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Frage von Hans-Günther F. •

Frage an Katja Kipping von Hans-Günther F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Hallo Katja,

zunächst mal vielen Dank für Deine Antwort auf meiner letzten Frage.
Bei Deiner Antwort, warst Du mit mit dem "Du" (Parteigenossen) einverstanden.

Es geht sich diesmal um das Urteil des BVGs, die Hartz IV-Sanktionen über 30% als verfassungswidrig zu erklären. Ist zwar mM nach, immer noch nicht verfassungskonform, weil Minimum ist Minimum. Aber das siehst Du sicherlich genauso.

Aber das heisst doch dann, dass sie das auch die letzten 14 Jahre waren und die politisch Verantwortlichen damit wissentlich eine erhebliche Existenzbedrohung der Betroffenen, im Gegensatz zum Grundgesetz, in Kauf genommen haben. Geht die Immunität soweit, dass man jahrelang, wissentlich die Verfassung missachten darf? Wir alle wissen, auch die verantwortliche Bundesregierung, dass diese Arbeitsmarktreform, vor allem wegen der Sanktionsgewalt, seit ihrer Einführung, unter herber Kritik steht. Dennoch hat die Regierung, unter Frau Merkel, bis zum Urteilsspruch des BVG am 05.11, anscheinend keine Veranlassung gesehen, diesen verfassungswidrigen Sanktionen zu begegnen. Müßte das nicht eine Anhörung, der politisch Verantwortlichen, vor dem Untersuchungsausschuss zur Folge haben? 14 Jahre verfassungswidriges Verhalten kann doch jetzt nicht komplett ungesühnt bleiben!

Vielen dank im Voraus für Deine Mühe und Antwort!

Beste Grüße
Hans-Günther Fischer

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Antwort von
DIE LINKE

Hallo H.,

selbstverständlich nutzen wir das Urteil aus Karlsruhe, um weiter Druck zu machen für die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen. So hat erst heute die Linksfraktion zusammen mit den Grünen einen gemeinsam Antrag für Sanktionsfreiheit eingebracht:

http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/150/1915078.pdf

Anbei ein Link zu meiner Rede im Bundestag dazu:

https://www.linksfraktion.de/mediathek/13-15112019-die-linke-im-plenum/#&gid=1&pid=1

Nun zu Deiner konkreten Frage, ob ein Untersuchungsausschuss das geeignete Instrument wäre:

Formal betrachtet kann die Fraktion DIE LINKE. nicht allein einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Gemäß Art. 44 Grundgesetz ist dafür ein Viertel des Bundestages notwendig. Es wäre also ein gemeinsamer Antrag von mehreren Fraktionen notwendig, theoretisch z.B. mit Grünen und FDP als Oppositionsfraktionen. Wir halten einen solchen Untersuchungsausschuss aber auch nicht für sinnvoll und werden ihn daher nicht vorschlagen. Das liegt nicht daran, dass wir unsere Sanktionskritik schmälern würden, sondern an der Funktion von Untersuchungsausschüssen:

Untersuchungsausschüsse sind sinnvoll bei Themen, bei denen Fakten umstritten sind und Beweise erhoben werden können. Also bei Fragen wie: "Was geschah am Tag XY? Wer hat mit wem gesprochen?" Untersuchungsausschüsse sind dazu da, dass sie zu solchen Fragen Ermittlungen anstellen, ähnlich wie Gerichte. Sie können ZeugInnen befragen, Unterlagen sichten und ähnliches - das ist das Wirkungsvolle an Untersuchungsausschüssen.

Die Verantwortlichkeit für Sanktionen vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist weniger eine solche Faktenfrage, sondern eine Frage der politischen Bewertung. Das wird daran deutlich, dass man dazu kaum "Beweise" erheben - also ZeugInnen befragen, Unterlagen auswerten usw. - kann. Diese Bewertung ist für einen Untersuchungsausschuss keine geeignete Frage. Wenn man die Verantwortlichkeit für die Vergangenheit aufgreifen möchte, dann gehört das in die ganz reguläre politische Debatte.

Aber auch hier ist es kaum möglich, eine rechtliche Verantwortlichkeit festzustellen. Das Urteil sagt nicht, dass die betreffenden Sanktionen in den letzten 15 Jahren verfassungswidrig waren. Es gilt erst ab dem Tag der Urteilsverkündung, nicht rückwirkend. Rückwirkende Verfassungswidrigkeit gibt es eigentlich kaum, und das aus gutem Grund: Fragen, die dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden, sind tatsächlich unklar. D.h. vorher kann es niemand sicher wissen. Erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht wird die Rechtslage geklärt.

Trotzdem bestätigt das Urteil natürlich viele Kritiken, die schon seit Jahren geäußert wurden. Unsere Kräfte wollen wir jetzt darauf konzentrieren, das Urteil als Rückenwind für Veränderungen zu nutzen.

Beste Grüße

Katja