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Britta Haßelmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Harry N. •

Frage an Britta Haßelmann von Harry N. bezüglich Gesundheit

Wie haben Sie bei der Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes abgestimmt?
Mit freundlichen Grüßen aus Brackwede
Harry Nissen

Portrait von Britta Haßelmann
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Nissen,

herzlichen Dank für Ihre Nachricht zum Vierten Bevölkerungsschutzgesetz.

Die pandemische Lage hat sich merklich entspannt, was zur Zeit der Verabschiedung noch nicht absehbar war. Wir befanden uns in der dritten Welle der COVID 19-Pandemie. Um diese zu brechen und eine Überlastung unseres Gesundheitssystems abzuwenden, brauchten wir konsequente und verhältnismäßige Maßnahmen. Eine bundesgesetzliche Regelung der wesentlichen Fragen der Pandemiebekämpfung durch den Bundestag war seit langem überfällig und wurde von CDU/CSU und SPD zu lange verschleppt. Eine epidemische Lage nationaler Tragweite brauchte auch eine nationale Antwort.

Wir hielten es deswegen für richtig, dass nun eine bundeseinheitliche Notbremse beschlossen wurde. Um eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern, haben wir Grüne uns in zahlreichen Gesprächen mit der Koalition für dringende Nachbesserungen an diesem Paket eingesetzt und konnten Verbesserungen erzielen: schärfere Regelungen fürs Homeoffice, stärkere Schutzvorschriften für die Schulen und Regelungen, die die Notbremse lebenspraktischer und damit umsetzbarer machen.

Dennoch reichte diese Notbremse nicht aus. Das Virus war uns immer einen Schritt voraus. Eine zu einseitige Politik, die vor allem Restriktionen für Bildung und Privatleben vorsah, war und ist weder konsequent genug, um uns vor der Epidemie zu schützen, noch verhältnismäßig. Angesichts der angespannten Pandemielage standen wir einer schnellen Umsetzung jedoch nicht im Weg und haben uns deshalb bei der Abstimmung zum Gesetzesentwurf enthalten.

Nachfolgend finden Sie aufgeschlüsselt, was wir in den Gesetzentwurf hineinverhandelt haben und welche Punkte uns fehlen, uns aber weiterhin stark machen um eine vierte Welle zu verhindern:

Was konnten wir verbessern?

* Besserer Schutz von Beschäftigten: Die Regelungen zur Homeoffice-Angebotspflicht wurden verschärft. Das Arbeiten von Zuhause darf vom Arbeitgeber nur noch verweigert werden, wenn zwingende betriebliche Gründe dagegen stehen.

* Ausgewogenere und trotzdem wirksame Regeln bei Freizeitaktivitäten und für Familien mit Kindern, indem die unterschiedlichen Infektionsrisiken in Innen- und Außenbereichen besser unterschieden werden: Die Außenbereiche von Zoos und botanischen Gärten konnten unter strengen Schutz- und Hygienevorschriften geöffnet und Sport für Kinder bis 14 Jahren ist auch in 5er Gruppen im Freien möglich machen.

* Die Transparenz bei den Corona-Regeln wurde verbessert: Die Geltungsdauer der Maßnahmen musste nun unverzüglich ortsüblich bekanntgegeben werden.

Was fehlt noch?

* Es war richtig und wurde von uns seit langem gefordert, die Debatte und den Beschluss von Maßnahmen und Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Epidemie in den Deutschen Bundestag zu holen. Dieser schwache Start aber verdient kein Lob und mit Blick auf den Herbst muss das Parlament weiter gestärkt werden.

* Es ist absolut notwendig, dass Infektionen am Arbeitsplatz wirksam durch Testen und Home Office eingedämmt werden können. Das Testen am Arbeitsplatz ist ein Weg, weitere Infektionsausbrüche zu vermeiden und die Beschäftigten und ihre Familien zu schützen. Eine Testpflicht kann zudem zur Eindämmung der Deltavariante und zur Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems beitragen und dadurch können Betriebsschließungen auch verhindert werden. Der Arbeitsschutz für die Beschäftigten ist ohne Testpflicht nicht gegeben, weil so auch nicht getestete, womöglich erkrankte Personen nicht von der Arbeitsstelle fern gehalten werden können.

* Dies gilt auch für Schulen und Kitas. Kinder sind von den neuen Mutationen stark betroffen. Zum Schutz der Kinder und Eltern sollten wir dafür sorgen, dass dieser Schutz wirklich gewährleistet ist. Deshalb ist es dringend notwendig, dass weitere Testmöglichkeiten und verbindliche Hygienekonzepte beim Wechsel- und Präsenzunterricht für alle Schüler:innen und Lehrkräfte unterstützt werden.

* Ausgangssperren können aufgrund ihrer freiheitsbeschränkenden Wirkung als Ultima ratio nur Teil eines schlüssigen Gesamtkonzepts sein. Durch ihr Zögern für Beschränkungen in der Arbeitswelt gefährdete die Bundesregierung die Akzeptanz der Menschen für die Maßnahmen und verursachte eine erhebliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Ausgangsbeschränkungen.

* Die Notbremse greift bei einer Inzidenz von 100, allerdings muss auch vor dem Ziehen der Notbremse schon gebremst werden. Das heißt, auch schon bei Inzidenzen unter 100 müssen entsprechende Schritte und Maßnahmen greifen, die der raschen Verbreitung des Virus entgegenwirken. Dennoch reichen Inzidenzen alleine nicht aus. Es braucht mehrere Faktoren, um das Infektionsgeschehen künftig besser einordnen zu können. Wir möchten Folgendes mit einbeziehen: Testungen, Impfquote, Intensivbettenbelegung und die Überlastung des Gesundheitswesens, weil die Inzidenz alleine nicht mehr aussagekräftig genug ist.

Insgesamt müssen wir die Infektionslage unter Kontrolle behalten und dort hinkommen, dass wieder möglichst viele Menschen mitziehen. Schon deshalb, weil viele Infektionen im privaten Bereich stattfinden. Daher brauchen wir konsequente Maßnahmen.
Deshalb schlagen wir weiterhin einen Stufenplan mit einheitlichen Risikostufen, Kennzahlen sowie wirksame und konsequente Maßnahmen, sowohl für Eskalation als auch für Deeskalation, vor. Unseren Antrag zu unserem 5-Stufenplan und weitere Informationen können Sie hier finden: https://www.gruene-bundestag.de/themen/corona-krise/ein-stufenplan-fuer-perspektive-und-hoffnung Für die Verabredung wirksamer Maßnahmen ist zudem ein permanenter Austausch zwischen Parlament und Wissenschaft unerlässlich. Unsere Forderung nach der Einrichtung eines interdisziplinären Pandemierates wird von den Regierungsfraktionen leider über einem Jahr abgelehnt. Unseren Antrag zu einem wissenschaftlichen und interdisziplinären Pandemierat finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/gesundheit/pandemierat-jetzt-gruenden

Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass wir so gut wie möglich durch diese Krise kommen. Bleiben Sie gesund.

Mit freundlichen Grüßen

Britta Haßelmann

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