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Nina Scheer
SPD
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Frage von Calle v. •

Frage an Nina Scheer von Calle v. bezüglich Umwelt

Im Plenums des Bundestags am 14. 03.2019 behaupteten Sie, dass die Ausführungen Ihres Vorredners von der AfD: „schwer zu ertragend(er) Unsinn“, „ekelerregend“ und „ignorant“ seien. Ihr Vorredner zeigte aber deutlich mehr Sachverstand, wo sie nur polemisiert haben. Sie schwätzen von „vielen Unbeherrschbarkeiten“ (welchen?), von einem „weit verbreiteten Irrglauben, dass Kernenergie finanzierbar sei“ (Zahlen?) und meinen obendrein, dass „die Nachwelt sauer sein wird, dass wir überhaupt (mit der Kernenergie) angefangen haben“. Aber war es nicht die SPD, die die Kernenergie in Deutschland eingeführt und viele Jahrzehnte durchgeboxt hat?
Es scheint wohl daran zu liegen, dass Ihre Eltern mit Eurosolar viel Geld gemacht haben und sie damit zur Lobby des EEG gehören, wenn Sie die unsinnige Behauptung aufstellen, dass die Kosten für die Erneuerbaren Energie Förderung nur Prozente sein, von dem was für Kernenergie ausgegeben wurde. Das ist nachweislich falsch und typisch für unsachliche Lobby-Arbeit. Haben Sie handfeste Zahlen?
Deshalb äußern Sie auch ihre Sorge, dass die „Klimaziele nicht über eine Wiederbelebung der Kernenergie erreicht werden darf“. Patrick Moor, Co-Founder auf Greenpeace sieht das genau anders. Die sogenannten Erneuerbaren werden nie eine Grundlast für einen Industriestaat wie Deutschland liefern können, zumal sie von Tag/Nacht, Windgeschwindigkeit in der vierten Potenz usw abhängen. Ist Ihnen nicht klar, das sie die Industrie in Deutschland dank viel zu hoher Stromkosten kaputt machen und das Geld zum Fenster hinaus schmeißen für eine ganz kleine Lobby. Ich bin daher überzeugt, dass die Nachwelt uns für die Energiewende verantwortlich machen wird, an der nur wenige verdienen, und die Mehrheit die Kosten trägt. Ihre Lobby macht ganz genau die Fehler, die sie der sogenannten Atom-Lobby vorwerfen. Wie können Sie diese Lobby-Arbeit für Eurosolar und die Herrmann-Scheer-Stiftung mit einer sachlichen Energiepolitik vereinbaren?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr von der Ronheide,

die Beantwortung Ihrer Nachricht lehne ich an sich bereits aus dem Grund ab, dass sie von übergriffigen Behauptungen und Unterstellungen gekennzeichnet ist. Während sie mir – unbegründet – Faktenferne unterstellen, üben Sie keinerlei Sorgfalt darin, die Ihrerseits aufgestellten Behauptungen auf Fakten zu stützen. Ihre Äußerungen über meine Eltern und Ihre hieraus abgeleiteten Schlussfolgerungen entbehren jedweder Grundlage und sind schlicht verleumdend. Einen Austausch auf Grundlage von Diffamierungen lehne ich grundsätzlich ab.

Da ich mich als Bundestagsabgeordnete aber auch verpflichtet fühle, an öffentlicher Aufklärung mitzuwirken und es sich hier um offen einsehbare Erläuterungen handelt, erlaube ich mir zur Sache wie folgt erläuternd Stellung zu beziehen:

Sie fragen mich zunächst, von welchen Unbeherrschbarkeiten ich im Rahmen der Spätfolgen des Fukushima-Unglücks spreche.

Vor acht Jahren ereignete sich der katastrophale Unfall im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi in Japan, der auch Anlass für meine Rede in der Plenardebatte vom 14.03.2019 war, auf die Sie sich beziehen. Durch den Unfall wurden enorme Mengen Radioaktivität freigesetzt. Böden, Nahrungsmittel, Leitungswasser und Meerwasser wurden verstrahlt. 470.000 Menschen mussten evakuiert werden. Mehr als 160.000 Menschen mussten langfristig umgesiedelt werden und leben teilweise heute noch in provisorischen Unterkünften. In den Blöcken 1 bis 3 des Atomkraftwerks sind die Reaktorkerne nach den Analyseergebnissen ganz oder teilweise geschmolzen. Aufgrund dieser Tatsache können konventionelle Methoden zur Bergung des Kernbrennstoffs aus den zerstörten Reaktoren nur schwer eingesetzt werden. Diese Kernschmelze beweist die Unkontrollierbarkeit von Atomenergie und steht - neben weiteren Atomunfällen, aber etwa auch der ungelösten Endlagerfrage – mahnend für das politische Ziel eines auch weltweiten Atomausstiegs.

