Portrait von Dagmar Freitag
Dagmar Freitag
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Dagmar Freitag zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Alexander L. •

Frage an Dagmar Freitag von Alexander L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Freitag,

da Sie an o.g. Beschluss nicht beteiligt waren, würde ich gerne auf diesem Wege mehr dazu erfahren, wie Sie sich in der Fragestellung positionieren, ob zukünftig die Tendenz stärker in Richtung eines gläsernen und unter Generalverdacht stehenden Bürgers gehen soll. Mit Sorge betrachte ich sowohl die immer neuen Vorstöße einiger regierender Koalitionsgenossen, sowie die im aktuellen Beschluss demonstrierte Breite Front derer, die diese verfrüht und leichtfertig trotz breiter Proteste unterstützen.

Die Art und Weise, wie im Vorfeld eine sachliche Diskussion durch einige Protagonisten wie Herrn Schäuble geführt / unterbunden wurde und berechtigte Ängste und Interessen ignoriert wurden, um ein solches Gesetz noch vor der Prüfung auf Rechtmäßigkeit durchzuprügeln, trägt nicht gerade dazu Vertrauen in unsere gewählten Vertreter aufzubauen.

Bei soviel angedachter Einschränkung stellt sich für mich ernsthaft die Frage, ob die übrigbleibende Freiheit überhaupt noch in dem Maße schützenswert ist, dass sie eines solchen Aufwands bedarf.

Mit freundlichen Grüßen,
Alexander Langer - Iserlohn

Portrait von Dagmar Freitag
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Langer,

Sie haben mich wegen der Novelle zum Telekommunikationsüberwachungsrecht ange­schrieben. Gern möchte ich Ihnen hierzu ausführliche Informationen geben:

Das Gesetz
1. novelliert die geltenden Vorschriften der StPO zur Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen
2. setzt die EU-Richtlinie zur sog. Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
3. sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen

Ziel der Novelle ist es, die verfassungsrechtlich gebotene effektive Strafverfolgung so grundrechtsschonend wie möglich zu gewährleisten. Deshalb wird eine Telefonüberwachung künftig nur noch bei schweren Straftaten zulässig sein, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Haft bedroht sind. Ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen, ist eine Telefonüberwachung von vornherein verboten. Insbesondere bei den Berufsgeheimnisträgern wird der nach geltendem Recht vorhandene Schutz nicht nur vollumfänglich erhalten, sondern ausgebaut. Zudem sorgen verfahrenssichernde Regelungen wie Benachrichtigungspflichten, einheitliche Löschungsregelungen und ein umfassender nachträglicher Rechtsschutz für so viel Grundrechtsschutz wie noch nie zuvor im Bereich der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Die Novelle im Einzelnen:
1. *Novellierung der Vorschriften zur Telefonüberwachung*

Veränderter Straftatenkatalog
Der *Katalog der Straftaten*, zu deren Aufklärung eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO angeordnet werden kann, wird *auf schwere Straftaten begrenzt:* Alle Straftaten, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, werden gestrichen (z.B. fahrtlässige Verstöße gegen das Waffenrecht, Anstiftung/Beihilfe zur Fahnenflucht durch Nicht-Soldaten, Verstöße gegen das Vereinsgesetz).

*Neu in den Katalog* aufgenommen werden schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität (Korruptionsdelikte, gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug, gewerbs- oder bandenmäßige Urkundenfälschung, schwere Steuerdelikte, wie etwa der gewerbs- oder bandenmäßige Schmuggel sowie alle Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen), alle Menschenhandelsdelikte sowie jede Form der Verbreitung von Kinderpornographie.

Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung Selbst wenn es um die Aufklärung schwerster Straftaten geht, *darf in den Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht eingegriffen werden*. Der Gesetzesvorschlag enthält deshalb bei der Telekommunikationsüberwachung ein ausdrückliches Erhebungs- und Verwertungsverbot für Kommunikationsinhalte aus diesem intimsten Bereich. Wenn also in einem Telefonat über innerste Gefühle oder höchstpersönliche Überlegungen gesprochen wird, ist die Überwachung des Telefonats unzulässig. Wird es gleichwohl abgehört, dürfen daraus gewonnene Informationen keinesfalls in einem Strafverfahren verwertet werden. Damit werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung vom 27. Juli 2005 (1 BvR 668/04 - Nds. SOG - BVerfGE 113, 348 ff.) umgesetzt.

Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen
Für Personen, die als Berufsgeheimnisträger nach § 53 StPO eine besondere Stellung haben, gilt:

o Das Zeugnisverweigerungsrecht in der Vernehmung bleibt unverändert.

o Der Schutz der Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte, Journalisten, Rechtsanwälte) wird künftig auf alle Ermittlungsmaßnahmen erstreckt (galt bislang nur für einzelne Maßnahmen) und damit in umfassender Weise verbessert.

o Bisherige Schutzvorschriften wie die Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) oder das Verbot der Wohnraumüberwachung bei Berufsgeheimnisträgern (§ 100c Abs. 6 StPO) bleiben uneingeschränkt bestehen.

Im Einzelnen:
* Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete werden durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote bei allen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt. Aufgrund ihrer verfassungsrechtlich besonderen Stellung werden sie von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die ihnen in dieser Eigenschaft anvertrauten Informationen und die Umstände der Informationsübermittlung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat das unter Hinweis auf die Menschenwürde und den in ihr begründeten Kernbereich privater Lebensgestaltung für Gespräche mit dem Seelsorger und mit dem Verteidiger gefordert. Für Abgeordnete ist dieser absolute Schutz ebenfalls notwendig, denn sie werden um der Funktionsfähigkeit des Parlaments willen schon durch das Grundgesetz besonders geschützt (Immunität, Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahmeschutz).

Aber auch der besondere Schutz aller anderen Berufsgeheimnisträger (z.B. *Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten)* wird nicht nur erhalten, sondern ausgebaut. So wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen *nur nach einer sorgfältigen Abwägung im Einzelfall* einbezogen werden dürfen.

*2. Vorratsdatenspeicherung*

Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) muss in deutsches Recht umgesetzt werden. Ihrer Verabschiedung sind lange, zähe Verhandlungen auf europäischer Ebene vorausgegangen, in deren Verlauf es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen ist, möglichst grundrechtsschonende Regelungen zu vereinbaren. So ist die Mindestspeicherdauer auf 6 Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt worden. Auch bei der Frage, welche Daten gespeichert werden, hat sich Deutschland mit seiner restriktiven Linie durchgesetzt. So sind zum Beispiel keine Angaben über aufgerufene Internetseiten zu speichern.

*Was wird gespeichert?*

Es werden *nur* Verbindungsdaten gespeichert, *keine Telekommunikationsinhalte*. Telekommunikations´verbindungs´daten sind Daten, aus denen sich ergibt, von welchem Anschluss aus zu welchem Anschluss hin wann und wie lange telekommuniziert wurde; also die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen. Viele TK-Unternehmen speichern diese Daten schon heute zu geschäftlichen Zwecken; für Abrechnungszwecke ist das 6 Monate lang zulässig § 97 Abs. 3 Satz 3 Telekommunikationsgesetz (TKG).

Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (angewählte Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den *Inhalt *der Kommunikation geben, dürfen dagegen *nicht* gespeichert werden.

Zu den Telekommunikationsverbindungsdaten gehören neben Telefonverbindungen auch solche Verbindungsdaten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden.

Auch in diesem Bereich werden *nur* Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, dass eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP) zu einem bestimmten Zeitpunkt online war, *nicht *dagegen, welche Seiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hat. Gleiches gilt auch bei der Internettelefonie.

*Wie lange wird gespeichert?*

Viele der beschriebenen Daten können (und werden in vielen Fällen) schon nach geltendem Recht von den Telekommunikationsunternehmen für geschäftliche Zwecke zwischen 3 und 6 Monaten gespeichert. Neu ist, dass die Unternehmen künftig nicht nur speichern *dürfen*, sondern entsprechend der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für 6 Monate speichern *müssen*, damit eine effektive Strafverfolgung gewährleistet ist.

*Wer hat Zugriff auf die Daten?*

Die Daten werden - wie bisher -- *nur *beim TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich *nur* dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen dieses viel diskutierte Thema etwas verständlicher machen.

Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Freitag