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Frage von Michael v. •

Frage an Ulli Nissen von Michael v. bezüglich Umwelt

Die Bundesumweltministerin will den Flugverkehr wegen des Klimaschutzes teurer machen. Dabei irritiert, dass Minister, Staatssekretäre, Beamte und Angestellte des Bundesumweltministeriums laut selbigem in diesem Jahr (Januar – Juli) zwischen den Standorten Bonn und Berlin 1740 mal und im Jahr 2018 zirka 2755 mal hin und her geflogen sind (https://www.lvz.de/Nachrichten/Politik/Mitarbeiter-des-Umweltministeriums-flogen-in-diesem-Jahr-1740-mal-zwischen-Bonn-und-Berlin-hin-und-her?fbclid=IwAR2Ac4opNZRea8EAWKORmjFE9b5jDWkvnS_VRq-WjPwDIBgoWHhpJQ42Obo), obwohl die Ministerialen angehalten sind, kostengünstigere Verkehrsmittel zu nutzen. Es wird deutlich, dass das Ministerium im übertragenen Sinn Wasser predigt und Wein trinkt. Wie rechtfertigen Sie vor dem Steuerzahler, dass die Ministeriumsangestellten Kurzflüge auf Steuerzahlerkosten fliegen anstatt kostengünstigere und klimaneutralere Verkehrsmittel zu nutzen und damit die Forderung nach verbessertem Klimaschutz der Bundesumweltministerin mit Füßen treten?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr von Lüttwitz,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 19. Juli 2019. Leider hat es etwas länger gedauert, bis ich Ihnen antworten konnte. Sie haben jedoch eine Frage gestellt, die sich auf das Verhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit bezogen hat. Hierzu musste ich eine Stellungnahme des Bundesministeriums einholen. Die Stellungnahme lautet wie folgt:

"Über den Vorschlag der Ministerin, die Luftverkehrsabgabe zu erhöhen, [wird] diskutiert. [.] Viele Userinnen und User kritisieren die Flüge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums zwischen Bonn und Berlin. Das nimmt das Ministerium sehr ernst, denn natürlich stellt es als eine Behörde sein Verhalten immer wieder auf den Prüfstand und ist bereit, es wo nötig und möglich zu verändern. Aber die Tatsache, dass auch im Bundesumweltministerium Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hin und wieder fliegen müssen, wird die Ministerin nicht davon abhalten, klimapolitisch wichtige Vorschläge zu machen. Mit der Forderung, dass nur noch klimapolitisch perfekte Menschen mitreden dürfen, könnte man sonst jede Debatte und jeden Fortschritt abwürgen. Es geht ja auch nicht darum, Fliegen zu verbieten, sondern die CO2-Kosten auch in den Flugpreisen ehrlicher abzubilden.

Folgendes Prinzip hält das Ministerium für sinnvoll - für sich genauso wie für andere:

1. Vermeiden: Ist die Reise wirklich nötig oder reicht auch eine Telefon- oder Videokonferenz?

2. Alternativen prüfen: Kann man auch mit der Bahn fahren?

3. Kompensieren: Die Bundesregierung zahlt für die bei ihren Dienstreisen entstandenen Emissionen einen Ausgleich - nach dem sogenannten "Goldstandard", also nach strengen ökologischen Kriterien - der in Klimaschutzprojekte investiert wird.

Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Etwa, dass Bahnfahren nicht mehr teurer ist als Fliegen. Das kann man über eine Luftverkehrsabgabe ändern oder über eine Senkung der Mehrwertsteuer für Bahnreisen oder - wie das Ministerium meint - über beides.

Für die Dienstreisen der Ministerien hält das Bundesumweltministerium darüber hinaus noch eine Änderung des Bundesreisekostengesetzes für sinnvoll. Dort ist bisher verankert, dass für die Reisen das kostengünstigste Verkehrsmittel zu nutzen ist - und das ist ja häufig das Flugzeug. Mit dem Änderungsvorschlag soll Bahnfahren zur Regel werden und Mitarbeiter müssten dann nicht mehr das Flugzeug nutzen, weil es billiger ist."

