Trotz punktueller Entlastungen bleibt DE mit 47,9 % Steuer-/Abgabenkeil weit oben. Die kalte Progression wird nur per Gesetz korrigiert und staut sich dazwischen auf. Warum keine feste Indexierung?
Sehr geehrte Frau Heiligenstadt,
Deutschland hatte 2024 den zweithöchsten Steuer-/Abgabenkeil in der OECD: 47,9% (OECD-Durchschnitt 34,9%). Der Ausgleich der kalten Progression erfolgt nicht automatisch, sondern per Gesetz. Für 2025 wurden die Tarifeckwerte um 2,6%, für 2026 um 2,0% verschoben. Zwischen den Anpassungen akkumuliert kalte Progression. Ich sorge mich, dass hohe Abgaben und ein als schlechter werdend empfundenes "Preis-Leistungs-Verhältnis" die Abwanderung junger Leistungsträger verstärken. Das Ludwig-Erhard-Forum-Gutachten warnt vor "physischer" bzw. "innerer" Emigration. Berichte in der NZZ und WELT greifen dies auf. 2024 war der Wanderungssaldo deutscher Staatsangehöriger negativ (~−87 Tsd.)
https://www.ludwig-erhard-forum.de/wp-content/uploads/2025/02/2025_Kolev_Gutachten_Wohlstand-fuer-Junge.pdf
https://www.welt.de/wirtschaft/plus255400646/Auswandern-Karriere-lieber-im-Ausland-Der-Frust-der-jungen-Leistungstraeger.html
OECD (2025), Taxing Wages 2025
MfG
Hannes S

Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur deutschen Steuerpolitik.
Die hohe Belastung von Arbeitseinkommen in Deutschland ist seit Langem ein Thema, dem wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten widmen. Deshalb haben wir als SPD uns auch mit der Union auf verschiedene Entlastungen und steuersenkende Maßnahmen geeinigt. Denn eine Korrektur der kalten Progression haben wir zwar in den letzten Jahren auch in der Ampel-Regierung vorgenommen, allerdings sollte dabei nicht der Eindruck entstehen, dass Steuerpolitik sich rein auf technische Anpassungen beschränkt.
Wir müssen auch das strukturelle Ungleichgewicht zwischen der Besteuerung von Arbeitseinkommen und Vermögen thematisieren. Während die mittleren und kleineren Einkommen einen Teil ihrer Einkünfte durch die Einkommens- oder Lohnsteuer abführen, bleiben große Vermögen – wie z. B. hohe Erbschaften – unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich unberührt. Diese unzureichende Besteuerung von Vermögen und Erbschaften führt zu einer massiven Konzentration von Vermögensaufwuchs in den Händen weniger. Dies verstärkt die soziale Ungleichheit.
Im Koalitionsvertrag haben wir miteinander vereinbart, die Einkommenssteuern für kleinere und mittlere Einkommen zur Hälfte der Legislaturperiode senken zu wollen. Der weitere Umfang und konkretere Veränderungen sind zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht festgelegt.
Für weitere Fragen oder Rückmeldungen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Frauke Heiligenstadt