Thomas Heilmann lächelt in Nahaufnahme, der Hintergrund ist verschwommen.
Thomas Heilmann
CDU
83 %
25 / 30 Fragen beantwortet
Frage von Dr. Christian D. •

Sehr geehrter Herr Heilmann,, werden Die sich für die Dekriminalisierung von Cannabis einsetzen? Beste Grüße Dr. Dombrowe

Thomas Heilmann lächelt in Nahaufnahme, der Hintergrund ist verschwommen.
Antwort von
CDU

Hallo Dr. Dombrowe, 

ich habe schon ähnliche Fragen bekommen, weswegen ich Ihnen mein aktuelle Position gerne darlege:

Wir brauchen dringend eine Neuregelung. Dabei stelle ich mir eine kontrollierte staatliche Abgabe (zum Beispiel in Apotheken) zu moderaten Preisen vor. Das ist eine ganz andere Form der Legalisierung als sie zum Beispiel in einigen Staaten der USA eingeführt wurde. Denn diese führt zu einer Zunahme des Cannabis-Konsums und ist gegenwärtig auch völkerrechtswidrig. Ich werde Ihnen nachfolgend die leider reichlich komplizierten Einzelheiten und später meinen Vorschlag für eine staatlich kontrollierte Abgabe erläutern. Wegen der vielen ähnlichen Anfragen in den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit den Fragestellungen beschäftigt. 

Würde die gegenwärtige Strategie zu Cannabis funktionieren, müsste der Cannabis-Konsum ähnlich wie der von Alkohol und Zigaretten rückläufig sein. Doch dem ist nicht so: Laut der Europäischen Stelle für Drogenbeobachtung haben in Deutschland bereits etwa 40,7 % (!) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen einmal Cannabis konsumiert. Die allermeisten sind Gelegenheitskonsumenten und 4,1 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen pflegen einen regelmäßigen Konsum (über 10 Mal im Jahr). Diese Zahl hat sich seit 2010 von 2,2 % fast verdoppelt (BZgA, 2010-2018, 2,2 auf 4,1%).

Egal wie man zum Cannabis-Konsum steht, muss man objektiv anerkennen: Die gesetzliche Lage, bei der der Konsum für Erwachsene straffrei, jeder Verkauf aber strafbar ist, erreicht unsere anzustrebenden Ziele nicht. Sie schafft es nicht, den Konsum zu reduzieren und birgt sogar die Gefahr der falschen Sicherheit. Viele junge Erwachsene sehen darin nämlich ein Verbot um des Verbotswillen und wissen zu wenig über die Gefährlichkeit der Droge. Der Dealer um die Ecke oder auf dem Schulhof betreibt nun mal das Gegenteil von gesundheitlicher Aufklärung.

Der Markt für Cannabis ist riesig und liegt fest in den Händen der organisierten Kriminalität. Diese macht sehr gute Geschäfte zulasten der Gesundheit, so ist in den letzten 10 Jahren die Anzahl polizeilich erfasster Fälle des unerlaubten Handelns mit Cannabis nahezu konstant geblieben und nicht etwa gesunken. Dabei sehr bemerkenswert: Nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft ist der Handel mit Cannabis auf dem Schwarzmarkt für organisierte Kriminelle sogar profitabler als z.B. Zuhälterei!

Was bringen unsere gegenwärtigen Verbote, wenn es nicht die Reduktion des Cannabiskonsums bewirkt? Leider geht mit der jetzigen Gesetzeslage eine wenig effektive, aber sehr starke Belastung unserer Polizei und Justiz einher. Die Anzahl der Cannabisdelikte hat sich von 120.000 im Jahr 2010 auf 228.000 im Jahr 2020 gesteigert. Doch dabei handelt es sich in den meisten Fällen nur um geringe Mengen, deren Verfahren in der Regel ohne Verurteilung eingestellt werden (§ 29 Abs. 5 BtMG). Das heißt, es werden abertausende Prozesse gegen Kleinkonsumenten geführt, die dann eingestellt werden müssen. Diese Ressourcen könnte man meines Erachtens besser in den Kampf gegen die organisierte Drogen-Kriminalität investieren.

 Besonders gefährlich beim Cannabis-Boom auf dem Schwarzmarkt ist der Anstieg der synthetischen Cannabinoide, die häufig schädlicher sind als das konventionelleCannabis. In ihnen ist der Gehalt an psychoaktivem THC (Tetrahydrcannabiol) häufig viel höher. So hat sich der durchschnittliche THC-Anteil in Haschisch europaweit binnen eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt (8 % in 2006 auf 17 % in 2016).  Zeitgleich wird der Gehalt an CBD (Cannabidiol) durchschnittlich geringer. CBD ist, vereinfacht gesagt, der Gegenspieler des THC und vermindert die negativen (neurologischen) Reaktionen. Wenn also auf bei Produkten auf dem Schwarzmarkt der Gehalt an THC steigt, während der des CBD sinkt, wird die Cannabis-Droge zu einem gefährlichen Cocktail, der nur noch wenig gemein hat mit dem vermeintlich harmlosen Joint des letzten Jahrhunderts. Wer heute Cannabis auf der Straße erwirbt, kann nur schwer einschätzen, welche Substanz er bekommt und wie gefährlich diese tatsächlich ist.

