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Unions-Politiker attackieren abgeordnetenwatch.de wegen Forderung nach Lobbytransparenz

Seit langem tritt abgeordnetenwatch.de für ein verpflichtendes Lobbyregister ein. Nun haben uns Abgeordnete von CDU/CSU deshalb in einer Bundestagsdebatte massiv angegriffen. Wir seien eine „anmaßende Einrichtung“, sagte der Unions-Politiker Hans-Peter Uhl.

von Martin Reyher, 14.06.2016

 

 

© geldoderleben/flickr/CC BY-SA 2.0


Jetzt soll es also auch noch ein „Informations- und Gesprächswatch geben“, empörte sich der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl kürzlich im Bundestag, als es dort um die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters ging. Uhl und seine Fraktion sind der Meinung, dass es beim Lobbyismus schon ausreichend transparent zugehe.

Doch das ist mitnichten der Fall. abgeordnetenwatch.de musste den Deutschen Bundestag erst verklagen um in Erfahrung zu bringen, welche Interessenvertreter über die Fraktionen einen Hausausweis und damit freien Zugang zu den Abgeordnetenbüros erhalten haben: Seit Beginn der Legislaturperiode waren dies 1.103 Vertreter von Unternehmen, Verbänden und Organisationen, darunter Rüstungskonzerne wie EADS und Krauss-Maffei Wegmann, die Frackinglobby und große Zeitungsverlage, auf deren Betreiben hin im vergangenen Jahr das umstrittene Leistungsschutzrecht eingeführt wurde. Mehr als die Hälfte der Zugangsscheine vergab die Union.

„Abgeordnetenwatch führt das freie Mandat in das Absurde“

Auch wenn die Namen dieser Lobbyisten jetzt öffentlich sind und viele ihren Hausausweis inzwischen wieder abgeben mussten, bleibt der Einfluss von Interessenvertretern auf politische Entscheidungen nach wie vor im Dunkeln. Als einzige parlamentarische Kraft im Deutschen Bundestag will die CDU/CSU, dass dies so bleibt. Die Union ist strikt dagegen dass bekannt wird,

  • auf welche Gesetzentwürfe Interessenvertreter Einfluss nehmen (dies passiert zumeist über die Ministerien),
  • in wessen Auftrag Lobbyagenturen oder Anwaltskanzleien arbeiten,
  • ob frühere Abgeordnete oder Beamte Lobbyarbeit betreiben,
  • wie viel Unternehmen und Verbände für ihre Lobbyaktivitäten ausgeben.

Aus der Sicht von CDU und CSU wollen die Befürworter von mehr Lobbytransparenz vor allem eines: Abgeordnete kontrollieren und bevormunden. „Ich finde es schlimm, dass wir immer intensiver darüber reden, wie die Abgeordneten noch lückenloser in ihrer Arbeit beobachtet werden können“, echauffierte sich der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Bernhard Kaster, in der Debatte. „Der Begriff 'Abgeordnetenwatch', übersetzt: Abgeordnetenbeobachtung, das führt das freie Mandat in das Absurde.“

Verzweifelter Abwehrkampf gegen ein Lobbyregister

In Wirklichkeit zielt ein Lobbyregister jedoch gar nicht auf die Abgeordneten, sondern allein auf Interessenvertreter. Nur sie sollen sich registrieren und Angaben zu ihren Lobbyaktivitäten machen müssen (s.o.) - das freie Mandat wird also in keinster Weise beeinträchtigt. Dies wäre auch gar nicht zulässig, weil es vom Grundgesetz geschützt ist.

Es ist eine verzweifelter Abwehrkampf, den die Union in Sachen Lobbyregister führt: Sie steht mit ihrer Ablehnung ziemlich allein auf weiter Flur und will es nicht einsehen. CDU-Mann Kaster warf den Oppositionsfraktionen am Freitag allen Ernstes vor, sie hätten ihre Anträge für ein verbindliches Lobbyregister nur deswegen auf die Tagesordnung gesetzt, um sich den „Applaus einschlägiger Internetplattformen verschiedener linker Netzwerke“ abzuholen. Tatsächlich fordern inzwischen selbst 78 Prozent der Unions-Anhänger ein verbindliches Lobbyregister, wie eine repräsentative Emnid-Umfrage im vergangenen November ergab (damit liegen sie übrigens genau im Bevölkerungsdurchschnitt). Auch zahlreiche Interessenvertreter schließen sich dem an – sie wollen raus aus der Schmuddelecke. Viele EU-Mitgliedsstaaten haben ein Lobbyregister längst eingeführt, genauso wie Kanada und die USA.

Mit abstrusen Behauptungen gegen ein Lobbyregister

"Anmaßende Einrichtungen wie abgeordnetenwatch.de" CDU-Politiker Hans-Peter Uhl in der Debatte zum Lobbyistenregister auf Antrag der LINKEN.

