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Olav Gutting
CDU
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Frage von Tanja G. •

Frage an Olav Gutting von Tanja G. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Gutting,

zu
http://www.abgeordnetenwatch.de/olav_gutting-575-37620--f299623.html#q299623
Auch Kürzungen der Staatsleistungen gefordert | hpd
hpd.de/node/11574 - Im Cache
13. Mai 2011 – Auch Kürzungen der Staatsleistungen gefordert. Der Senat des Landesrechnungshofs Schleswig-Holstein mit der Leiterin der Präsidialkanzlei ...

Der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein fordert im Jahresbericht 2011 eine mögliche Reduzierung der Staatsleistungen an die Kirchen auf ein Drittel des bisher gezahlten Betrages.
Begründung: Die bei Abschluss des Kirchenvertrages maßgeblichen Verhältnisse haben sich geändert.

Die folgenden Fragen ermöglichen die Beantwortung in sehr kurzer Zeit:

Werden nach dem gültigen Recht Verträge ganz oder teilweise unwirksam oder sogar nichtig, wenn die Geschäftsgrundlage für den Abschluss ganz oder teilweise fortgefallen ist?

Wie kann erreicht werden, daß auch andere Landesrechnungshöfe sich mit dem Problem beschäftigen?

Im SPIEGEL Nr. 32 vom 8.8.11 steht auf Seite 71: “Die deutsche Schuldenquote von 83 Prozent ist angesichts der älter werdenden Gesellschaft zu hoch.
Wer soll den Berg in den nächsten Jahrzehnten noch abtragen?”
Müssen Regierungen und Abgeordnete weiter denken als nur bis zur nächsten Wahl?

Mit freundlichen Grüßen
Tanja Großmann

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Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau Großmann,

für Ihre Anfrage vom 11. vorigen Monats, in der Sie über das Portal „Abgeordnetenwatch“ eine Stellungnahme zum Thema „Staatsleistungen an die Kirchen“ von mir erbeten haben, danke ich Ihnen.

So einfach, wie der Landesrechnungshof es darstellt, liegen die Dinge nicht. Es ist ja bei weitem nicht so, dass die beiden großen Kirchen finanziell aus dem Vollen schöpfen könnten. Neben den Staatsleistungen kommen ja auch noch die Kirchensteuern dazu. Dennoch sehen sich die katholische wie auch die evangelische Kirche zu nicht unerheblichen Sparmaß-nahmen gezwungen. Das hängt schon allein mit den schwindenden Einnahmen aus der Kirchensteuer zusammen, da immer mehr Menschen die Religionsgemeinschaften verlassen.

Und was die Staatsleistungen für die Kirchen angeht, so muss man sich an die historischen Fakten zurückerinnern, unter denen die entsprechenden Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche getroffen wurden. Die vom Staat für die Kirchen, auch für die freien Kirchen und Religionsgemeinschaften bereitgestellten Zahlungen gehen auf Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche zurück, als man vor mehr als 200 Jahren den Kirchen den weltlichen Besitz wegnahm - dieser Beschluss stammt aus dem Jahr 1803. Am 25. Februar 1803 enteignete die Reichsdeputation in Regensburg die alte Reichskirche mit ihrem enormen Besitz: Es ging um vier Erzbistümer, 18 Bistümer, 80 reichsunmittelbare Abteien und mehr als 200 Klöster. Mit diesen Immobilien wurden die weltlichen Fürsten für jene Gebiete entschädigt, die sie an Napoleon hatten abtreten müssen. Bayern erhielt das Siebenfache, Preußen das Fünffache des Verlorenen. Im Gegenzug bekommen seither die Kirchen für ihre Vermögensverluste jährliche Zahlungen aus der Staatskasse.
Dass die Vereinbarung auch 200 Jahre später noch gilt, daran habe damals niemand gedacht, erklärt Professor Horst Herrmann, Experte für Kirchenrecht. Trotzdem stelle seit jeher niemand das Abkommen in Frage: "Das Kaiserreich hat gezahlt, die Weimarer Republik hat gezahlt, Hitler hat gezahlt und die Bundesrepublik zahlt immer noch", so Herrmann.

In der Tat sieht das Grundgesetz vor, dass die Zahlungen vom Staat an die Kirche irgendwann ein Ende haben sollen - ein genauer Zeitpunkt wurde aber nicht festgelegt. Die Staatsleistungen - so heißt es in der Weimarer Reichsverfassung - an die Kirchen sind entsprechend dem Verfassungsauftrag von den Bundesländern abzulösen (Art. 138 Abs. 1 WRV). Darauf wird sich die Forderung, die im schleswig-holsteinischen Rechnungshof-bericht enthalten ist, beziehen. Der Ablösungsauftrag ist bis heute nicht ausgeführt worden. Er hat sich vielmehr zu einer „Bestandsgarantie auf Widerruf“ entwickelt. Die Höhe der Staatsleistungen ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. Sie dienen vornehmlich zur Bestreitung der Personal- u. Sachausgaben für die allg. kirchliche Verwaltung, gewisse Zuschüsse zur Pfarrbesoldung und Versorgung und Kulturbaulasten, die dem Unterhalt kirchlicher Gebäude dienen, etc. Die Ablösung lässt sich juristisch nicht in einem einseitigen Willensakt bekunden und durchführen. Hierfür ist vielmehr eine einvernehmliche Vereinbarung zwischen Bundesland und Kirche erforderlich. Außerdem müsste die Kirche dann entsprechend entschädigt werden.

In der Tat, der Schuldenstand der öffentlichen Hand ist erschreckend. Aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass sich daran etwas ändern würde, wenn man die Staatsleistungen an die Kirchen streichen würde. Das würde nämlich bedeuten, dass der Staat einen nicht unerheblichen Teil der kirchlichen Aufgaben (wie z.B. für Kindergartenarbeit, ambulante Krankenpflege, Altenbetreuung, Bildungsarbeit, etc.) in eigene Regie überführen und finanzieren müsste.
Unabhängig davon müssten - wie oben schon erwähnt - erhebliche Entschädigungszahlungen geleistet werden. Ich glaube nicht, dass - unterstellt es käme zu einer solchen Streichung - die Rechnung unter dem Strich zugunsten des Staates aufgehen würde.

Ja, Regierungen und Parlamentarier müssen über den Tellerrand der Tagespolitik hinaus denken. Sie dürfen ihr Handeln nicht nur an Wahlterminen orientieren. Gewiß, jeder Parlamentarier denkt verständlicherweise auch an seine Wiederwahl, aber das hält ihn nicht davon ab, Politik an mittelfristigen, teilweise auch langfristigen Zielen festzumachen. Für meine Fraktion möchte ich das jedenfalls in Anspruch nehmen.

Es gäbe noch vieles zu dieser Thematik zu sagen, sie ist umfassend und vielgestaltig, aber ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen knappen Ausführungen ein wenig dienlich sein.

Mit freundlichen Grüßen

Olav Gutting, MdB

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