Ziel jeder klugen Gesetzeslage muss es einerseits sein, den Konsum aller Drogen zu reduzieren und den Konsum durch Minderjährige zu unterbinden. Anderseits muss denjenigen, die ohnehin konsumieren, eine aufgeklärte Entscheidung ermöglicht werden und sie dürfen nicht unwägbaren Substanzen vom Schwarzmarkt ausgeliefert sein. Ein Verbot leistet das bisher nicht.

 Wenn ich Sie richtig verstehe, wäre Ihre Antwort, Cannabis nun mit Alkohol und Zigaretten gleichzustellen und eine dritte Volksdroge zu erlauben.

Ich nehme an, an dieser Stelle unterscheiden sich unsere Ansichten. Gemessen an der Schädlichkeit für die Konsumenten und die Gesellschaft müsste man Alkohol und Tabak umgehend verbieten. Doch diese Drogen sind in unserer Gesellschaft und Kultur über Jahrhunderte derart verwurzelt, dass ein Verbot wohl kaum erfolgreich wäre und einen riesigen kriminellen Markt eröffnen würde. Die Alkoholverbote im letzten Jahrhundert waren alle nicht erfolgreich. 

 Es ist richtig, dass Cannabis im Vergleich zu diesen Volksdrogen in der Breite weniger schädlich ist und insbesondere keine direkten Todesfälle verursacht. Aber heißt das, Cannabis ist ungefährlich und der Staat sollte den Konsum durch eine nahezu schrankenlose Freigabe befördern?  Ich denke nicht. Die Folgen von Cannabiskonsum sind durchaus dramatisch und oft unterschätzt.

 Akut kann der Cannabis-Konsum erhebliche psychische Probleme verursachen wie ausgeprägte Angst- und Panikgefühle, psychosenahe Zustände und Verfolgungswahn. Des Weiteren kommt es häufig zur Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit mit Gedächtnisbeeinträchtigungen. In der Regel führt vor allem ein regelmäßiger und intensiver Konsum zu negativen Folgen. Neben Antriebslosigkeit und Desinteresse am täglichen Leben in Schule oder Beruf kann es auch zu einem depressiven Rückzug aus dem sozialen Leben kommen.

Besonders problematisch, aber noch nicht restlos wissenschaftlich geklärt, sind weitergehende körperliche und psychische Auswirkungen wie Beeinträchtigungen des Hormonsystems und  Entwicklungsstörungen in der Pubertät. Mittlerweile kann als gesichert angesehen werden, dass Cannabis eine Psychose zum Ausbruch bringen und eine bestehende Psychose verschlechtern kann. Solche schizophreniforme Erkrankungen sind durchaus eher die Seltenheit, aber dafür in ihren Folgen umso dramatischer.

 Etwa 9 % der Cannabiskonsumenten entwickeln eine Sucht, wobei die Wahrscheinlichkeit bis 17 % steigt, je früher der Konsum beginnt. Die Zahl der Patienten, die sich cannabisbedingt in stationärer oder ambulanter Suchtbehandlung befinden, hat sich von ca. 23.300 im Jahr 2010 auf über 30.000 Patienten im Jahr 2019 gesteigert.

 Es zeigt sich: Cannabis ist nicht harmlos und darf nicht unterschätzt werden. Insbesondere bedarf es vor dem Konsum einer individuellen gesundheitlichen Aufklärung, um etwa psychosefördernde Veranlagungen zu erkennen und nicht durch den Konsum einen Psychoseausbruch zu riskieren.

 Die aktuelle Handhabe drängt Konsumenten auf Schwarzmärkte mit unwägbaren Substanzen, deren gesundheitsgefährdende Wirkung noch einmal gesteigert ist. Außerdem findet Prävention nur in eingeschränktem Maße statt. In der Schule wird gelehrt, Cannabis sollte nicht konsumiert werden, weil es verboten ist, aber schon auf dem Schulhof ist die Droge bei den Jugendlichen alltägliche Realität und das Verbot scheint unglaubwürdig. Die Tabuisierung führt dazu, dass Jugendliche sich kaum mit den gesundheitlichen Risiken auseinandersetzen.  Außerdem wird Jugendlichen die Beschaffung vereinfacht, da einem Dealer das Alter seiner Kunden egal ist und somit der komplette Markt für Minderjährige offen steht.

 Ich denke, mit meiner Antwort mache ich deutlich, dass die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland aus meiner Sicht einer Neuregelung bedarf. Dieses darf aber nicht zu einem verharmlosenden Umgang mit Cannabis führen, sondern muss im Gegenteil gerade den Konsumrückgang durch Aufklärung zum Ziel haben.

