Was tun Sie, um die palästinensische Bevölkerung in Gaza vor Vertreibung, Hunger und Tod zu schützen?

Sehr geehrte Frau W.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Täglich sehen wir die Bilder aus Gaza, und auch mich schockieren die Zustände und das Verhalten der israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu. Ich habe in den vergangenen Tagen zahlreiche Zuschriften zu diesem Thema erhalten und möchte Ihnen im Folgenden meine Position darlegen.
Die Lage in Gaza ist dramatisch: Nach den großen Zerstörungen, auch der zivilen Infrastruktur, durch die israelische Armee und die Einschränkungen der Hilfslieferungen für Trinkwasser, Lebensmittel und medizinische Versorgungsgüter internationaler Organisationen durch Israel eskaliert die Hungersnot dramatisch. Israel verweigert eine ausreichende Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung und setzt auf die bei weitem nicht ausreichenden Lieferungen der sog. „Gaza Humanitarian Foundation“, die von Hilfsorganisationen und den Vereinten Nationen nicht als unabhängige und werteorientierte NGO gesehen wird. Bei den wenigen Lieferungen kam es immer wieder zu Tumulten und Tötungen von Zivilist*innen durch das israelische Militär. Während Israel die Versorgung der Menschen in Gaza verhindert, plant die rechtsextreme Regierung Netanjahu die Annexion des Gazastreifens, die komplette Kontrolle über das Gebiet und die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Offen wurde zuletzt auch über Annexionen im Westjordanland gesprochen.
Das Vorgehen Israels ist inhuman und imperialistisch, und ich verurteile als Abgeordnete diese Politik scharf.
Israel hat das Recht, sich gegen die Angriffe aus dem Gazastreifen durch die Hamas zur Wehr zu setzen und die militärischen Stellungen der Hamas auszuschalten, von denen der grausame Angriff am 7. Oktober gestartet wurde. Das aktuelle Vorgehen ist allerdings nicht verhältnismäßig: Wie in jedem kriegerischen Konflikt wird von der internationalen Staatengemeinschaft erwartet, dass sich Kriegsparteien an das Kriegsrecht und das Völkerrecht halten. Das humanitäre Völkerrecht verpflichtet uns immer und ausnahmslos, Zivilistinnen zu schützen. Das gilt selbstverständlich auch für Israel, und aktuell verstößt die israelische Regierung nach der Einschätzung zahlreicher Expertinnen gegen dieses Prinzip.
Israel muss die militärische Besatzung in Gaza und die Blockade von Hilfsgütern und medizinischer Versorgung beenden. Die Annexions- und Vertreibungspläne müssen umgehend gestoppt werden, und es muss ein langfristiger Waffenstillstand zwischen Israel und Palästina geschlossen werden. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass es nur auf der Grundlage von diplomatischen Verhandlungen zu Waffenruhe gekommen ist, Geiseln freigekommen sind und das humanitäre Leid gelindert werden konnte. Die israelische Regierung muss wieder am Frieden in der Region und damit an der Zwei-Staaten-Lösung mitarbeiten.
Klar ist auch: Die Hamas, die mit dem beispiellosen Angriff vom 07. Oktober die Welle der Gewalt der letzten Jahre losgetreten hat, muss die Geiseln freigeben, die seit bald zwei Jahren in ihrer Gewalt sind, und es muss sichergestellt werden, dass es keine weiteren Angriffe durch die verbliebenen Terroristen der Hamas oder deren Verbündete auf Israel geben wird.
Aber was, außer Verurteilungen und Appellen, können wir aus Deutschland gerade überhaupt tun?
Deutschland ist ein enger politischer und wirtschaftlicher Partner Israels. Das Existenzrecht Israels ist aus gutem Grund Staatsräson. Dennoch oder gerade deswegen müssen klare Worte möglich sein. Ich bin froh, dass die Bundesregierung nach anfänglichem Zögern aus der Union nun geschlossener auftritt. Sowohl der Bundeskanzler als auch Außenminister Wadephul haben zuletzt schärfere Töne angeschlagen. Die Bundesregierung hat sich klar zur Zwei-Staaten-Lösung bekannt, dies auch im direkten Austausch durch den Außenminister gegenüber Israel bekräftigt und die Erwartungen für ein Ende der humanitären Blockade und der Vertreibungspläne klar formuliert. Neben den Luftabwürfen von Hilfsgütern (die nur einen kleinen Teil zur Versorgung beitragen können) hat die Bundesregierung die Mittel für die humanitäre Mission erhöht, und gemeinsam mit Partnern wie Frankreich oder Großbritannien wird der politische Druck auf Israel weiter erhöht.
Nachdem die Israelische Regierung zuletzt angekündigt hat, die Militäreinsätze in Gaza auszuweiten und statt auf Diplomatie weiter auf Bomben und Panzer zu setzen, ist es meiner Ansicht nach richtig, dass die Bundesregierung beschlossen hat, keine Rüstungsgüter an Israel zu exportieren, die in Gaza zum Einsatz kommen können. Auch über eine Ganz - oder Teilaussetzung des Assoziierungsabkommens oder eventuell auch Sanktionen gegen die beiden rechtsradikalen ISR-Minister muss diskutiert werden. Auch eine Anerkennung von Palästina als Staat schließe ich persönlich nicht aus, wobei diese eigentlich am Ende eines Friedensprozesses stehen sollte, der jetzt endlich beginnen muss.
Als SPD setzen wir uns in der Bundesregierung seit Wochen für klare Haltung ein und werden es weiter tun. Wir stehen an der Seite der Zivilbevölkerung in Palästina und auch in Israel, wo sich im Übrigen der Widerstand gegen Netanjahu und seine Politik mehrt.
Mit freundlichen Grüßen
Carmen Wegge