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Konstantin von Notz
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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Frage von Claudio S. •

Was halten Sie von der Einrichtung eines Gedenkortes in Deutschland für das Leid der Palästinenser?

Sehr geehrter Herr von Notz, Deutschland trägt im Nahostkonflikt eine besondere historische Verantwortung: Der Holocaust schuf den politischen und moralischen Kontext, der die Staatsgründung Israels 1948 begünstigte. Diese ging jedoch mit der Nakba einher: Hunderttausende Palästinenser wurden vertrieben oder flohen, und ihre Nachkommen leben bis heute in Flüchtlingslagern und Diaspora.

Eine differenzierte Politik muss beide Perspektiven berücksichtigen. Deutschland liefert heute weiterhin Waffen (100.000 Tote in Gaza, brutale Besatzung in der Westbank) nach Israel und beschränkt gleichzeitig pro-palästinensische Protestformen. Öffentliche Räume für Trauer und Erinnerung an palästinensisches Leid existieren kaum. Aus persönlichen Gesprächen weiß ich um die Traumata und die Trauer der Palästinenser in D. Wir sollten das Leid anerkennen und so einen Teil zur Versöhnung beitragen.

Siehe dazu: Stichwort "Sekundäreffekte für die Palästinenser" auf www.staatsraison.net

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Antwort von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sehr geehrter Herr S.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht und die persönlichen Einblicke. Ich nehme die von Ihnen geschilderten Erfahrungen und Gefühle sehr ernst. Das Leid, das viele Palästinenserinnen und Palästinenser – auch hier in Deutschland – mit sich tragen, ist real und es ist schrecklich. Dieses Leid zu hören, anzuerkennen und Räume für Dialog und Verständnis zu schaffen, ist wichtig und notwendig. Genau dafür haben wir uns als Grüne Bundestagsfraktion in den vergangenen zwei Jahren immer wieder eingesetzt.

Gleichzeitig möchte ich offen darlegen, warum ich die Einrichtung eines staatlich getragenen nationalen Gedenkortes für das Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser in Deutschland nicht für den richtigen Weg halte.

Unsere historische Verantwortung ist eindeutig: Sie bezieht sich auf die Shoa und auf den daraus erwachsenden Schutz jüdischen Lebens und des Existenzrechts Israels. Diese Verantwortung prägt unser politisches und gesellschaftliches Selbstverständnis. Ich denke, dass es notwendig ist, sich mit der Nakba und ihren Umständen zu beschäftigen, ohne eine moralische Verbindung zur Shoa herzustellen.

Ein staatlicher Gedenkort in Deutschland, der einseitig Position im Nahostkonflikt bezieht, würde politisch wie gesellschaftlich missverstanden oder instrumentalisiert werden. Ein nationaler Gedenkort würde die notwendige Differenziertheit eher erschweren als fördern. Die aktuelle Gewalt, das Leid unter Israelis und Palästinenserinnen und Palästinensern und die politischen Verantwortlichkeiten sind hochkomplex. Ein staatlich definierter erinnerungspolitischer Rahmen für einen Konflikt, in dem es viele Graustufen gibt, birgt das Risiko, diese Komplexität zu simplifizieren oder bestehende gesellschaftliche Spannungen zu verschärfen – gerade in Zeiten, in denen jüdisches Leben in Deutschland erneut massiv bedroht ist. Anerkennung von Leid braucht Räume – dies müssen aber nicht zwingend nationale Gedenkorte sein.

Gleichermaßen würde ich mehr Differenzierung im Zusammenhang mit Verboten von propalästinensischen Demonstrationen in Erwägung ziehen. Als Grüne Bundestagsfraktion haben wir sich für die Demonstrations- und Meinungsfreiheit stark gemacht. Dass es hier zu Übertretungen kam, wurde gerade auch gerichtlich festgestellt. Derlei repressive Forderungen, die u. a. von der Union aufgestellt wurden, haben wir von Anfang an scharf kritisiert. Gleichermaßen muss allerdings klar sein, dass die Grenze dort liegt, wo es zu strafrechtlich relevanten Äußerungen kommt, wo Organisator*innen in der Vergangenheit durch Gewaltaufrufe und -taten aufgefallen sind und wo jüdische Communities bedroht werden.

Ich finde es wichtig, dass wir Gesprächsforen, lokale Initiativen, wissenschaftliche Auseinandersetzungen, zivilgesellschaftliche Projekte und kulturelle Ausdrucksformen stärken, in denen palästinensische Erfahrungen sichtbar werden und in denen Begegnung und Verständigung möglich sind. Dafür setze ich mich weiterhin ein. Solche Räume können trauern, zuhören und Brücken bauen, ohne die Erinnerungskultur einseitig zu überfrachten.

Für Ihre Frage nochmals herzlichen Dank und viele Grüße!

Konstantin v. Notz

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