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Sabine Dittmar
SPD
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Frage von Tobas B. •

Frage an Sabine Dittmar von Tobas B. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrte Frau Dittmar,

sie sind Ärztin und Mitglied im Verband für politische Blidung.

Seit geraumer Zeit beschäftige sich gerade Eltern, Lehrer, Wissenschaftler und Ärzte mit den aktuellen Erkentnissen zu der Übertragung von Corona Viren durch Kinder.

Ich vermute Sie tun das gleiche, denn die Gesundheit und Bildung ist ihnen wichtig.

Mit diesen Ansteckungswegen werden die Schließung unserer Bildungseinrichtungen begründet. Nun lese ich u.a. im Ärtzeblatt (Quellen unten) folgende Abschnitte:

"Schon früh in der Pandemie gab es Hinweise, dass Kinder eine eher untergeordnete Rolle als Überträger von SARS-CoV-2 spielen könnten. So berichtete im Februar 2020 das Joint Mission Team der Welt­gesund­heits­organi­sation WHO nach einer Untersuchung des Ausbruchs vor Ort in China, dass keine Ansteckungen von Erwachsenen durch Kinder beobachtet wurden (14). Um diese Vermutung zu überprüfen, wurde die Übertragung in Haushaltsclustern untersucht, da im Rahmen der weltweit bestehenden Isolationsmaßnahmen die Infektionen vor allem dort stattfinden. In mehreren Studien wurde untersucht, ob Kinder als Indexpatienten in Haushaltsclustern fungieren oder ob sie durch Erwachsene infiziert werden. Interessanterweise waren in diesen Studien zusammen in nur ein Prozent (6/590 Clustern) Kinder die Indexpatienten (15, 16, 17). Die Daten zu SARS-CoV-2 unterscheiden sich damit deutlich von Daten zur Influenza: In einer Untersuchung zu Influenza H5N1 waren in 54 Prozent der Fälle Kinder die Indexperson in Haushalts-clustern (16).

Aufschlussreich ist auch eine Untersuchung aus den Niederlanden, bei welcher der altersspezifische Anteil der Übertragung von SARS-CoV-2 analysiert wurde. Hier haben erkrankte Kinder und Jugendliche keine (0/43) Kontaktperson angesteckt, bei erkrankten Erwachsen hingegen infizierten sich neun Prozent (55/611) aller Kontakte (18)."

und weiter:

"Schulschließungen sind Teil der Pandemiepläne

Schulschließungen sind spätestens seit der „Spanischen Grippe“ 1918/19 ein wesentlicher Bestandteil nichtpharmazeutischer Maßnahmen bei Pandemien und auch Teil des Nationalen Pandemieplans in Deutschland (26). Dieser ist von der Vorbereitung auf eine Influenzapandemie geprägt. Kindern kommt dabei eine große Bedeutung zu, da sie Influenzaviren häufiger als Erwachsene übertragen (27). Coronavirus-Infektionen unterscheiden sich aber in ihrer altersspezifischen Übertragung von der Influenza. So gab es während der SARS-Pandemie 2002/03 in China keine dokumentierte Übertragung in Schulen; Schulschließungen wurden in diesem Kontext entsprechend als wenig effektiv bewertet (28, 29). Nach aktuellem Kenntnisstand verhält sich die Situation bezüglich SARS-CoV-2 eher wie bei SARS-CoV-1 und nicht wie bei der Influenza."

Ist den die Verhältnissmäßigkeit, das Wohl der Kinder, das Recht auf Bildung mit den jetzigen Erkentnissen noch ausgewogen? Wird nicht (unabhängig der Digitalisierung der Schule) nicht zu Lasten von Bildung und zu Lasten des Kindeswohls die Kindergärten geschlossen und so eine Überforderung der Familien, der Alleinerziehenden, der kinderreiche Familien an einem Dogma aus Influnza-erkentnissen festgehalten? Welches Kind kommt nicht unter die Räder wenn die Eltern mehrere schulpflichtige Geschwistern betreuen, Homeoffice, Unterichtsplanung, Alttagsleben und Hauswirtschaft versuchen unter einen Hut zu bringen?

