Sehr geehrte Frau Bas, Sie sagten in der letzten Sendung mit Herrn Lanz, die AfD hätte sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert. Können Sie das an signifikanten Beispielen belegen?
Ich schaue mir sehr oft Bundestagsdebatten live und in ganzer Länge an. Mir ist bisher nicht aufgefallen, dass sich die AfD dort entscheidend anders verhält als andere Parteien bzw. sich mehr „daneben benimmt“. Auch mit Blick auf die verschiedenen Ordnungsrufe, die auch anderen Abgeordneten widerfahren, kann ich nur einen Unterschied feststellen: In der AfD-Fraktion sieht man sehr selten Abgeordnete am Handy „spielen/arbeiten“ und es sind für mich dort auch weniger Buh-Rufe wahrnehmbar. Das kann auch an der Kameraführung liegen, weswegen ich Sie höflich nach dem Hintergrund Ihrer Aussage bei Herrn Lanz fragen möchte. (Nebenfrage: Wären Sie auch für ein Handy- und Reinruf-Verbot als neue Debattenkultur im Bundestag?)
Wie kommen Sie zu dem Urteil, die AfD hätte sich radikalisiert? Was ist Ihre Auffassung von Radikalisierung? Welche Unterschiede sehen Sie zwischen rechts- und linksradikal? Handelt es sich nicht in beiden Fällen um den Aufruf zu oder die Anwendung von Gewalt?

Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Es freut mich, dass Sie regelmäßig Bundestagsdebatten verfolgen – unsere Demokratie lebt von aktiven, informierten Bürgerinnen und Bürgern wie Ihnen. Sie sprechen an, dass Ihnen im parlamentarischen Alltag kein entscheidend anderes Verhalten der AfD-Fraktion im Vergleich zu den anderen Fraktionen aufgefallen sei. Diese Einschätzung kann ich nicht teilen – deshalb möchte ich Ihnen gerne meine Aussage aus der Sendung mit Markus Lanz begründen.
Aus meiner Sicht hat sich die AfD in den letzten Jahren sowohl im Ton als auch inhaltlich und personell radikalisiert. Im Bundestag ist sie die Fraktion mit den mit Abstand meisten Ordnungsrufen. Dabei geht es häufig um gezielte Herabwürdigungen von Minderheiten, beleidigende Sprache gegenüber politischen Gegnerinnen und Gegnern oder die bewusste Provokation parlamentarischer Regeln. Dabei möchte ich anmerken, dass nicht alle Zwischenrufe im Livestream oder in stenografischen Mitschriften vollständig wiedergegeben werden. Gerade die Sitzungsleitung bekommt oft mehr mit, als Mikrofone oder Kameras transportieren.
Hinzu kommt, dass sich auch das Personal der AfD verändert hat. Personen, die früher wegen rechtsextremer Aussagen aus der Fraktion ausgeschlossen wurden oder als zu extrem galten, nehmen heute wieder zentrale Rollen ein. Diese Entwicklung zeigt, dass sich die innerparteiliche Toleranzgrenze gegenüber extremistischen Positionen deutlich verschoben hat. Selbst andere rechtspopulistische Parteien in Europa, etwa aus Frankreich oder den Niederlanden, haben nach der letzten Europawahl eine Zusammenarbeit mit der AfD abgelehnt – mit der Begründung, sie sei zu radikal.
Diese Radikalisierung beschränkt sich nicht nur auf Worte. Der Fall der früheren AfD-Abgeordneten Birgit Malsack-Winkemann, die wegen mutmaßlicher Beteiligung an Umsturzplänen aktuell vor Gericht steht, ist ein besonders drastisches Beispiel dafür, wie Worten Taten folgen können. Auch die Einstufung der Partei als gesichert rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz spricht eine deutliche Sprache. Dabei handelt es sich nicht um eine parteipolitische Meinung, sondern um die Bewertungen einer Fachbehörde.
Sie fragen außerdem, wie ich den Unterschied zwischen Rechts- und Linksextremismus bewerte. Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung können von links oder rechts kommen – daran besteht kein Zweifel. Doch aktuell geht die weitaus größere Bedrohung aus Sicht aller Sicherheitsbehörden vom Rechtsextremismus aus. Das liegt unter anderem daran, dass dieser sich zunehmend bürgerlich inszeniert und versucht, gesellschaftliche wie staatliche Strukturen zu unterwandern. Diese Strategie stellt eine besondere Herausforderung für unsere offene Gesellschaft dar.
Zur Nutzung von Handys im Plenarsaal habe ich mich schon mehrfach positioniert. Dies können Sie u.a. hier nachlesen: https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/baerbel-bas/fragen-antworten/daddel-bundestag-sollte-die-smartphone-nutzung-im-bundestag-beschraenkt-werden
Für mich ist klar: Die AfD hat sich in ihrer Ausrichtung und in ihrem Auftreten deutlich radikalisiert. Diese Entwicklung ist nicht nur ein parteiinternes Phänomen, sondern betrifft uns alle – weil sie unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat und unser gesellschaftliches Miteinander verhöhnt und untergräbt. Jeder Bürgerin und jedem Bürger, die oder der für die AfD stimmt, muss klar sein, dass diese Partei eine Bedrohung für unsere Demokratie, unsere Freiheiten und unser gesellschaftliches Miteinander darstellt. Die AfD bietet keine Lösungen für die Probleme der Menschen in unserem Land an.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Sie selbstverständlich die Möglichkeit haben, auch auf direktem Weg mit dem Deutschen Bundestag, seinen Abgeordneten oder mir Kontakt aufzunehmen – zum Beispiel über: https://www.bundestag.de.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Bas