Frage zum Arbeitsbegriff: Warum zählt für Sie offenbar nur die bezahlte Arbeit, während in Deutschland mehr Arbeitsstunden unbezahlt geleistet werden (Care, Demokratiearbeit, Freiwillige Feuerwehr..)?
Sehr geehrte Frau Schmidt,
wie ich Ihrer Website entnehme (https://dagmarschmidt.de/politische-arbeit/) steht für Sie "die arbeitende Mitte im Mittelpunkt". Deshalb sollen Einkommen entlastet werden und Löhne steigen. Den großen Anteil der unbezahlten Arbeit, u.a. Care, aber auch bürgerschaftliches Engagement, die übrigens überwiegend von Frauen geleistet wird und ohne die es keine Erwerbsarbeit und auch keine Demokratie geben könnte, erwähnen Sie nicht. Wenn Sie hier https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/grundeinkommen-studie-108.html korrekt zitiert werden, halten Sie es sogar für ungerecht, wenn die Menschen, die die unbezahlte Arbeit erledigen, ihre Existenz von der Gesellschaft gesichert bekommen.
Woher kommt Ihre Ignoranz, geradezu Verachtung, gegenüber der unbezahlten Arbeit und den Menschen, die sie tun?
Wie wollen Sie eine (demokratische) Gesellschaft ohne Care- und Demokratiearbeit, ohne Ehrenamt usw. organisieren?
Was halten sie von "Bullshit Jobs"?
MfG
Eric M.

Sehr geehrter Herr M.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre durchaus berechtigte Nachfrage. Bevor ich Ihnen antworte, will ich jedoch Ihren Vorwurf, ich sei unbezahlter Arbeit gegenüber ignorant und begegne den Bürgerinnen und Bürgern, die sie leisten mit Verachtung, entschieden zurückweisen. Mitnichten ist das der Fall!
Für mich und für die SPD-Bundestagsfraktion zählen sowohl bezahlte als auch die unbezahlte Arbeit. Wenn ich von der „arbeitenden Mitte“ spreche, dann geht es um alle, die täglich zum Funktionieren unserer Gesellschaft beitragen – ob in Lohnarbeit, in der Familie, im Ehrenamt oder im Engagement für unsere Demokratie. Dass ich mich in meinen Kanälen häufig auf Löhne, Tarifbindung und Rente beziehe, liegt daran, dass diese Themen gesetzgeberisch bei mir im Arbeitsbereich angesiedelt. Es heißt aber nicht, dass Care-, Ehrenamts- und Demokratiearbeit für mich oder die SPD-Bundestagsfraktion weniger wert wären. Auch der von Ihnen gemachte Vorwurf lässt sich daraus nicht konstruieren. Wir wissen sehr wohl, dass in Deutschland mehr Stunden an unbezahlter als an bezahlter Arbeit geleistet werden – und dass Frauen hiervon überproportional viel tragen (Stichwort Gender Care Gap). Und Sie haben absolut Recht, ohne diese Arbeit würde diese Gesellschaft wohl nicht funktionieren. Das müssen Politik und Gesellschaft ernst nehmen. Aber wir haben insbesondere bei der Care-Arbeit eine große Herausforderung: Sie wird im privaten Raum erbracht. Es ist kaum möglich, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die etwa darauf abzielt, Männer und Frauen zu gleichen Teilen an der Care-Arbeit zu verpflichten. Aber wir können sehr wohl die Rahmenbedingungen ändern, die zu dieser Verschiebung führen, in der Frauen bisher den überwältigenden Anteil an Care-Arbeit leisten. Wir sollten gemeinsam denen gegenübertreten, die behaupten, dass Frauen zu wenig und maximal halbtags arbeiten wollen, obwohl es so oft der Fall ist, dass sie durch die geleistete Care-Arbeit gar nicht mehr arbeiten können. Auch gegen solche Behauptungen habe ich bereits öffentlich argumentiert.
Praktisch geht es darum, anzuerkennen und abzusichern, was Menschen unbezahlt leisten. Dazu zähle ich vor allem Rentenpunkte für pflegende Angehörige, denn wer zu Hause pflegt, erwirbt – unter bestimmten Voraussetzungen – Rentenansprüche. Das ist bereits heute gelebte Anerkennung von Care-Arbeit. Bei akuten Pflegesituationen gibt es bis zu zehn Tage Lohnersatz pro pflegebedürftiger Person. Wir haben diese Regelung in der vergangenen Wahlperiode gestärkt, damit Angehörige kurzfristig handeln können. Dagegen haben wir es leider nicht geschafft, das Ehegattensplitting zu reformieren, sodass das oftmalige „Zuhausebleiben“ von Frauen steuerlich nicht mehr belohnt wird. Hingegen sind wir beim Abbau der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen insbesondere dank des gewerkschaftlichen Einsatzes bei den Tarifverträgen und -abschlüssen ein gutes Stück weitergekommen.
