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Frage von Susanne M. •

Frage an Jan van Aken von Susanne M. bezüglich Frauen

Sehr geehrter Herr von Aken,
als ehemalige ehrenamtliche Mitarbeiterin einer NGO, die sich um Prostituierte kümmert habe ich viel Leid in diesem Bereich gesehen. Insbesondere seit dem neuen Prostitutionsgesetz hat sich die Situation für die Betroffenen massiv verschlechtert, das Grad der Ausbeutung enorm zugenommen. Mit Sorge verfolge ich, dass die derzeitige Bundesregierung offensichtlich nicht Willens ist sich im Sinne der Betroffenen zu engagieren und unser aller Gewissen gegenüber dem Leid vor unseren Haustüren (und gerade als Hamburgerin weiß ich wovon ich spreche) durch ein paar nicht wirksame Nachjusitierungen zu beruhigen.

Eigentlich bin ich überzeugte Wählerin Ihrer Partei. Aber auch hier besorgt mich, dass das Schicksal der vielen in Schuldsklaverei gehaltenen Frauen insbesondere Migrantinnen, DIE LINKE nicht dazu bringt sich in deren Sinne zu positionieren. Bei den Äußerungen einiger Vertreterinnen vor Ort bin ich geneigt zu glauben, dass das Verständnis für einfachste Zusammenhänge nicht vorhanden ist. Dies betrübt mich sehr.

Ich frage Sie, als Hamburger Mitglied des Deutschen Bundestags, deshalb wie sie zu folgenden Fragestellungen stehen?
1. Möchte DIE LINKE perspektivisch auf eine Gesellschaft ohne Prostitution hinwirken?
2. Wenn ja, welche Mittel halten Sie dafür für geeignet?
3. Sind sie bereit sich mit dem schwedischen Modell auseinanderzusetzen und dessen Implementierung in Deutschland voranzutreiben? (Die Wirksamkeit ist sowohl in Schweden als auch in Norwegen nachgewiesen)
4. Sind Sie der Meinung, dass es sich bei Prostitution um eine Arbeit wie jede andere handelt?

Über eine Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar.

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Sehr geehrte Frau Meyer,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne ausführlich beantworten möchte.

1. Möchte DIE LINKE perspektivisch auf eine Gesellschaft ohne Prostitution hinwirken?

Eine Gesellschaft ohne Prostitution ist sicherlich wünschenswert, da innerhalb der Prostitution, wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, soziale Benachteiligung, Rassismus und patriarchale Herrschaftsstrukturen klar und deutlich durchschlagen.
Der Ansatz, diese Herrschaftsstrukturen zu verändern, liegt aber nicht zuerst im Verbot des sehr differenzierten Feldes der Prostitution, die tatsächlich vom Menschenhandel als strafrechtlich zu verfolgende Praxis bis zur Sexualassistenz für Menschen mit Behinderungen reicht. Die Ablehnung der Zwangsprostitution kann nicht als Blaupause für den Umgang mit Prostitution insgesamt herangezogen werden, da die durchgängige Beschreibung von Frauen als Opfer sich nur nahtlos in den Stigmatisierungsdiskurses gegenüber Prostituierten einreiht. Ein Verbot würde nur neue Dunkelfelder verursachen, Märkte verlagern und sexuelle Dienstleistungen wieder vollständig in die Kriminalität abdrängen. Damit wäre ein Stück der Öffentlichkeit für die eigene Interessenvertretung von Prosituierten erneut versperrt und die Verbesserung ihrer Lage weiterhin aussichtlos.

2. Wenn ja, welche Mittel halten Sie dafür für geeignet?

Zuerst ist ein differenziertes, statt ein stigmatisierendes Lagebild nötig. Die Formen der Prostitution haben sich nicht zuerst durch das ProstG geändert, welches ohnehin von den Ländern kaum umgesetzt wurde, sondern durch die EU-Osterweiterung. Der gesellschaftliche Hintergrund des 2001 verabschiedeten ProstG (gültig ab 01. Januar 2002) war die weitgehende Anerkennung von sexuellen Dienstleistungen als Erwerbsarbeit. Durch die Legalisierung und Entkriminalisierung der Prostituierten sollte
- das Einkommen einklagbar,
- der Zugang zu Sozialsystemen geebnet, werden
- die Stellung der Dienstleistenden gegenüber Bordellbetreiber/innen, Gewerbeaufsicht, Freiern und Behörden gestärkt werden.
Die Durchsetzung dieser politischen Zielstellungen entsprach Forderungen von Prostituiertenverbänden und –initiativen.

