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Markus Ferber
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Frage von Markus H. •

Frage an Markus Ferber von Markus H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ferber

Bei meinen Recherchen zum Vertrag von Lissabon bin ich auf folgende Fragen gestoßen, die ich gerne an Sie als EU-Parlamentarier weitergeben möchte:

1. Besetzung des EuGH
Im Art. 20 GG steht, dass die vom Volke ausgehende Staatsgewalt u.a. durch die Rechtsprechung ausgeübt wird.
Bei der Besetzung des BVG wird diesem Artikel Rechnung getragen, indem die Hälfte der Verfassungsrichter vom Bundestag ernannt werden. Die andere Hälfte wird vom Bundesrat ernannt. An der Zusammensetzung des BVG sind also immerhin 16 Länderregierungen und ca. 600 Volksvertreter beteiligt.
Der Vertrag von Lissabon sieht für die Besetzung des Europäischen Gerichtshofes vor, dass die Mitglieder des Gerichts „von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt werden.“
Die Exekutive setzt also Vertreter der Judikative ein.
Widerspricht das nicht der im GG definierten Volkssouveränität und dem Prinzip der Gewaltenteilung ?

2. Schutz der Menschenwürde
Wie im GG gilt in der EU-Grundrechtecharta die Menschenwürde als unantastbar.
Während das GG hinzufügt „Sie (die Menschenwürde) zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlicher Gewalt“, heißt es in der Charta schlicht: „Sie ist zu achten und zu schützen“.
Laut GG der BRD müssen die Staatsgewalten demnach die Menschenwürde des Einzelnen garantieren.
Diese Garantien sucht man in der Charta vergeblich.

Macht die BRD, wenn der Vertrag von Lissabon rechtskräftig wird, nicht einen Rückschritt hinter das Grundgesetz?

Für die Mühe, die sie sich machen um meine Fragen zu beantworten bedanke ich mich bereits jetzt sehr herzlich!

Gruß
Markus Helmreich

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Sehr geehrter Herr Helmreich,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Vertrag von Lissabon, welche mich über Abgeordnetenwatch erreicht hat. Natürlich nehme ich sehr gerne zu Ihren Anmerkungen Stellung.

Zunächst einmal möchte ich betonen, dass meiner Ansicht nach der Vertrag von Lissabon die Vision einer effizienten Zusammenarbeit in Europa verwirklicht. Nach fünfzig Jahren gemeinsamen Europa und in Anbetracht der stetigen Erweiterung ist es nun an der Zeit, einen kollektiv politischen, rechtlichen und institutionellen Rahmen für die Europäische Union zu schaffen. Es war dringend nötig, einen offiziellen Schritt zu tun, der dem Zeitgeist der heutigen Entwicklung gerecht wird. Um nur einige Punkte zu nennen: die Rolle der nationalen Parlamente wird gestärkt, im Rat sollen Entscheidungen öfters mit qualifizierter Mehrheit gefällt werden können und die Mitsprachrechte des Europäischen Parlaments, der Volksvertreter, werden erweitert, wodurch der Entscheidungsprozess innerhalb der EU insgesamt demokratischer wird.

Hinsichtlich der Besetzung des Europäischen Gerichtshofs ist in Art. 253 des Vertrags von Lissabon, wie Sie richtig anmerken, festgelegt, dass die Richter und Generalanwälte "von den Regierungen der Mitgliedstaaten" ernannt werden, "im gegenseitigen Einvernehmen nach Anhörung des in Artikel 255 vorgesehenen Ausschusses". Dieser Ausschuss besteht aus insgesamt sieben Mitgliedern, wobei eines vom Europäischen Parlament vorgeschlagen wird. Diese Vorgehensweise widerspricht aber nicht dem Prinzip der Gewaltenteilung, da eben die Exekutive die Judikative ernennt und nicht diese sich selbst. Außerdem schreibt das EU-Vertragswerk nur vor, dass es den nationalen Regierungen obliegt die Mitglieder zu benennen, zum Prozess der nationalen Entscheidungsfindung gibt es keine Vorgaben.

Die Charta der Grundrechte wird im Vertrag von Lissabon in einem Zusatzprotokoll aufgeführt und steht damit zwar nicht im Vertragstext, erhält aber trotzdem nach der Ratifizierung des Vertrags rechtsverbindlichen Charakter. Diese Charta wurde von einem Grundrechtekonvent unter Präsident Roman Herzog ausgearbeitet und verdeutlicht die Werte, die für die Europäische Union gelten. Im Wesentlichen basiert sie auf der Europäischen Menschenrechtskonvention, die, vom Europarat ausgearbeitet, bereits seit 1953 in Kraft ist. Durch die Charta bekommen die EU-Bürger mehr Rechte und mehr Freiheiten, was ich als großen Erfolg werte, ohne dass sich dadurch an den Zuständigkeiten der Europäschen Union etwas ändern würde. Allerdings bedeutet dies nicht wie von Ihnen befürchtet einen Rückschritt hinter die im Grundgesetz festgeschriebene Garantie der Menschenwürde des Einzelnen, da der Vertrag von Lissabon keineswegs die bestehenden nationalen Verfassungsregeln ersetzt - diese behalten natürlich ihre Gültigkeit. Mit dem Vertrag von Lissabon werden von Seiten der EU vielmehr die Tätigkeiten der Mitgliedstaaten dort ergänzt, wo die einzelnen Länder alleine ihre Ziele nicht realisieren können. Außerdem sind auch nur die europäischen Institutionen und Agenturen daran gehalten, die in der Grundrechtecharta festgeschriebenen Rechte zu achten, wobei der Europäische Gerichtshof für die Einhaltung der Charta Sorge trägt. Auf deutscher Ebene etwa gilt weiterhin das Grundgesetz und die darin festgeschriebene Garantie der Wahrung der Menschenrechte.

Ich hoffe sehr, Ihnen mit diesen Informationen geholfen zu haben und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Ihr
Markus Ferber, MdEP

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