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Stefan Schmidt
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Frage von Anton S. •

Frage an Stefan Schmidt von Anton S. bezüglich Umwelt

Ungeachtet dessen, das meines Wissens nach der Ausstieg aus der Kohleverbrennung zu spät ist, um ein 1,5 oder 2 Grad Ziel zu erreichen, gibt es derzeit eine sinnvolle Planung die dadurch wegfallende „Energiemenge“ zu ersetzen? Vor allem wenn man beachtet, dass zukünftig mehr nicht fossile Energie im Bereich Verkehr verbraucht werden wird, ist mir keine Berechnung bekannt, nach der dieser Stromverbrauch mit regenerativen Energien zu decken ist.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Frage zum Kohleausstieg und zur Versorgungssicherheit. Um die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Klimaziele noch zu erreichen, müssten die letzten Kohlekraftwerke bis 2030 vom Netz gehen. Der von der Bundesregierung beschlossene Kohleausstieg verfehlt diese Marke und verschiebt den Kohleausstieg auf 2038.
Mit dem Ausstieg aus der Kohle- und Atomenergie werden andere Energieträger diese Lücke schließen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Deutschland bereits 2038 klimaneutral sein wird. Die fossilen Energieträger Erdgas und Mineralöl werden weiterhin Teil des Primärenergiemix sein.

Für uns Grüne steht fest, dass der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern nur in Zusammenspiel mit einer konsequent umgesetzten Energie-, Verkehrs- und Wärmewende funktionieren kann. Dies bedeutet, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien, vor allem die Windenergie und Photovoltaik, vorangebracht werden müssen. Wir streben bei einem klimaneutralen Energiemix keinen rein elektrischen Ansatz an, sondern setzen weiterhin auf einen Mix aus Erneuerbaren Energien, Wasserkraft, Biomasse, Geothermie, synthetischen Kraftstoffen und grünen Gasen. Es kommt hierbei jedoch auf den Anwendungsbereich an. Wo elektrifiziert werden kann, hat dies vor Energieträgern mit höheren Umwandlungsverlusten Vorrang. Zusätzlich benötigen wir einen Ausbau der Stromnetze sowie den Aufbau von Speichern.

In Zukunft sollen z.B. im Verkehrssektor die Erneuerbaren Energien und Wasserstoff den Bedarf decken. Allerdings gehen wir durch die Verkehrswende von einem anderen Energiebedarf und einer anderen Mobilität aus. Mehr ÖPNV und Bahnverkehr. Weniger Individualverkehr. Schifffahrt, Flugverkehr und Schwerlast können über Wasserstoff und grüne Kraftstoffe betrieben werden. Zusätzlich kommt noch eine verbesserte Energieeffizienz in den Bereichen Wärmeenergie, Stromerzeugung und Verkehr hinzu.

Im Gegensatz von der Bundesregierung gehen wir Grüne von einem steigenden Energiebedarf aus und wollen, dass dieser in den relevanten Szenarien berücksichtigt wird. Diese Annahme wird unterstützt vom Szenario Rahmen Netzausbau 2035 https://www.netzausbau.de/SharedDocs/Downloads/DE/2035/SR/Szenariorahmen_2035_Entwurf.pdf;jsessionid=6A66CEBB7F209C3B9A86DA36EEBBB93E?__blob=publicationFile und von der Studie des Verbands der Chemischen Industrie https://dechema.de/dechema_media/Downloads/Positionspapiere/2019_Studie_Roadmap_Chemie_2050-p-20005590.PDF, der sogar von einer Verdoppelung des Strombedarfs ausgeht.

Wir Grüne nehmen die Versorgungssicherheit sehr, sehr ernst. Einige Zahlen zum erhöhten Bedarf finden Sie zum Beispiel beim BDEW https://www.bdew.de/energie/energiewende-wir-machen-tempo/klimaschutz-und-versorgungssicherheit-sind-gleich-wichtig/. Sowohl der BDEW und die Agora Energiewende haben analysiert, welche Maßnahmen zum Erreichen einer erfolgreichen Energiewende notwendig sind. https://www.bdew.de/energie/energiewende-wir-machen-tempo/klimaschutzziele-auch-die-politik-ist-gefordert/ und https://www.agora-energiewende.de/fileadmin2/user_upload/Agora_Kurzanalyse-Kohleausstieg-und-Versorgungssicherheit_10112017.pdf

Wichtig ist, die Versorgung europäisch zu betrachten. Strom hat keine Nationalität und macht auch nicht vor Grenzen halt. Nationale Bilanzen sind nur ein Instrument um etwas unsichtbares besser greifbar und regulierbar zu machen. Aber eine nationale Eigenversorgung war, ist und wird nie möglich sein. Ein europäischer Netzverbund bietet die Möglichkeit Schwankungen großräumig auszugleichen mit Kapazitäten, die die Möglichkeiten eines einzelnen Landes bei Weitem übersteigen. Das Netz ist ein verhältnismäßig günstiger Speicher. https://www.erneuerbareenergien.de/versorgungssicherheit-versus-blackout-die-energiewende-europaeisch-denken
Insgesamt müssen allerdings noch einige Marktbedingungen verändert werden, sodass Preisanreize gesetzt werden, die klimafreundliche Technologien und Geschäftsmodelle fördern anstatt wie heute die Fossilen. Wer heute von zu teurer Technologieentwicklung spricht, ignoriert, dass ein großer Teil der aktuellen Geschäftsmodelle der Industrie auch nur durch Befreiungen von Entgelten und steuerliche Sonderbehandlung, in anderen Worten „Subventionen“, funktionieren. Wir sind nicht für eine staatliche Finanzierung von bestimmten Technologien oder gar Planwirtschaft. Wir fordern stattdessen eine ehrliche Technologieneutralität kombiniert mit einem funktionierendem CO2 Preis, der die tatsächlichen gesellschaftlichen Kosten abbildet.
Schließlich ist noch ein Aspekt, dass Deutschland schon immer Energieimporteur war. Öl, Gas und inzwischen Kohle kommt von überall aus der Welt und niemand hat je den Anspruch geäußert, Deutschland sollte sich stattdessen autark und ausschließlich aus inländischen Quellen (oder auch nur aus europäischen) versorgen. Vorderstes Ziel muss bleiben, vor Ort unserer Verantwortung nachzukommen und hier auszubauen, aber deswegen sollen in Zukunft nicht Handelsbeziehungen mit anderen Ländern für Strom o. eventuell grünen Wasserstoff ausgeschlossen werden. Selbstverständlich existiert dabei die große Herausforderung, dies auch für die Handelspartner nachhaltig zu gestalten, sodass nicht schlussendlich jene für ihre Eigenversorgung auf fossile Brennstoffe setzen. Aber die Alternative zu diesen Herausforderungen ist die Fortführung der erwiesenen Maßen nicht nachhaltigen Energiegewinnung aus Kohle& Co.

MfG Stefan Schmidt

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