Wir wollen, dass Care-Arbeit und Beruf vereinbar sind: Durch bessere Kinderbetreuung, funktionierende Ganztagsbetreuung und wo es möglich ist, durch flexiblere Arbeitszeiten und mehr Partnerschaftlichkeit. Das ist der rote Faden meiner Arbeit – und das hat in der Tat sehr viel mit Löhnen und Tarifbindung zu tun, aber eben nicht nur damit. Dass ich „die arbeitende Mitte“ adressiere, heißt ausdrücklich auch: Eltern, Pflegende, Vereinsvorstände, Wahlhelferinnen und Feuerwehrleute.
Sie sprechen weiterhin das Ehrenamt an, das ich von der Care-Arbeit noch einmal gesondert betrachten möchte. Richtig ist, dass wir auch diejenigen besserstellen wollen, die sich ehrenamtlich engagieren. Viele Bürgerinnen und Bürger haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder darauf hingewiesen, dass das Ehrenamt als zu selbstverständlich angesehen wird. Und das sehe ich gleichfalls so. Seit 2014 hat die SPD-Bundestagsfraktion immer wieder Vorschläge zu einer solchen Besserstellung gemacht. Ein wichtiger Schritt war dann 2020 der Aufbau der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Sie stärkt seit knapp fünf Jahren das ehrenamtliche Engagement. Die Übungsleiter- und Ehrenamtspauschale (bis zu 3.000 € bzw. 840 € im Jahr) entlasten Engagierte auch steuerlich; das ist kein „Taschengeld“, sondern Achtung vor Zeit und Verantwortung. Zudem sind z. B. Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr gesetzlich unfallversichert. Über die Erhöhung der Pauschalen diskutieren wir dabei regelmäßig.
Zur Debatte über ein Bedingungsloses Grundeinkommen: Ich respektiere jede ernsthafte Forschung dazu und strafe ganz sicher niemanden mit Verachtung, der sich für ein solches Grundeinkommen einsetzt. Meine Position ist jedoch: Sicherheit ja – aber bedarfsorientiert, fair finanziert und mit guten Arbeits- und Zeitrechten. Dafür haben wir das Bürgergeld eingeführt und ausgebaut (mit stärkeren Qualifizierungsangeboten und einer Regelbedarfs-Fortschreibung, die die Lebenswirklichkeit besser abbildet). Ein bedingungsloser Transfer an alle – unabhängig von Bedarf und Einkommen – überzeugt mich weder sozial noch fiskalisch. Und damit bin ich nicht allein. Kritik gab es auch von Sozialverbänden, denn die Basisannahme, von der das Bedingungslose Grundeinkommen gedacht wird, ist der gesunde, arbeitsfähige Bürger. Modelle für ein Grundeinkommen behandeln selten Fälle, in denen Bürgerinnen und Bürger mit einer geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung oder chronischen Krankheit Bedarfe über das Grundeinkommen hinaus haben bzw. geben ungenügende Antwort auf die Frage, wie dieser Mehrbedarf finanziert werden soll.
Um auf Ihre letzte Frage einzugehen, was ich von „Bullshit Jobs“ halte, bin ich so frei und antworte darauf, wie ich zum arbeitssoziologischen Konzept der „Bullshit Jobs“ selbst stehe. David Graeber hat mit seinem Konzept sicher einen wunden Punkt getroffen. Es gibt Tätigkeiten, die für die Ausübenden sinnlos wirken. Mein Ansatz ist nicht, Menschen oder Branchen abzuwerten, denn wenn ein Unternehmen der Meinung ist, einen Job zu schaffen, den Graeber als „Bullshit Job“ bezeichnet, dann liegt es nicht an mir, das zu unterbinden. Vielmehr sollten wir über Sinn und gesellschaftlichen Nutzen von Arbeit sprechen, wenn wir mehr Personal und bessere Bedingungen in Pflege, Bildung und öffentlicher Daseinsvorsorge in den Blick nehmen und weniger darüber, was überflüssige Jobs sind. Es ist an uns, für bessere Arbeitsbedingungen in diesen dringend notwendigen Berufen zu sorgen. Bessere Tarifstandards, Digitalisierung, die Arbeit entlastet statt verdichtet – das ist konkrete Politik gegen „Bullshitisierung“ durch bessere Prioritäten und nicht durch Verachtung von Erwerbsarbeit.
Wer mich kennt, weiß dass ich die Wichtigkeit von Care-Arbeit, Ehrenamt und demokratischer Selbstorganisation immer als besonders wichtig empfunden habe. Arbeit, die oft unsichtbar, aber unverzichtbar ist. Wofür ich streite, ist Respekt, Zeit und Sicherheit für alle Formen von Arbeit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Dagmar Schmidt, MdB