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Christoph de Vries
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Frage von Fabian H. •

Frage an Christoph de Vries von Fabian H. bezüglich Bundestag

Guten Tag Herr de Vries,

die Bundestagswahl 2021 sendet schon erste Grüße in der Form, dass der Bundestagspräsident "Notlösungen" für das Wahlrecht in die Diskussion bringt.

Das Bundestagswahlrecht ist seit Jahren bzw. Jahrzehnten mit Problemen bis hin zur Verfassungswidrigkeit belastet. Seit 2013 versuchen die im Bundestag vertretenen Parteien eine Lösung zu finden, damit die Zahl der Abgeordneten nicht mehr erheblich über der Norm liegen kann - ohne Ergebnis.

Die Wahl ist die einzige direkte Einflussmöglichkeit der Bürger:innen auf den Bundestag. Ich verstehe es nicht, warum Probleme beim Wahlrecht so lange brauchen, bis sie gelöst werden. Wenn ich jetzt lese, dass der Bundestagspräsident Schäuble "Notlösungen" vorschlägt, läuten bei mir alle Alarmsignale. Spätestens jetzt müssten alle Abgeordneten das Wahlrecht zu einer höchsten Priorität machen.

- Welche Priorität genießt das Thema Wahlrechtsreform bei Ihnen?
- Was haben Sie unternommen, um ein legales bürger:innenfreundliches Wahlrecht herbeizuführen, das den Bundestag nicht "explodieren" lässt?
- Was werden Sie in den nächsten Wochen und Monaten in dieser Hinsicht unternehmen?
- Wissen Sie, was sich die Bürger:innen in Ihrem Wahlkreis hinsichtlich des Bundestagswahlrechts wünschen? (Ich wünsche mir z.B. Abstimmung über Wahlrechtsänderungen per Volksentscheid, Abschaffung der 5% Hürde, Mehrmandatswahlkreise - wie in Hamburg, geringeren Einfluss der Parteilisten auf die Zusammensetzung des Bundestags)

Beste Grüße
F. H.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Hanneforth,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage zu einer Wahlrechtsreform.

Auch ich halte eine Reform des Wahlrechts, die den Bundestag wieder in die Nähe der vorgesehenen Mandatszahl von 598 zurückführt, für sehr wünschenswert.
Allerdings sehe ich im derzeitigen Wahlrecht keine Verfassungswidrigkeit. Es waren vielmehr verfassungsrechtliche Vorgaben zum Ausgleich der Überhangmandate, die neben den aktuellen Wahlergebnissen (relativ viele gewonnene Wahlkreise durch die Union bei relativ schwachem Zweitstimmenergebnis) zu der jetzigen Situation mit 709 Abgeordneten geführt haben.
Dies ist einerseits nicht gut für die Arbeit des Parlaments, erhöht zudem die Kosten und beschneidet schließlich die Bedeutung des einzelnen Abgeordneten - verfassungswidrig ist es jedoch nicht.

Die Äußerungen von Bundespräsident Wolfgang Schäuble sind Kompromissvorschläge und keine "Notlösungen", es sind Versuche eine festgefahrene Diskussion aufzubrechen, indem beiden Seiten Konzessionen gemacht werden.

Unser Wahlrecht mit den Elementen der Wahlkreisabgeordneten, die mit relativer Mehrheit durch die Erststimme gewählt werden (personales Element), mit dem Abbilden der Mehrheitsverhältnisse proportional zum Zweitstimmenergebnis (Verhältniswahl) und der Verteilung der Mandate nach Einwohnerzahlen und erhaltenen Stimmen auf Länder und Landeslisten (föderales Element) hat sich bewährt.
Es erscheint mir bürgerfreundlich, verständlich und von der Bevölkerung akzeptiert. Insofern sehe ich keine Notwendigkeit für einen radikalen Paradigmenwechsel, sondern eher für eine Reform im bestehenden System.

