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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Steffen Z. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Steffen Z. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

gibt es einen einleuchtenden Grund, warum gerade Sie als GRÜNE _für_ einen Tornadoeinsatz in einem völkerrechtlich sehr zweifelhaften Angriffskrieg stimmen!?

MfG

Steffen Ziemann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Liebe Freundin, Lieber Freund,

am Freitag entscheidet der Bundestag über die Beteiligung deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Wir haben darüber in der Fraktion mehrfach ausführlich diskutiert. Auch in einigen Thüringer Kreisverbänden wurde darüber gesprochen. Danke für die – unterschiedlichen – Reaktionen.

Wir sind uns sicher mehrheitlich darin einig, dass Afghanistan weit mehr als bisher der Unterstützung gerade durch zivile Mittel bedarf. Im vergangenen Jahr hat sich die Lage im Land gegenüber ermutigender Aufbauleistung in den Jahren zuvor dramatisch verschlechtert. Die afghanische Regierung ist zu schwach, um Einfluss auf alle Provinzen des Landes zu nehmen; Korruption greift um sich. Es fehlt an einem schlüssigen Konzept zur Drogenbekämpfung. Besonders problematisch: Die Taliban haben sich mit pakistanischer Unterstützung reorganisiert und sorgen für Destabilisierung besonders im Süden und Osten des Landes. Die Situation wird in diesen Landesteilen durch die kontraproduktive Operationsführung von OEF (deren Mandatsverlängerung die grüne Fraktion im November letzten Jahres nicht zugestimmt hat) noch verschärft und droht zu eskalieren.

Damit eine friedliche und demokratische Entwicklung in Afghanistan gelingen kann, muss sich dringend etwas ändern; es geht um einen Strategiewechsel. Wir brauchen eine zivile Offensive – wie sie im BDK-Beschluss von Köln im Dezember beschrieben ist, am Montag vom Parteirat bekräftigt wurde und sich im Entschließungsantrag der Bundestagsfraktion wieder findet. Die Bundesregierung hat die Aufstockung des Budgets für den zivilen Aufbau um 20 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Dieser Schritt ist richtig, aber bei weitem nicht groß genug. Auch muss die Hilfe viel besser strukturiert und koordiniert werden. Deutschland hat die Verantwortung für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen. Um dies zum Erfolg zu führen, ist mindestens eine Verdreifachung der derzeit 42 im Land befindlichen Ausbilder notwendig. In Afghanistan müssen weiterhin Straßen, Schulen und Krankenhäuser gebaut werden. Nur durch solche sichtbaren Fortschritte kann die internationale Gemeinschaft die Köpfe und Herzen der Menschen in Afghanistan dauerhaft für die Demokratie gewinnen. Diese Unterstützung ist notwendig, damit die Menschen in Afghanistan - angesichts der verschärften Sicherheitslage - wieder einen friedlichen Alltag leben können. Das ist eine große Verantwortung.

Zugleich können wir nicht übersehen, dass sich Afghanistan in einer Situation befindet, in der zivile Maßnahmen allein nicht zum Erfolg führen können. Auch die BDK in Köln hat sich zur Notwendigkeit militärischen Engagements bekannt. Besonders im Süden und Osten muss Stabilität auch mit militärischen Mittel herbeigeführt werden, um zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermöglichen. Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absicherung des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin besteht der Auftrag der Tornados, die durch ihre Aufklärungsfähigkeit einen spezifischen Beitrag für Schutz und Sicherheit leisten können.

Die wieder erstarkten Taliban haben für das Frühjahr eine Offensive
angekündigt. Schon jetzt gehen 100 000 Kinder, die in den vergangen Jahren wieder die Schule besucht haben, aus Angst nicht mehr zum Unterricht. 2006 wurden 138 Schulen von den Taliban zerstört, zuerst trifft es immer die Mädchenschulen. Die Angriffe auf Frauen nehmen permanent zu. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war die Ermordung der Frauenbeauftragten der Provinz Kandahar im September 2006. Grüne vor Ort, wie Tom Königs, UN-Sonderbeauftragter für Afghanistan und der afghanische Außenminister Rangin Spanta, der sich während seines deutschen Exils im KV Aachen für die Grünen engagierte, haben mehrmals ihre Befürchtung betont, dass ohne verstärkten Militäreinsatz angesichts der Bedrohung durch die Taliban bereits Erreichtes wieder verloren gehen könnte.

Einige befürchten, dass die Tornados umgerüstet und zur „Luftnahunterstützung“ eingesetzt werden – dazu sind die Tornados kaum geeignet und dies würde auch klar dem Mandat widersprechen. Die Tornados sind unter ISAF eingesetzt. Hier hat Deutschland über die NATO Mitspracherecht und kann den, inzwischen in der NATO auch als notwendig erkannten, grundlegenden Strategiewechsel mit herbeiführen.

Auch Winni Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion (der angekündigt hat, dem Mandat nicht zuzustimmen), fasst in seinem Beratungspapier zusammen: „Vor dem Hintergrund der Gesamtverantwortung für Afghanistan und einer solidarischen Lastenteilung könnten die Tornado-Aufklärer im Rahmen einer aussichtsreichen, tatsächlich gewalteindämmenden Militärstrategie und einer ausgewogenen Afghanistan-Politik insgesamt Sinn machen.“ Es kommt also darauf an, innerhalb der NATO darauf zu dringen, eine solche gewalteindämmende Militärstrategie zu forcieren und die zivilen Anstrengungen zu vervielfachen, um zu einer ausgewogenen Afghanistan-Politik zu kommen. Wir werden die Bundesregierung als Fraktion dazu drängen. Hier ist auch öffentlicher Druck gefragt.

Gern diskutiere ich mit Euch über die Entwicklung in Afghanistan. Friedenspolitik ist ein Grundwert unserer Partei und auch mein eigener. Ausgangspunkt meines politischen Engagements war der Einsatz für Frieden und Menschenrechte. Beides gehört untrennbar zusammen und war immer Teil unserer Debatte um den Einsatz militärischer Mittel. Gerade in Afghanistan haben wir eine große Verantwortung, auch wegen der hohen Anerkennung des deutschen Engagements bei der Bevölkerung. Ein Teil unserer Fraktion wird aus diesem Grund mit Nein stimmen. Darin soll unsere gemeinsame Haltung ausgedrückt werden, dass ohne Strategiewechsel und deutlich mehr ziviles Engagement keine Erfolge in Afghanistan erzielt werden können. Wir sprechen uns mit großer Mehrheit jedoch nicht gegen militärisches Engagement aus.

So werde ich am Freitag dem Einsatz nach all den beschriebenen Erwägungen zustimmen.

Meine Entscheidung ist eine Gewissensentscheidung. Und zwar eine, die nur an der Sache orientiert sein kann und nicht mögliche Auswirkungen innerhalb einer Koalition mit bedenken muss, wie es unter rot-grün der Fall war. Ich werde nicht taktisch abstimmen, sondern sage klar: Ich halte die militärische Flankierung der zivilen Maßnahmen für nötig und fordere mit gleicher Vehemenz verstärkte Investitionen in den zivilen Aufbau, so wie es im entsprechenden Entschließungsantrag der Fraktion formuliert ist, den ich beilege.

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