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Frage von Sven H. •

Frage an Diether Dehm von Sven H. bezüglich Recht

Guten Morgen Herr Dr. Diether Dehm,
von Ihrer Rede am 8. Mai sprachen sie "dass Schiedsgerichte keine mehr seien und sie nur einen *Sonderstatus* haben", können sie das näher erklären?

Vielen Dank und einen schönes Wochenende!
Sven Hohnsbeen

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Hohnsbeen,

meine Formulierung lautete: " Oder dass Mindestlohn zu Klagen führt, noch dazu vor Schiedsrichtern in lächerlichen Hinterzimmern, die gar keine Gerichte mehr sind, sondern einen Sonderstatus haben?"

Der von mir kritisierte Sonderstatus besteht darin, dass diese Gerichte nicht nationalem Recht unterworfen sind - wir sind doch ein entwickelter Rechtsstaat - also was soll hier eine private Paralleljustiz? Diverse Gutachten (u.a. von der Hans-Böckler-Stiftung oder eines vom BUND in Auftrag gegebenes - das Gutachten der Böckler-Stiftung ist im Text verlinkt, das Gutachten des BUND hängt der Mail an) kommen zum Schluß, dass private Schiedsgerichte sowohl gegen deutsches Verfassungsrecht, als auch gegen Grundregeln des Völkerrechts verstoßen.

Zudem können ausschließlich Unternehmen klagen und das immer dann, wenn sie ihre Investitionen auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks entwertet sehen, beispielsweise durch schärfere Umwelt- oder Sozialgesetze. Verklagt werden Staaten - de facto die Steuerzahler, oft auf Schadenersatz in mehrstelliger Millionen- oder sogar Milliardenhöhe. Als "Richter" fungieren Privatleute, meist Juristen aus großen internationalen Anwaltskanzleien, die also auch noch selbst ein Interesse haben (zumal, je öfter ein Konzern Schadensersatz zu gesprochen bekommt, desto schneller und häufiger werden auch andere dieses Mittel zum Einsatz bringen - was wiederum den an den Schiedsgerichten tätigen Juristen eine Art Jobgarantie verschafft). Die Verhandlungen werden, anders als Prozesse vor ordentlichen staatlichen Gerichten, nicht grundsätzlich öffentlich geführt. Eine Berufungsinstanz gibt es nicht. Hier kann ich mich Hubert Weigers Einschätzung, seines Zeichens BUND-Vorsitzender, voll anschließen: „Es macht einen gravierenden Unterschied, ob Vertreter internationaler Anwaltskanzleien als Freihandelsrichter oder vom deutschen Staat demokratisch und transparent bestimmte Richter solche Entscheidungen treffen.“

Nach Analyse des Rechtswissenschaftlers Siegfried Broß (Gutachter für die Hans-Böckler-Stiftung) kollidieren die geplanten Regelungen an mehreren zentralen Punkten mit Grundgesetz und Völkerrecht:

- Wenn die Bundesrepublik CETA oder TTIP in der gegenwärtigen Form beitrete, verletze dies das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, argumentiert Broß. Denn nach deutschem Verfassungsrecht seien allein ordentliche Gerichte die Instanzen, um über Klagen gegen Staaten zu entscheiden. Das schließe supranationale Gerichtshöfe, etwa im Rahmen der Vereinten Nationen oder EU, nicht aus, wohl aber private Schiedsgerichte.

- In die gleiche Richtung wie das deutsche Verfassungsrecht wirken nach Überzeugung des Juristen die Grundregeln des Völkerrechts. Sie besagen: Privatpersonen und private Institutionen wie Unternehmen sind "nur mittelbar über den jeweiligen ,Heimatstaat´ am Völkerrechtsverkehr beteiligt oder betroffen". Klagen von Unternehmen vor privaten Schiedsgerichten gegen Staaten passten nicht in dieses System.

- Weiche man davon ab, könnten "parlamentarische Mitwirkung und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts" durch Urteile von dazu nicht legitimierten Einrichtungen unterlaufen werden. So werde "auf dem Weg einer zwischenstaatlichen Vereinbarung über den Freihandel materiell die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in einem Staatsorganisationsprinzip geändert". Und das sei nicht einmal mit verfassungsändernder Mehrheit des Bundestages möglich.

- Nicht akzeptabel seien schließlich Prozesse hinter verschlossenen Türen. Öffentliche Verhandlungen gehörten zu den elementaren Qualitäten rechtsstaatlicher Gerichtsverfahren, so Broß. Zumal das Argument, es müssten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt werden, nicht überzeuge. Die nationalen Prozessordnungen im Patent-, Wettbewerbs- oder Gesellschaftsrecht hätten dafür längst praktikable Regeln gefunden.

Im Verhältnis von EU, USA und Kanada, also Regionen mit funktionierenden Rechtssystemen, spreche ohnehin wenig für überstaatliche Schiedsgerichte. Wolle man trotzdem partout supranationale Strukturen schaffen, etwa um Standards für spätere Freihandelsabkommen mit anderen Ländern zu setzen, ließen sich diese allenfalls als "Staatsschiedsgerichte" verwirklichen, schreibt der Rechtswissenschaftler. Wenn "Vertreter der Vertragsstaaten mit Zustimmung der nationalen Parlamente" als Richter berufen würden, sei das verfassungskonform und biete noch einen Vorteil: Ein dermaßen demokratisch legitimiertes Staatsschiedsgericht habe die Kompetenz, später auftretende Lücken und Schwächen im Vertrag durch seine Urteile zu korrigieren.

*Quelle: Siegfried Broß: Freihandelsabkommen, einige Anmerkungen zur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Report der Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr.4. Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_report_2015_4.pdf

Mit freundlichen Grüßen
Diether Dehm