1. Können Sie nachvollziehen, warum viele von uns das Gefühl haben, hier werde ein demokratischer Pakt gebrochen – zulasten der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit?
Hallo,
ich wende mich an Sie, weil ich zutiefst besorgt bin – nicht nur um Einzelne, sondern um unsere Demokratie. Aktuell plant die Bundesregierung offenbar, sichere Herkunftsländer per Rechtsverordnung neu festzulegen – ohne Abstimmung im Bundestag oder Bundesrat. Das wirft die Frage auf: Was bleibt von parlamentarischer Kontrolle übrig?
Für mich fühlt sich das an, als würde man unserem demokratischen Grundgerüst ein Loch verpassen. Denkt man an geflohene Menschen – die durch unvorstellbare Ängste und Erlebnisse gegangen sind – wirkt die Sache plötzlich ganz real: Ihre Geschichten zeigen, wie sehr individuelle Schicksale unter solchen Verfahren leiden.
Mehrere Institutionen, etwa Pro Asyl, sehen das kritisch – gerade bei Ländern wie Algerien, Marokko oder Tunesien, in denen LGBTIQ*-Personen häufig Staat oder Gesellschaft ausgesetzt sind, die sie verfolgen, inhaftieren oder misshandeln . Dennoch soll künftig per Verordnung entschieden werden – ohne jegliches demokratisches Veto.

Sehr geehrter Herr F.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und für Ihre sehr eindrücklichen Worte. Ihre Sorge um unsere Demokratie, den Rechtsstaat und den Schutz geflüchteter Menschen ist absolut nachvollziehbar – und sie trifft einen wunden Punkt, über den wir auch innerhalb der SPD intensiv diskutieren.
Als Parlamentarier und als ihr gewählter Repräsentant ist es meine oberste Aufgabe unsere Demokratie zu verteidigen. Der Schutz von Menschenrechten – insbesondere von vulnerablen Gruppen wie LGBTIQ*-Personen – ist für uns als Sozialdemokrat*innen nicht verhandelbar. Kein Mensch darf in eine Situation zurückgeschickt werden, in der ihm oder ihr Verfolgung, Gewalt oder Diskriminierung droht. Das gilt auch dann, wenn ein Herkunftsland als „sicher“ eingestuft wird. Jeder Asylantrag muss im Einzelfall geprüft werden, und genau das bleibt auch weiterhin so. Die individuelle Schutzbedürftigkeit steht für uns im Mittelpunkt.
Zur Frage der Rechtsverordnung: Ich teile Ihre Sorge, wenn es um eine mögliche Aushöhlung parlamentarischer Kontrolle geht. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen Verordnungen zulässt, ist es aus demokratischer Sicht unerlässlich, dass der Bundestag bei so weitreichenden Fragen einbezogen wird. Aus sozialdemokratischer Sicht gilt: Gesetzgebung gehört ins Parlament. Wir werden uns daher weiterhin dafür einsetzen, dass demokratische Kontrollrechte nicht ausgehöhlt, sondern gestärkt werden.
Gleichzeitig sehen wir auch, dass es in Europa ein gemeinsames Ziel gibt, Asylverfahren zu beschleunigen, um den wirklich Schutzbedürftigen schneller helfen zu können. Die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten – sofern sie rechtsstaatlich überprüfbar und sachlich gerechtfertigt ist – kann ein Baustein dafür sein. Aber sie darf niemals dazu führen, dass Schutz verweigert wird, wo Schutz nötig ist. Die SPD steht dafür, Humanität und Ordnung zusammenzudenken. Beides muss sich gegenseitig stützen – nie ausschließen.
Herzlichen Dank für Ihr Engagement und Ihre wachsame Haltung – sie ist wichtig für unsere Demokratie.
Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Bollmann