Ich persönlich teile die Auffassung des Ministeriums. Bahnfahren darf nicht mehr teurer sein als Fliegen. D.h. Mehrwertsteuerreduzierung für Bahnfahren und eventuell könnte auch der zur Zeit diskutierte Mindestpreis beim Fliegen geeignete Mittel sein.

Das ist aber alles noch im Fluß.

Sehr geehrter Herr von Lüttwitz, sehr gerne würde ich Ihnen noch etwas die Hintergründe erläutern:

Im November 2016 hat das Bundeskabinett den Klimaschutzplan 2050 beschlossen. Im Klimaschutzplan sind klare Treibhausgas-Minderungsziele festgeschrieben, welche die Sektoren Energie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Industrie bis zum Jahr 2030 erreichen müssen. Damit soll das Mittelfristziel - ein Absenken der Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 - erreicht werden. Dieses Ziel ist nahezu identisch mit den deutschen Verpflichtungen im Rahmen der EU.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat einen ersten Entwurf zum Klimaschutzgesetz Im Februar 2019 vorgelegt. Das Gesetz soll erstmals die nationale Klimaschutzpolitik verbindlich regeln. Die Fachressorts bekommen ausdrücklich die Verantwortung für Emissionsminderungen bestimmter Sektoren zugewiesen, zum Beispiel Bundesbauministerium für den Gebäudesektor.

Ein Überschreiten der festgelegten Budgetvorgaben und etwaige damit verbundene Kompensationszahlungen durch die Bundesregierung im Rahmen der EU-Verpflichtungen können für das jeweilige Ressort Konsequenzen im Haushalt haben, d.h. das zuständige Bundesministerium muss nach dem Verursacherprinzip anteilig für das Nichterreichen der Emissionsziele zahlen. Das Gesetz soll noch im Jahr 2019 verabschiedet werden.

Am 20. März hat die Bundesregierung die Einrichtung eines Kabinettsausschusses "Klimaschutz" beim Bundeskanzleramt beschlossen. Das Klimakabinett hat zwei Mal getagt. Nach Beschluss des Koalitionsausschusses vom 18. August 2019 wird das Klimakabinett am 2. und 13. September 2019 noch einmal zusammenkommen. Am 22. September 2019 sollen die Ergebnisse vorgelegt werden.

Mit dem 1. Maßnahmeprogramm 2030 müssen die Sektoren ihre Treibhausgasemissionen mittelfristig verbindlich festlegen. Die Fachministerien, in deren Verantwortung die Sektoren liegen, arbeiten derzeit Vorschläge mit Folgenabschätzungen aus. Die Gesamtheit der Vorschläge wird als 1. Maßnahmenprogramm 2030 vom Kabinett verabschiedet. Im Anschluss erfolgt die rechtliche Umsetzung des Maßnahmenprogramms - oftmals durch die Änderung von Fachgesetzen durch den Deutschen Bundestag.

Das 1. Maßnahmeprogramm 2030 der Bundesregierung und das geplante Klimaschutzgesetz sind zentral für erfolgreichen Klimaschutz in Deutschland. Klare Zuständigkeiten und ambitionierte Maßnahmen in den einzelnen Sektoren sind die Grundvoraussetzung dafür, dass die deutschen und europäischen Klimaziele erreicht und milliardenschwere Kompensations-Zahlungen der einzelnen Bundesressorts verhindert werden können.

Werden die Klimaziele nicht eingehalten, drohen Deutschland hohe Strafzahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Deshalb haben sich inzwischen Bundesrechnungshof, die Energiewende-Monitoring-Kommission, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ebenso wie die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung für eine Reform der staatlich induzierten Preise im Energiebereich und wirksame Preise auf Treibhausgase ausgesprochen.

Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten der CO2-Bepreisung. Den Weg über Steuern und den Weg über einen Emissionshandelssystem (nach dem englischen Begriff ETS abgekürzt). In beiden Fällen geht es darum, Klimagasen einen Preis zu geben, um Unternehmen und Verbrauchern ein Motiv zu liefern, klimafreundlich zu produzieren und zu konsumieren. In diesem Zusammenhang wird auch der CO2-Mindestpreis diskutiert.

Die CO2-Bepreisung ist in der Vergangenheit viel diskutiert worden - auch öffentlich im Deutschen Bundestag. Es gab ein öffentliches Fachgespräch und drei Aktuelle Stunden des Deutschen Bundestages zum Thema. Eine Festlegung der Bundesregierung steht noch aus.

