Bild von Marcel Emmerich in einem blauen Sakko vor einem grünen Hintergrund.
Marcel Emmerich
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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Frage von Detlev Z. •

Was tun sie persönlich, damit die Bundesregierung sich gegen eine (fatale) "Chatkontrolle" aussprechen wird?

Sehr geehrter Herr Emmerich,

es ist für mich nicht mehr nachvollziehbar, wie unsere Regierung immer öfter die Meinung von Experten einfach so ignoriert. Wie in untenstehendem Link zu sehen ist, sprechen sich praktisch alle Experten auf dem Feld der elektronischen Kommunikation gegen eine Chatkontrolle aus. Warum kann so etwas einfach so ignoriert werden? Es sollte doch jedem einleuchten, dass es eine Kontrolle "nur für die Guten" nicht geben kann. Zudem sollten wir aktuell auch beachten, welche Instrumente wir einführen, da diese Instrumente dann auch einer zukünftig faschistischen Regierung zur Verfügung stehen werden. Ich kann nicht nachvollziehen, wie sich unsere Regierung aktuell zu diesem Thema verhält und hoffe sehr auf Ihre Unterstützung.

Vielen Dank im Voraus!

https://csa-scientist-open-letter.org/Sep2025_de

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Antwort von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sehr geehrter Herr Z.

vielen Dank für Ihr Schreiben. 

Mir ist der Einsatz für die Bürgerrechte im Digitalen ein Kernanliegen. Deshalb teile ich Ihre großen Bedenken hinsichtlich der sogenannten „Chatkontrolle“, die im Rahmen der CSA-Verordnung auf europäischer Ebene verhandelt wird.  

Seit Beginn der Verhandlungen der CSA-Verordnung vor mehr als drei Jahren begleite ich diese Diskussion parlamentarisch und öffentlich kritisch - und trete sowohl für tatsächlich zielführende Instrumente zur Effektivierung der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch und seiner Darstellung als auch für den Schutz und Erhalt digitaler Grundrechte ein. 

Ich unterstützte ausdrücklich die von der Europäischen Kommission angestrebten Ziele zur Bekämpfung und der Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern sowie zum besseren Schutz von Kindern. Jährlich erleiden tausende Kinder und Jugendliche sexualisierte Gewalt und Ausbeutung. Auch Missbrauchsdarstellungen zirkulieren immer häufiger und oft jahrelang im Netz. Eine gesamtgesellschaftliche Verbesserung der rechtsstaatlich entschlossenen Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung in Hinsicht auf Verfolgung, Prävention und Aufklärung drängt. 

Die derzeit im EU-Rat diskutierten Vorschläge gehen jedoch über dieses Ziel deutlich hinaus: Sie würden Anbieter digitaler Kommunikationsdienste verpflichten, die private Kommunikation ihrer Nutzenden massenhaft und anlasslos zu durchsuchen. Dies gefährdet die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und eröffnet Wege für eine flächendeckende Überwachung privater Kommunikation. Ebenso besteht die Gefahr, dass der effektive Bruch der Ende-zu-Ende Verschlüsselung risikoreiche Schwachstellen schafft, die immer auch von Dritten ausgenutzt werden können und somit vor dem Hintergrund der aktuellen Cyberbedrohungslage nicht zu verantworten sind. 

Durch die Fokussierung auf die andauernden Verhandlungen um die verfassungs- und europarechtlich fragwürdige „Chatkontrolle“ bleibt die Implementierung von dringend notwendigen, tatsächlich wirksamen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche bisher weitgehend aus.  

Aus meiner Sicht liegt eine Vielzahl anderer wirkungsvoller Vorschläge vor.  

Dazu zählen unter anderem:  

  • der deutliche Personalausbau bei Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden
  • die Stärkung der Ermittlungsbehörden, beispielsweise durch die Schaffung eines „Quick-Freeze“-Gesetzes und die Nutzung von „Login-Fallen“
  • die Implementierung zielgerichteter Methoden zur Effektivierung der Strafverfolgung im Netz wie Blockchain-Analysen und Netzwerkanalysen zur Aufdeckung und Zerschlagung von Täter*innen-Netzwerken. 
  • eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung des Digital Services Coordinator (DSC) und der Stelle zur Durchsetzung von Kinderrechten in digitalen Diensten (KidD)
  • mehr Präventionsarbeit, beispielsweise auch durch den Einsatz von digitalen Streetworkern, und die bessere Unterstützung von Betroffenen 

Nicht nur ich, sondern auch zahlreiche Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft kritisieren die „Chatkontrolle“ als grundrechtsgefährdendes, unsicheres und unwirksames Mittel, um Kinder und Jugendliche zu schützen.  

Zuletzt haben die Verantwortlichen des Messengerdienstes „Signal“ verkündet, sich bei Einführung der EU-weiten Chatkontrolle aus dem europäischen Markt zurückzuziehen: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/digitales/signal-app-rueckzug-europa-100.html

Deutschland war in der Vergangenheit eine entscheidende Stimme, die Einführung der Chatkontrolle im Rat der EU zu verhindern. Dieser Widerstand droht durch CDU/CSU und SPD zu bröckeln.  

Am 14. Oktober 2025 stimmen die europäischen Justiz- und Innenminister*innen über die Chatkontrolle ab. Als Grüne Bundestagsfraktion fordern wir die Bundesregierung mit Nachdruck auf, sich im Europäischen Rat gegen eine anlasslose Überprüfung jeglicher privaten Inhalte und Speichermedien auszusprechen und stattdessen zielführende Alternativvorschläge umzusetzen, um Kinder und Jugendliche endlich besser zu schützen.  

Unser Ziel ist klar: Wir wollen Kinder und Jugendliche wirksam schützen und zugleich die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger wahren. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden. 

Ich freue mich, Sie bei diesen wichtigen Anliegen an unserer Seite zu wissen.  

Mit freundlichen Grüßen 

Marcel Emmerich 

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