assange dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein könnte.

Wir respektieren in vollem Umfang die Unabhängigkeit der britischen Justiz und deren Recht, strafrechtliche Vorwürfe gegen Herrn Assange zu prüfen und zu sanktionieren. Die verhängte hohe Haftstrafe wegen des Verstoßes gegen Kautionsauflagen wirft jedoch die Frage auf, ob diese Sanktion verhältnismäßig ist. Auch gilt es, Berichte wie den des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Nils Melzer, ernst zu nehmen, dass Julian Assange der Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung versagt wird und sich sein Gesundheitszustand aufgrund der Haftbedingungen drastisch verschlechtert. Daneben stellt sich die Frage, ob das Folterverbot, das auch psychische Folter umfasst und zu dem sich auch das Vereinigte Königreich durch Ratifizierung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) verpflichtet hat, beachtet wird.

Wir weisen weiter darauf hin, dass Art. 3 der EMRK auch die Auslieferung untersagt, wenn damit zu rechnen ist, dass dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder erniedrigende Behandlung während der Haft droht. Die erneute Inhaftnahme von Chelsea Manning in den Vereinigten Staaten zur Erzwingung einer Aussage gegen Julian Assange begründet die Sorge, dass die Vereinigten Staaten im Falle einer Auslieferung auch gegen Julian Assange mit äußerster Härte vorgehen werden.

Über den Einzelfall hinaus befürchten wir, dass dieses Vorgehen, sollte es von Deutschland unkommentiert hingenommen und nicht verhindert werden, der Meinungs- und Informationsfreiheit in Europa und weltweit sowie der Glaubwürdigkeit der EU beim Schutz der Menschenrechte einen erheblichen Schlag versetzen würde. Wir erwarten, dass alle europäischen Nationen und Mitglieder der EU den Schutz der Pressefreiheit, der Veröffentlichung von Informationen im öffentlichen Interesse durch JournalistInnen und den Schutz von JournalistInnen und deren QuellengeberInnen vor Verfolgung zum Maßstab ihres Handelns machen. Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist jedoch erheblich bedroht, wenn journalistische Tätigkeit und Whistleblowing der Spionage gleichgestellt werden und JournalistInnen und deren HinweisgeberInnen mit erheblichen, sogar physischen Sanktionen rechnen müssen.

Darüber hinaus bestehen Anhaltspunkte dafür, dass JournalistInnen, AnwältInnen und ÄrztInnen im Zuge des Aufenthalts von Julian Assange in der Botschaft von Ecuador in London ausgeforscht wurden, darunter auch JournalistInnen des NDR. Wir erwarten, dass die Bundesregierung auf die Aufklärung dieser erheblichen Vorwürfe drängt und die uneingeschränkte Beachtung der Pressefreiheit bei der britischen Regierung unmissverständlich einfordert.

Die Antwort des Auswärtigen Amts auf das Schreiben hat uns enttäuscht, da die deutsche Bundesregierung keinerlei Handlungsbedarf anerkannt hat. U.a. fordern wir fordern, dass die Bundesregierung den Vorwürfen über die schlechte medizinische Versorgung von Julian Assange nachgeht und sich bei seinem Partner Großbritannien entsprechend erkundigt. Unter anderem hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet: https://www.rnd.de/politik/fall-assange-grune-werfen-regierung-feigheit-vor-KQ6HKTHJVFFFRCIIQBYVHUELME.html .

Als grüne Bundestagsfraktion werden wir uns auch weiterhin für ein faires und rechtsstaatliches Verfahren für Julian Assange und einen verbesserten Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern einsetzen und freuen uns, Sie an unserer Seite zu wissen.

Mit besten Grüßen nach Rhede!
Konstantin von Notz!

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