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Sevim Dağdelen
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Frage von Nico L. •

Frage an Sevim Dağdelen von Nico L. bezüglich Jugend

Hallo Frau Dagdelen,

ich freue mich heute erstmals diese Seite gefunden zu haben.
Es ist auch neu für mich, dass eine junge Dame sich in den Dunstkreis alter Männer hinein wagt. Damit meine ich Berufspolitiker. Es freut mich zu sehen, dass es politische Menschen gibt aus meinem Geburtsjahrzehnt. Ich interssiere mich auch sehr für Politik und gehe mit einigen ihrer Programmpunkte sehr konform. Nur würde ich nie die PDS wählen, da sie leider eine falsche Ausländerpolitik propagiert.
Nun zu meiner Frage.
Es gab in jüngster Vergangenheit Anschläge von Jugendlichen und sehr viel Leid in unserem Land.
Nun wie steht die PDS (LINKE) zur Verallgemeinerung, dass PC und Videospiele einen grossen Anteil der Schuld übernehmen muss.
Es gibt in Deutschland Filme und Spiele die mit der Kennzeichnung "keine Jugendfreigabe lt. Paragraph 14 Jschg" geschnitten veröffentlicht werden.
Diese USK Kennzeichnung ist gesetzlich binden (ist auch gut so).
Ist es nach ihrer Auffassung notwendig Spiele fuer Erwachsene zu zensieren? Diese Spiele dürfen eh nur an Volljährige verkauft werden. Diese Zensierung wird eh umgangen, da sich die meisten der Spieler es mittlerweile eh im Ausland kaufen.
Wie steht die Linke zur "Killerspieldebatte" auch im bezug auf Paintball und Gotcha.
Welche Vorschläge hat die Linke zu Thema Zensur?
Ich bitte nur um eins, ich bin nicht gegen Jugendschutz usw, also lassen sie bitte bei der Antwort Allgemeines gerede weg und antworten sie ehrlich.
Ich hab mich auch für sie entschieden beim Frage/antwort Spiel, da ihre Antworten bisher einen ehrlich Eindruck hinterlassen.
Anders als bei ihrem Kollegen Wiefelspütz, der sehr arrogant antwortet.

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Antwort von
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Lieber Herr Leonhardt,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu diesem offensichtlich sehr beziehungsreichen Problemfeld. Die jüngsten Vorfälle in Winnenden oder dieser Tage in St. Augustin haben für einen Wimpernschlag die Finanz - und Wirtschaftskrise in den Hintergrund gedrängt.
Die komplexe Ausgangssituation gibt mir Anlass zu einer grundsätzlichen Antwort auf Ihre Frage. Hier lässt sich nicht durch widersprüchliche und falsch ansetzende gesetzgeberische Entscheidungen eine gesamtgesellschaftliche Entgleisung wieder berichtigen.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass letztlich die Gesellschaftsform des Kapitalismus die Ursache für diese Vorkommnisse ist, weil ein deformiertes degeneriertes System eben auch deformierte Menschen herausbildet und deformiertes Verhalten hervorruft. Nehmen wir zur Kenntnis welcher Alters- bzw. Schulklasse die meisten der sogenannten Amokschützen zugehören, erkennen wir schnell, dass die Handelnden vornehmlich männliche Schüler am Scheideweg sind. Die neunte, zehnte Jahrgansgstufe nehmen viele SchülerInnen als Schicksalsjahr wahr. Bereits im frühen Alter wird ihnen dann nämlich klar gemacht ob "Etwas" aus ihnen werden kann oder nicht. Teilweise findet in den Ländern eine Festlegung noch früher statt. So zeitig auf das schulische Abstellgleis gestellte Kinder, etwa auf Hauptschulen, geben ihre Träume sehr früh schon auf, weil sie genau wissen, dass es keine Perspektiven für sie gibt.

Die breit aber hilflos geführte Debatte um PC-Spiele ist dagegen eine Phantomdebatte. Bestenfalls eine Symptomdebatte. Eine Ursachenbekämpfung liegt darin freilich nicht.
Die Ursachen liegen wie gesagt tiefer. In einer kapitalistischen Gesellschaft, die Kriege billigt und fadenscheinig legitimiert und das Militär zu einer einladenden Berufsperspektive hochgejubelt wird, wird der mutwillige Tod und die Tötung zu einem selbstverständlichen Teil menschlicher Kommunikation.
So ist der Einsatz kriegerischer Gewalt das Mittel der Wahl gegen Piraten, statt die ökonomische und soziale Grundlage für die elendsbedingten Handlungsweisen der Mannschaften auf klapprigen aber hochgerüsteten Enterbooten abzuschaffen.
Meiner Meinung nach geht es nicht um eine moralinsaure Erklärung dieser oder jener Gegenstand sei böse; Kartoffelschälen sei gut, Gotcha-Spielen mit realem Anlegen auf ein menschliches Gegenüber dagegen böse. Es geht um die handgreifliche und mörderische Realität des entfesselten Kapitalismus. Die gewaltförmige Durchsetzung von Interessen durch Kriege im Verhältnis nach Aussen - wo auch immer sich das befindet-, bedingt spiegelbildlich die alltägliche Gewalt im Verhältnis der Menschen zueinander. Die verrohende Akzeptanzverschaffung dafür, schafft die hemmungslose Bereitschaft hierfür.
Das unschlüssige Verbot einiger Waffen, verhindert nicht das Blutvergießen mittels anderer Hilfsmittel. Es kann nur ein Risiko verringert werden.
Statt Kriegsspiele zu verbieten, sollte man Kriege verbieten!

Mit freundlichen Grüßen,

Sevim Dagdelen

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