Die gesundheitlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Langzeitfolgen des Unglücks sind aktuell noch nicht annähernd abschätzbar. Darauf bezieht sich die in meiner Rede angesprochene Unbeherrschbarkeit. Die Folgen eines Atomunfalls sind für den Menschen nicht beherrschbar, sie zerstören Leben, Gesundheit und Lebensraum, ohne dass dies verhindert werden könnte. Ebenso ist die Technik der Atomenergie für den Menschen nur bedingt beherrschbar. Fukushima war bereits der zweite „katastrophale Unfall“ (höchstmögliche Einstufung eines nuklearen Ereignisses von den Atomaufsichtsbehörden nach der internationalen Bewertungsskala INES) nach Tschernobyl im Jahr 1986. Auch bei dieser Katastrophe entstanden unkontrollierbare Folgen. Zudem kommt es regelmäßig auch in Europa zu Störfällen, wie beispielsweise 2017 in Cattenom in Frankreich und 2005 in Großbritannien.

Ein weiterer Punkt Ihrer Nachricht war die Finanzierbarkeit von Kernenergie und Erneuerbaren Energien. Bereits in meiner Rede habe ich diese Aussage konkretisiert und mich hierbei zum Beispiel auf die Endlagerkosten bezogen, die nachfolgende Generationen noch mit zu tragen haben. Durch die Kernenergie sind in Deutschland etwa 700.000 Kubikmeter strahlenden Mülls (von schwach bis hoch radioaktiv) angefallen, welche 1 Mio. Jahre sicher verwahrt werden müssen. Dies ist das 20-fache der Zeit, seit es Menschen gibt.

Im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung hat der deutsche Staat die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung der radioaktiven Abfälle übernommen. Allein dafür musste ein Fonds mit 23,5 Milliarden Euro geschaffen werden. Hinzu kommen offene und versteckte Subventionen, etwa durch Versicherungshöchstgrenzen.

Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft kam bei einer Studie zu dem Ergebnis, dass Erneuerbare Energien bei Einbeziehung aller staatlichen Subventionen sowie gesellschaftlicher Folgekosten die günstigsten Energiequellen sind. Im Ergebnis trug die Gesellschaft im Jahr 2016 bei einer Kilowattstunde Windstrom ungerechnet Kosten von 9,0 Cent und bei Wasserstrom 8,9 Cent. Die Gesamtkosten für Strom aus Braun- und Steinkohlekraftwerken summieren sich hingegen auf 14,3 bzw. 13,4 Cent und für Atomenergie auf mindestens 15,1 Cent je Kilowattstunde (http://www.foes.de/pdf/2017-10-Was_Strom_wirklich_kostet_kurz.pdf). Vergleicht man die Vollkosten neuer Anlagen (Stand 2016), so gehen Beträge deutlich stärker auseinander. Die Vollkosten einer Kilowattstunde Windstrom aus neuen Anlagen betragen im Ergebnis 4,1 bis 8,5 Cent; bei Photovoltaik-Strom sind es 7,0 b is 12,7 Cent. Bei der Atomenergie liegen diese Kosten mit 18,7 bis 47,3 Cent deutlich höher.

Im Falle eines Störfalls oder eines Unfalls kommen weitere dramatische Kosten auf das Land zu. In Japan musste die Betreiberfirma TEPCO für die Folgen des Unfalls bereits mehr als 60 Milliarden Euro Schadenersatz zahlen. Doch selbst mit dieser Summe sind noch lange nicht alle Schäden abgegolten. Fachleute rechnen mit Forderungen in dreistelliger Milliardenhöhe. Auch Vorfälle in benachbarten Ländern können für den deutschen Steuerzahler teuer werden, da die internationalen Haftungsgrenzen bei weitem nicht ausreichen, um die Schäden abzudecken. Vor diesem Hintergrund steht meine Aussage, dass Kernenergie mit dem Blick auf Folgekosten nicht bezahlbar ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Nina Scheer

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