Diese Reform wird derzeit von den Medien nur in einer Richtung debattiert, nämlich der Verringerung der Anzahl der Wahlkreise, wie es vor allem FDP, Grüne und Linke wollen, die bisher nur sehr wenige Direktmandate erringen.
Die Probleme kommen jedoch nicht von den Direktmandaten, sondern durch den Ausgleich der Überhangmandate zustande. Insofern wäre es auch möglich und sinnvoll, diesen Ausgleich zu begrenzen, dies ist verfassungskonform möglich, wird jedoch von den kleineren Parteien abgelehnt.

Für die Union ist jedoch der Erhalt der Wahlkreise von hoher Bedeutung. Wahlkreisabgeordnete sind Ansprechpartner für die Bürger, sind bei Vereinen, Organisationen, Firmen und Gewerkschaften präsent und kennen deren Anliegen und Sorgen.
Sie sind regional verwurzelt und kennen ihre Wahlkreise sehr gut. Sie bringen die regionalen Spezifika ins Parlament, auch und gerade die Anliegen der Menschen in ländlichen Räumen. Um den Bundestag maßgeblich zu verkleinern wäre eine erhebliche Reduzierung der Wahlkreise nötig. Damit wäre aber eine Präsenz der Abgeordneten und ihre Kenntnis der Gegebenheiten vor Ort nicht mehr zu leisten. Bereits heute gibt es Wahlkreise, die mehr als doppelt so groß sind wie das Saarland.
Um meine Haltung zusammenzufassen: Die Wahlrechtsreform hat für mich auch in den herausfordernden Zeiten von Corona hohe Priorität, jedoch nicht um jeden Preis, Kompromissbereitschaft ist auf allen Seiten gefordert.
Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Wochen Versuche unternommen werden, hier zu einer Lösung zu kommen. Jeden ausgewogenen Lösungsvorschlag werde ich unterstützen.

Ihre Wünsche bezüglich des Bundestagswahlrechts nehme ich sehr gern zur Kenntnis, kann sie jedoch nur bedingt teilen. So sehe ich zum Beispiel die Abschaffung der 5%-Hürde äußerst kritisch.
Im Europäischen Parlament hat das dazu geführt, dass Spaßparteien wie "Die Partei" und andere Parteien die Spezialinteressen vertreten, ins Parlament eingezogen sind. Auch in Deutschland hätten wir neben "Die Partei"
auch Ein-Themen-Parteien wie zum Beispiel Tierschutzparteien oder Senioren- bzw. Familienparteien im Parlament. Dies erschwert nicht nur die Mehrheitsfindung, es macht Politik auch volatil, wenn von Kleinparteien fast ohne Mitglieder der Fortbestand von Regierungen abhängt.
Das Hamburger Wahlrecht taugt für mich - auch aus persönlicher Betroffenheit - nicht als Vorbild für den Bund. Es führt zu einer Auswahl von Kandidaten, die nur ein Bruchteil der Wähler überhaupt kennt, nach Beruf und Wohnort und die Leistung bleibt dabei vielfach auf der Strecke. Hinzu kommt die hohe Komplexität, die zu einer Vervielfachung ungültiger Stimmen geführt hat und nachweislich zu einer höheren Wahlabstinenz sozial schwächerer Wähler führt. Man könnte sagen, dass es in gewissem Maße besser Gebildete bevorzugt. Das finde ich unter demokratischen Gesichtspunkten bedenklich.
Ob es sinnvoll ist, die politische Willensbildung und die Kandidatenfindung der Mandatsträger mit weniger Einfluss der Parteien zu gestalten, daran habe ich erhebliche Zweifel. Richtig ist allerdings, dass die Parteien die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung stärker bei der Meinungsfindung einbeziehen und als Mitglieder und Mitmacher gewinnen müssen. Das kann aber nur dann gelingen, wenn die Bereitschaft jedes Einzelnen zum politischen Engagement vorhanden ist. Insofern kann ich Sie nur ermutigen, sich selbst einzubringen und sich in einer Partei zu engagieren.

Mit freundlichen Grüßen

Christoph de Vries

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