Der Koalitionsvertrag sagt zur CO2-Bepreisung folgendes aus: "Den EU-Emissionshandel wollen wir als Leitinstrument weiter stärken. Unser Ziel ist ein CO2-Bepreisungssytem, das nach Möglichkeit global ausgerichtet ist, jedenfalls aber die G20-Staaten umfasst."

Die SPD spricht sich in ihrem Beschluss "Impulse für mehr Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und eine zukunftsfähige Wirtschaft" vom 27. Juni 2019 für eine CO2-Bepreisung aus.

"Im Rahmen der europäischen Rechtsvorschriften zur Lastenteilung (Effort Sharing) hat sich Deutschland auch in Sektoren, die nicht unter den Emissionshandel fallen, wie Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft zu substantiellen CO2-Einsparungen verpflichtet. Die finanziellen Risiken, wenn wir kein CO2 einsparen, steigen deshalb deutlich an: Wenn Deutschland seine Klimaziele in diesen Bereichen verfehlt, drohen Strafzahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe bis 2030. Schon aus diesem Grund macht es Sinn, ein CO2-Budget für die einzelnen Sektoren einzuführen und zu überwachen. Den Rechtsrahmen dafür wird das Klimaschutzgesetz bilden, das die Ziele aus dem Klimaschutzplan 2050 übernimmt und gesetzlich verbindlich macht. [.]

Bisher leisten vor allem Haushalte mit geringeren Einkommen Beiträge zum Klimaschutz. Sie fahren sparsamere Autos, nutzen häufiger den ÖPNV, wohnen in kleineren Wohnungen und fliegen seltener. Gleichzeitig finanzieren sie bspw. über das EEG den Klimaschutz, von dem wiederum Haushalte profitieren, die ein Hausdach mit Solaranlage ihr Eigen nennen können. Das EEG war ein klimapolitischer Erfolg, mit Blick auf eine gerechtere Verteilung von Kosten muss in der Klimapolitik aber dringend nachgesteuert werden. Unser System der Entgelte, Abgaben, Umlagen und Steuern muss sich ändern. Unser Ziel ist eine neue ökologische Steuer- und Abgabenreform. Dabei wollen wir auch schrittweise das System umweltschädlicher Subventionen verlassen, um Investitionen in zukunftsfähige Technologien und Strukturen zu ermöglichen. Während Strom trotz zunehmender Einspeisung kostengünstiger erneuerbarer Energien durch hohe Abgaben belastet wird, sind die Preise für klimaschädliches Benzin, Diesel, Heizöl und Gas in den letzten zehn Jahren weitgehend konstant geblieben, weil sie ihre wahren Kosten für Klima und Gesundheit nicht vollumfänglich begleichen müssen. Diese Fehlanreize wollen wir grundsätzlich beseitigen - fossile Energieträger müssen langfristig teurer, Strom aus erneuerbaren Energien günstiger werden. Mit einer Bepreisung von CO2-Emissionen werden wir klimafreundlichere Technologien gerade in den Bereichen Wärme und Verkehr flankieren. Damit niemand ungerecht belastet wird, werden wir das eingenommene Geld den Bürger*innen zurückgeben. Das gilt nicht zuletzt für diejenigen, die weite Wege zur Arbeit zurücklegen müssen oder als Mieter*innen in Ballungsräumen in angespannten Wohnungsmärkten wenig kurzfristige Alternativen haben. Wir haben im Blick, dass gerade Bezieherinnen und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen keine finanziellen Mehrbelastungen erfahren dürfen. Unser Ziel: Wer klimafreundlich handelt, hat künftig mehr Geld in der Tasche.

Eine CO2-Bepreisung ist aber auch kein Allheilmittel. Sie ist eine notwendige, aber längst keine hinreichende Bedingung für mehr Klimaschutz. Vielmehr brauchen wir einen Instrumentenmix aus öffentlichen Investitionen, Ordnungsrecht und einer nachhaltigen Ausgestaltung des Steuer- und Abgabensystems."

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben und verbleibe

mit herzlichen Grüßen

Ihre

Ulli Nissen, MdB