— Petra Sitte (@Petra_Sitte_MdB) 10. Juni 2016

Ungeachtet dessen versucht die Union, das Lobbyregister mit haltlosen Unterstellungen zu diskreditieren. Vor einiger Zeit stellte sie in Person von Michael Grosse-Brömer, dem ersten Parlamentarischen Geschäftsführer, die abstruse Behauptung auf, auch die Namen von Bürgern würden von einem Lobbyregister erfasst, wenn diese sich mit einem Abgeordneten träfen. Und bei der Bundestagsdebatte am Freitag bemühte der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl sogar die Sowjet-Diktatur, um gegen ein verbindliches Lobbyregister Stimmung zu machen:

„Der Fähigkeit des Abgeordneten zur Einordnung und Abwägung wird nicht vertraut. 'Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser' – dieses Schlagwort, das Lenin zugeschrieben wird, wird heute eher scherzhaft benutzt. Es hat aber im Lauf der Geschichte der Unfreiheit, Regulierung und Bevormundung Tür und Tor geöffnet. Das wollen wir nicht.“

Damit nicht genug, auch gegen abgeordnetenwatch.de teilte Uhl in seiner Rede aus. Wir seien eine „anmaßende Einrichtung“, rief er ins Plenum.

Ja, wir maßen uns an, für ein verbindliches Lobbyregister einzutreten. Wenn Sie dies auch tun, zeichnen Sie unsere Petition "Schluss mit geheimem Lobbyismus!"

Update 27. Juni 2016:

Laut Hans-Peter Uhl braucht es in einer Demokratie keine "Aufpasserorganisationen" wie abgeordnetenwatch.de. In einer Antwort auf mehrere Bürgerfragen schrieb er:

"Theodor Heuss hat Demokratie als Herrschaft auf Zeit bezeichnet. Dem stimme ich sehr zu. Wichtig ist für die Demokratie auch ein lebendiges Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und seinem Abgeordneten. Irgendwelcher "Aufpasserorganisationen" bedarf es dazu nicht."

Dass unsere Arbeit für Hans-Peter Uhl ein Ärgernis darstellt, ist nicht wirklich überraschend. Vor einiger Zeit haben wir beispielsweise öffentlich gemacht, dass der CSU-Abgeordnete im letzten Moment eine verbraucherschutzfreundliche Regelung aus dem umstrittenen Meldegesetz kippte - zur Freude der Adresshändlerlobby. Ohne Uhls Last-Minute-Änderung am Gesetzestext hätte es vermutlich Ärger mit der Wirtschaft gegeben, plauderte damals dessen Wahlkreismitarbeiter aus.

Update 30. Juni 2016:

Die Aussage von Hans-Peter Uhl, in einer Demokratie bedürfe es keiner "Aufpasserorganisationen", hat ein Bürger zum Anlass genommen, sich per Mail an den Abgeordneten und Juristen zu wenden:

Sehr geehrter Herr Uhl,
gerade als studierter Jurist sollten Sie es allerdings besser wissen:
"Theodor Heuss hat Demokratie als Herrschaft auf Zeit bezeichnet. Dem stimme ich sehr zu. Wichtig ist für die Demokratie auch ein lebendiges Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und seinem Abgeordneten. Irgendwelcher "Aufpasserorganisationen" bedarf es dazu nicht."
Wenn das wirklich Ihre Aussage ist – was mich nicht verwundern würde – ist das bestenfalls ein Eigentor.
Natürlich benötigt die Legislative eine Aufpasserorganisation. Nur in Dikaturen – wie jetzt zunehmend schön zu beobachten in der Türkei – werden diese mehr und  mehr mundtot geschlagen.
In einem demokratischen Staat und noch wichtiger – Rechtsstaat – gibt es sogar mehrere dieser Organisationen:
- BVerfG
- BVerwG
- Pressefreiheit
- Versammlungsfreiheit
- Bürgerinitiativen.
Ohne diese ist ein Parlament keinesfalls ein Garant für Demokratie – Sie sind der beste Beweis!! Und gerade wegen Leuten wie Ihnen hat der Souverän Initiativen wie AW mit Pouvoir versehen!
Mit freundlichen Grüßen,

Update 14. Juli 2016:

In einer Antwort an einen Bürger hat uns Hans-Peter Uhl mit totalitären Terrorregimen in Verbindung gebracht. Uhl schreibt, eine Gesellschaft würde unfrei, wenn sie auf die Unvollkommenheit des Menschen und der Gesellschaft „mit immer mehr Aufpasserorganisationen reagieren würde. Im Kommunismus und im Nationalsozialismus ist man den Weg des Misstrauens und der Überwachung gegangen. Auch dem kleinsten und bestgemeinten Ansatz in dieser Richtung sollte man nicht folgen.“

In Bezug auf ein von uns gefordertes Lobbyregister wiederholte Uhl die abstruse Behauptung, auch Bürger müssten damit rechnen, dass ihre Gespräche mit Abgeordneten erfasst würden. Der CSU-Abgeordnete schreibt:

"Zu den Aufgaben eines Abgeordneten gehört es, Bürger anzuhören, die das Gespräch mit ihm suchen. Einen Teil dieser Bürger zu diskriminieren, indem man sie registriert und ihre Namen veröffentlicht, habe ich abgelehnt und deshalb einem diesbezüglichen Antrag die Zustimmung verweigert."

Lesen Sie zu der Antwort von Hans-Peter Uhl auch unseren Artikel "Politiker sieht Gemeinsamkeiten zwischen Nationalsozialismus, Kommunismus und abgeordnetenwatch.de"


Wie CDU und CSU den Bürgern Angst vor einem Lobbyregister machen:

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