Auch heute, 13 Jahre später, ist das erste Mittel der Wahl, um konkrete politische Vorschläge zu unterbreiten, Prostituierte zu Wort kommen zu lassen und sich ein umfassendes Bild zu verschaffen, wie sich das Feld der Prostitution verändert hat. In der Entschließung des Bundesrates vom 11.4.2014 – „Maßnahmen zur Regulierung der Prostitution und der Prostitutionsstätten“ (Drs. 71/14) ist das veränderte Erscheinungsbild der Prostitution folgendermaßen beschrieben:

„a) Die exakte Anzahl der Prostituierten ist unbekannt; ebenso gibt es nur punktuelle Hinweise auf Lebenssituationen und Bedarfe. Es fehlt an systematischer Forschung. Vielfach zitierte Schätzungen gehen davon aus, dass etwas 400 000 Personen ganz oder teilweise in der Prostitution tätig sind. Die große Mehrheit ist weiblich, mann-männliche Prostitution sowie die Prostitution Transsexueller nehmen einen deutlich geringeren Teil ein, sind aber auch stark tabuisiert. Dabei wird die öffentliche Wahrnehmung von Prostitution durch einen hohen Anteil von Migrantinnen bestimmt.
b) In den letzten Jahren ist durch die EU-Osterweiterung die Armutsprostitution, insbesondere im Bereich der Straßenprostitution, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt. Kennzeichnend für diesen Personenkreis sind vielfach fehlende Sprachkenntnisse, mangelnde Gesundheitsvorsorge, sowie generell prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen.
c) Der Markt für sexuelle Dienstleistungen hat sich seit dem Jahr 2002 stark verändert, nicht zuletzt durch das Internet. Nicht nur Werbung und Vermittlung bedienen sich des Internets; es haben sich auch eigene Formen (etwas mittels Webcams) herausgebildet. Bei Bordellen haben sich Großbetriebe etabliert, die auf maximalen Profit ausgerichtete Betriebskonzepte verfolgen (etwas Flatrate-Bordelle). Diesen Entwicklungen ist bei einer Reform des Prostitutionsgesetzes Rechnung zu tragen.
3. Der Bundesrat spricht sich für eine sachliche Debatte und differenzierte Maßnahmen aus.
a) Die öffentliche und die mediale Debatte über Prostitution sind zum Teil noch immer durch Vorurteile, fehlendes Wissen und Skandalisierung geprägt. Insbesondere wendet sich der Bundesrat gegen eine pauschale Gleichsetzung von Prostitution und Menschenhandel.“ (S.7/8)
Im letzten Satz dieser Lagebeschreibung liegt einer der ersten Schlüssel für die politischen Vorschläge. Menschenhandel, alle Formen von Zwangsprostitution sind gesetzlich zu ahnden, doch um hier voran zu kommen, werden auch entscheidende Maßnahmen verweigert, z. B. dass ein Aufenthaltstitel und ein umfangreicher Opferschutz (Beratung, Zugänge zu Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt) nicht von der Aussagebereitschaft der Opfer abhängig gemacht werden darf. Es gäbe darüber hinaus bereits jetzt viele strafrechtliche Möglichkeiten die Täter zu bestrafen und die Opfer zu schützen. Zwangsprostitution ist: Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Vergewaltigung, Nötigung etc. Die Bundesregierung diskutiert an dieser Stelle ihre Vorhaben im Zusammenhang mit der Freierbestrafung, wie in Schweden. Doch jahrelange Ermittler warnen vor solchen Wegen, da sie die meisten Hinweise von Freiern erhalten und die ohnehin schon schwierige Ermittlung durch diesen Ansatz erschwert sehen.

Da wir eine Gesellschaft ohne Prostitution nicht morgen zu erwarten haben, da die sozialen Unterschiede, das Patriarchat und der Rassismus weltweit nicht von heute auf morgen, umzukrempeln sind, müssen sich die politischen Zielsetzungen auf eine für die Beschäftigten repressionsfreiere Regulation der angebotenen sexuellen Dienstleistungen konzentrieren und auf die Unterbindung menschenunwürdiger Praktiken und Weisungsrechte, die die Ausübenden in ihren Entscheidungsrechten beschneiden. Das tendenzielle Verbot in Frankreich hat jetzt schon in Rheinland-Pfalz und im Saarland sichtbare Folgen der Verlagerung. Weltweit gibt es erste Modellversuche innerhalb selbstverwalteter Projekte und auch gewachsene kommunale Unterstützung bei der freiwilligen Gesundheits- und Ausstiegsberatung.