Wird der Fachartikel Ihr politisches Abwägen und Ihr Handeln beeinflussen?

Mit freundlichen Grüßen
T..

Quelle

https://www.aerzteblatt.de/archiv/213829/Coronakrise-Kinder-haben-das-Recht-auf-Bildung

Coronakrise: Kinder haben das Recht auf Bildung
Dtsch Arztebl 2020; 117(19): A-990 / B-837
Schober, Tilmann; Rack-Hoch, Anita; Kern, Anna; von Both, Ulrich; Hübner, Johannes

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Bodenstein,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 14.05.2020.

Ihr Anliegen teile ich voll und ganz. Wir müssen es schaffen, dass die Kinder baldmöglichst wieder in Schulen und Kitas können. Das entlastet Familien, insbesondere die Frauen und Kinder. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die epidemiologische Situation vor Ort es erlaubt. Deshalb obliegen diese Entscheidungen auch den jeweiligen Bundesländern.

Wird der Fachartikel mein politisches Denken und mein Handeln beeinflussen? Ein klares Ja. Natürlich erhalte ich zahlreiche Informationen zu diesen und anderen Themen und widme mich ihnen so unvoreingenommen wie möglich. Durch Ausschusssitzungen, Gespräche mit Sachverständigen und meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion bilde ich mir meine Meinung.

Hinsichtlich der Schul- und Kitaöffnungen sind für mich allerdings drei Fragen von zentraler Bedeutung:

1. Sind Kinder seltener gefährdet einen schweren Verlauf der Krankheit durchlaufen zu müssen? Diese Frage wird von dem Großteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mittlerweile seit Monaten bejaht. Kinder haben trotz Infektion statistisch keine oder mildere Symptome.

2. Stecken sich Kinder seltener an? Diese Frage ist in der Wissenschaft bisher umstrittener als in dem Artikel angedeutet. Der in dem Text des Ärzteblatts erwähnte Joint Mission Report der WHO und China verweist bereits darauf, dass es so scheint ("suggest", Seite 11), dass Personen unter 18 Jahren weniger ansteckend seien. Das Problem ist, dass Kinder eben seltener schwere Verläufe der Krankheit durchleben müssen und mit keinen bzw. milderen Symptomen selten bis gar nicht getestet werden. Die Dunkelziffer kann deshalb bei Kindern sehr hoch sein (muss sie jedoch nicht). Um dies herauszufinden bedarf es serologischer Tests auf Antikörper (ebenfalls Seite 11 des Reports). Der Bericht der DGPI kann aus ähnlichen Gründen keine eindeutigen Erkenntnisse liefern, da hier auf die Hospitalisierungsrate geachtet wurde. Kinder sind jedoch aufgrund des meist milden Verlaufes natürlich seltener im Krankenhaus behandelt worden.

3. Sind Kinder weniger ansteckend? Auch in dieser Frage existiert kein eindeutiger Konsens unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die meisten Studien beziehen sich auf Datensätze, welche generiert wurden als Schulen bereits durch den Lockdown geschlossen waren. Insofern sind die Ergebnisse teilweise verzerrt.

Wie Sie sehen, sind ich und meine Kolleginnen und Kollegen in den Landesparlamenten auf weitere Erkenntnisse aus der Wissenschaft angewiesen. Die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger hat oberste Priorität und insbesondere Kindern hätten unter einem zweiten harten Lockdown zu leiden.
Die inkrementelle Wiederöffnung der Schulen in den Bundesländern ist deshalb ein erster gesamtgesellschaftlicher Erfolg. Über weitere Schritte müssen wir in den kommenden Tagen und Wochen weiter mit den verschiedenen Betroffenengruppen und Sachverständigen reden.

Mit freundlichen Grüßen,
Sabine Dittmar

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