 Ich könnte mir als neue Lösung das Modell einer staatlich regulierten Abgabe vorstellen. So könnte Cannabis zum Beispiel über Apotheken verkauft werden, wenn der Käufer dabei eine schriftliche gesundheitliche Aufklärung erhält und bestimmte Voraussetzungen erfüllt (z.B. Volljährigkeit, geringe Menge und nur zum Eigenbedarf). Dazu müsste geregelt sein, welche Mengen pro Person und Zeitraum erworben werden dürfen, welche Zusammensetzung der Stoff haben muss, welcher THC-Gehalt er nicht überschreiten darf, welche Hersteller für den Verkauf zulässig sind usw.. Der Preis müsste sich an den Preisen auf dem Schwarzmarkt orientieren, sodass es sich für die organisierte Kriminalität möglichst wenig lohnt, ihr Angebot aufrecht zu erhalten. 

 Ich habe mich auch mit der Umsetzung eines solchen Konzepts beschäftigt und bin dabei leider auf ein wesentliches Hindernis gestoßen: Ein bisher ungelöstes Problem bei der Implementierung neuer Cannabis-Regelung stellen völkerrechtliche Verträge dar, die die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet hat und über deren Auslegung juristisch gestritten wird. Wir sind Vertragspartner des UN-Suchtstoffübereinkommens von 1988 (bzw. 1961). Folgt man der strengen Auslegung, verpflichtet das Abkommen die Vertragsstaaten (also auch Deutschland), den Besitz (sowie Erwerb und Anbau) von Cannabis unter Strafe zu stellen. Würden wir den Besitz von Cannabis also legalisieren, würden wir gegen dieses Abkommen verstoßen.

Dies hätte auch insoweit negative Auswirkungen, als das in diesem Abkommen auch die Prohibition weitaus gefährlicherer Drogen wie Heroin oder anderer Opiate geregelt sind, bei denen es von elementarer Bedeutung ist, dass sich die internationale Gemeinschaft auf eine gemeinsames Schutzziel einigt. Würden wir nun einfach aus dem Abkommen aussteigen, wäre es ein Rückschlag für die gemeinsamen Bemühungen zum Schutz vor diesen gefährlichen Drogen.

Allerdings gibt es auch Stimmen, die die entsprechenden Artikel im Abkommen (Art. 2, 5(b) und Art. 4(c)) so auslegen, dass den Vertragspartnern eine gewisse Freiheit eingeräumt wird, neben dem Verbot auch andere Konzepte anzuwenden, die den Konsum einschränken. Folgt man dieser Auslegung, wäre mein vorgeschlagenes Konzept umsetzbar ohne gegen internationale Abkommen zu verstoßen. 

Deshalb sollte die nächste Bundesregierung zunächst auf eine Klärung dieser internationalen Rechtsfrage konzentrieren. Bisher ist diese Frage im Wesentlichen auf der Ebene von Diplomaten verhandelt worden. Gerade weil es auch Veränderungstendenzen in anderen westlichen Ländern gibt, sollten wir m.E. das Thema auf politischer Ebene angehen. Denn genau dort liegt die entscheidende Hürde für ein kontrollierte Abgabe.  

 

Zusammenfassend kann ich Ihnen also antworten:

  • Ich stehe einer Neuordnung der Gesetzeslage zu Cannabis grundsätzlich positiv gegenüber, sofern sie das Ziel erfüllt, den Cannabiskonsum zu reduzieren (so wie wir das erfolgreich, wenn auch nur langsam, bei Alkohol und Tabak auch erreichen)
  • Dabei möchte ich die Konsumenten überzeugen, weniger Cannabis zu konsumieren anstatt mit tatsächlich nur selten vollziehbarer Strafbarkeit zu drohen 
  • Die aktuelle Situation, in der Konsum für Erwachsene erlaubt, der Verkauf aber illegal ist, entfaltet keine ausreichende Wirkung und ist daher unglaubwürdig und zu Recht angegriffen 
  • Eine Neuregelung sollte zum Ziel haben: Tatsächliche Reduktion des Cannabis-Konsums, Förderung gesundheitlicher Aufklärung, Effektiver Schutz von Minderjährigen und Entlastung unserer Polizei und Justiz
  • Konkreter Vorschlag meinerseits wäre eine staatlich regulierte Abgabe an Volljährige zum Eigenbedarf nach gesundheitlicher Aufklärung (auch durch Warnhinweise auf und in der Packung), wenn der Käufer bestimmte Voraussetzungen erfüllt
  • Um diese  Änderung der Cannabispolitik in Deutschland zu ermöglichen, müssen wir zuerst eine Verständigung mit unseren UN-Vertragspartner erreichen. Das sollte politische Priorität der nächsten Legislaturperiode werden. 

Meine Antwort ist ein wenig lang ausgefallen, aber die Lage ist leider kompliziert und erklärungsbedürftig. 

Vielen Dank für Ihr Interesse und für Sie alles Gute.

Ihr Thomas Heilmann

Was möchten Sie wissen von:
Thomas Heilmann lächelt in Nahaufnahme, der Hintergrund ist verschwommen.
Thomas Heilmann
CDU