3. Sind sie bereit sich mit dem schwedischen Modell auseinanderzusetzen und dessen Implementierung in Deutschland voranzutreiben? (Die Wirksamkeit ist sowohl in Schweden als auch in Norwegen nachgewiesen)

Das Schwedische Modell hat – auch in den Auswertungen – zwei Gesichter. Es hat tatsächlich eine gesellschaftliche Debatte über Herrschaftsstrukturen – eben auch in der Prostitution – befördert, siehe Antwort 4, also zu einem öffentlichen Diskurs über Geschlechterverhältnisse und Sexualität beigetragen. Zugleich sind möglicherweise schwer untersuchbare neue Dunkelfelder entstanden und es wird auch eine Marktverlagerung in andere Baltische Staaten beobachtet, was so viel bedeutet, die zu lösenden politischen Probleme wurden zum Teil nur territorial verlagert. Die differenzierte Auswertung des Schwedischen Modells gehört insgesamt aber auf jeden Fall in eine Debatte um die besten politischen Lösungen für eine legalisierte Prostitution, die den Prostituierten soziale Rechte und Mitsprache sichert.

4. Sind Sie der Meinung, dass es sich bei Prostitution um eine Arbeit wie jede andere handelt?

Nein, Prostitution ist keine Arbeit, wie „jede“ andere, weshalb eine Entstigmatisierungsdebatte – als öffentliche Aufklärung - ganz oben auf der politischen Agenda steht. Natürlich müssen wir immer fragen, was Prostitution mit der ganzen Gesellschaft macht, was sich nicht zwischen Paragrafen pressen lässt und vom Gesetz klärbar ist, was Prostitution für die Geschlechterverhältnisse bedeutet und auch, wer wen stigmatisiert (Opferdiskurs) und möglicherweise damit gute politische Lösungen verweigert.

An der Debatte der Bundesregierung ist zum Beispiel auffällig, dass sie Argumentationen eines unerträglichen Menschenhandels, denen jeder vernünftige Mensch sofort folgen kann, benutzt werden, um die legalisierte Prostitution neu zu regeln. Nur damit lässt sich die legalisiert Prostitution nicht neu und im Sinne der Prostituierten verbessern. Beim Menschenhandel scheint hingegen weiter Untätigkeit angesagt, wenn es um umfangreichen Opferschutz, Aufenthaltstitel, Beratung und vor allem auch Entschädigung geht. Das ist ein doppeltes Spiel, in dem die eingangs zu verändernden Verhältnisse, die neben anderen Ausbeutungsformen auch Prostitution hervorbringen, außen vor gelassen werden. Fragen Sie zum Beispiel Prostituierte nach ihrer dringlichsten Forderung, so wollen viele nicht zuerst etwas am ProstG verändert haben, aber sie wollen bezahlbaren Wohnraum, damit sie mit weniger hartem sozialen Druck arbeiten können oder damit auch die Chance, in andere Berufe umsteigen, größer wird.

Die politischen Grundorientierungen der LINKEN bezüglich der Prostitutionsdebatten lassen sich daher, wie folgt zusammenfassen:

• Die Regulierung von Prostitutionsstätten soll die Arbeitsrechte und -bedingungen von Prostituierten verbessern
• Es muss ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, dass sich gegen die Stigmatisierung von SexarbeiterInnen wendet.
• In der politischen Debatte muss deutlich zwischen eigen- und selbstbestimmt arbeitenden Prostituierten und Opfern von Zwangsprostitution unterschieden werden
• Die Rechte aller Opfer von Menschenhandel sind weiter zu stärken, auch bei Ausbeutung der Arbeitskraft, bei Organhandel, Anstiftung zu kriminellen Handlungen usw.
• Die Opfer müssen ein sicheres Aufenthaltsrecht erhalten und zwar unabhängig davon, ob sie mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen arbeiten. Sie müssen Zugang zu medizinischer Hilfe erhalten, zur Sprache, zu Ausbildung und zum Arbeitsmarkt. Außerdem müssen sie entschädigt werden, wozu die Bundesregierung einen entsprechenden Fonds einrichten muss.

Beste Grüße
Jan van Aken