Ein großer Teil der demokratischen Gesellschaft versucht seit über einem Jahr, die Politik zu überzeugen, ein AfD-Verbotsverfahren anzustrengen - warum weigert sich die Politik noch immer?
Die AfD zeigt ihr wahres Gesicht – die Forderung nach Remigration hat es nun sogar ins Wahlprogramm geschafft (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-parteitag-324.html). Phrasen, die AfD müsse man inhaltlich stellen oder sie ließe sich gar von Herrn Merz halbieren, sind Phrasen geblieben.
Im Sinne unserer wehrhaften Demokratie hat die Gesellschaft ihren Beitrag geleistet: Die Menschen haben in einer der bundesweit größten Petitionen gefordert, einen Verbotsantrag zu stellen (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-verbot-unterschriften-100.html). Vor einem Jahr haben allein an drei Wochenenden fast 2 Mio. Menschen gegen rechts demonstriert (https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/demonstrationen-gegen-rechtsextremismus-102.html).
Demokratische Politiker haben dieses Engagement begrüßt – ihren Part aber nie erfüllt. Aus Bürgersicht fühlt sich das zunehmend wie unterlassene Hilfeleistung an. Wie können Sie das in unserer heutigen Welt noch rechtfertigen?

Sehr geehrte Frau Y.,
danke für Ihre Frage.
Im November habe ich den Antrag zum AfD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht unterzeichnet. Nach Abwägung der juristischen und politischen Aspekte halte ich es für richtig, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der AfD überprüfen sollte. Leider haben der Bundesrat und die Bundesregierung, die dazu besser in der Lage wären als das Parlament, bisher von einem Antrag abgesehen. Morgen wird der Antrag im Deutschen Bundestag in erster Lesung debattiert; im Anschluss wird der Antrag zur weiteren Beratung an den Innenausschuss überwiesen.
Ohne einem Verfahren vorgreifen zu wollen, gibt es nach meiner Einschätzung gute Chancen auf ein erfolgreiches Verfahren, wenn man die bisher vom Gericht selbst entwickelten Grundsätze zugrunde legt. In jedem Fall würde es (ähnlich wie im zweiten NPD-Verbotsverfahren) viele Aspekte geben, in denen das Bundesverfassungsgericht die Position der AfD analysieren und kritisieren und damit manchem Anhänger auch die Augen öffnen könnte. Außerdem kämen als Rechtsfolgen die Einstellung der Finanzierung bzw. das Verbot einzelner Landesverbände in Betracht.
Unabhängig vom Zustandekommen und Ausgang eines Verbotsverfahrens müssen wir das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen, die nicht rechtsextrem denken, aber von der Politik der aktuellen und der früheren Regierungen enttäuscht sind, und deshalb mit der AfD sympathisieren. Das bleibt die gemeinsame und schwierige Aufgabe der Parteien der demokratischen Mitte, aber auch der Gesellschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker