Portrait von Ulla Ihnen
Ulla Ihnen
FDP
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Ulla Ihnen zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Luka F. •

Frage an Ulla Ihnen von Luka F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Ihnen,

ich habe eine Frage bezüglich Ihrer Entscheidung, gegen das Arbeitsschutzkontrollgesetz vom 16. Dezember 2020 zu stimmen. Aus den Informationen, die „abgeordnetenwatch.de“ zu dieser Umfrage veröffentlicht hat, lassen sich ausschließlich positive Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen für die meist osteuropäischen Leiharbeiter herauslesen. Daher kann ich nicht verstehen, wie man hier dagegen stimmen kann.
Sie hinterlassen dadurch bei mir einen äußerst schlechten Eindruck, da einzig und allein die Wirtschaft von einer nicht Einführung eines derartigen Gesetzes profitiert. Frau Ihnen, das sieht für mich als normaler Bürger danach aus, als würden Sie die Wirtschaft über die Würde des Menschen heben, was moralisch absolut verwerflich wäre!
Ich bitte Sie darum, mir Ihre Position zu schildern, da ich möglicherweise Sachverhalte übersehen habe, die mir beim Verständnis dieser Problematik helfen würden.

Mit freundlichen Grüßen
Luka Flebbe

Portrait von Ulla Ihnen
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Flebbe,

vielen Dank für Ihre Nachfrage zum Arbeitsschutzkontrollgesetz, die mir Gelegenheit gibt, Ihnen darzulegen, weshalb ich wie auch die FDP-Bundestagsfraktion gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung gestimmt habe.

Wir haben als FDP-Fraktion zur dritten Beratung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes einen Entschließungsantrag (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/252/1925275.pdf) eingebracht, aus dem sich unsere Argumente gegen das Gesetz in der von der Bundesregierung vorgelegten Form sowie unsere Forderungen dazu ergeben.

Knapp zusammengefasst hat uns folgendes bewogen, gegen den Entwurf der Bundesregierung zu stimmen:

Auch wir als FDP-Bundestagsfraktion verurteilen, dass in Teilen der deutschen Fleischindustrie absolute Mindeststandards nicht verlässlich eingehalten wurden. Diese Missstände konnten aber auch deshalb so lange fortbestehen, weil systematische Defizite bei Kontrollen und der Rechtsdurchsetzung nicht behoben wurden. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, gesetzestreue Entlohnung und konsequente Durchsetzung geltenden Rechts sind immer und überall sicherzustellen.

Die meisten Missstände in der Fleischbranche sind bereits jetzt illegal, es existieren kaum rechtliche Regelungslücken. Ziel eines Arbeitsschutzkontrollgesetzes müsste es daher sein, intelligente und vor allem koordinierte Kontrollen der Behörden zu ermöglichen. Momentan kontrollieren der Zoll, der Arbeitsschutz, die Ordnungsämter und die Unfallversicherungen unabhängig voneinander. An dem bestehenden Wirrwarr an Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen ändert das Gesetz jedoch nichts und schafft nur noch weitere Instanzen. Aus unserer Sicht besteht also ein Problem in der Durchsetzung des bestehenden Rechts und nicht in den rechtlichen Regelungen selbst.

Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz erfasst zudem nicht nur die industrielle Schlachtung und Zerlegung, sondern auch mittelständische Betriebe der Fleischverarbeitung und das Handwerk. Es werden von den gesetzlichen Regelungen also auch Betriebe erfasst, die bisher sehr verantwortungsvoll gehandelt haben und in denen es auch weder systematische Verstöße gegen den Arbeitsschutz noch gehäufte Corona-Infektionen gegeben hat. Das Fleischerhandwerk weist mit seiner handwerkstypischen Arbeitsweise keine mit der Fleischindustrie vergleichbaren Strukturen auf. Bei den umfangreichen Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden wurden keine Verstöße festgestellt. Statt an der Eintragung in der Handwerksrolle orientiert sich das Gesetz an der willkürlichen Personenanzahl von 49 Mitarbeitern. Da auch diese Betriebe und das Handwerk vom Gesetz erfasst werden, trifft auch diese das Verbot von Werkverträgen und Zeitarbeit. Die Betriebe der Fleischverarbeitung sind aber viel stärker als industrielle Großbetriebe auf Zeitarbeit angewiesen, um Auftragsspitzen abfangen zu können.

Vor diesem Hintergrund kritisieren wir, dass das Gesetz Eingriffe in die unternehmerische Freiheit vornimmt, die weder zielgenau wirken noch grundgesetz- und europarechtskonform ausgestaltet sind und zu Rechtssicherheit und -frieden nicht beitragen.

Durch den hohen Zeitdruck im Gesetzgebungsverfahren wurde den Sozialpartnern zudem die Möglichkeit verwehrt, selbst eine tarifvertragliche Regelung zu Einschränkungen bei Werkverträgen oder Arbeitnehmerüberlassung zu treffen. Das entspricht nicht der Systematik unserer sozialen Marktwirtschaft.

Wir sind der Auffassung, dass
1. Unternehmen der Fleischverarbeitung weiterhin die Abdeckung von Auftragsspitzen über den Einsatz des Instruments der Arbeitnehmerüberlassung ermöglicht werden muss, dass
2. der fleischverarbeitende Mittelstand und das Handwerk aus den vorgenannten Gründen insgesamt klar vom Geltungsbereich des Arbeitsschutzkontrollgesetzes auszunehmen sind und dies nicht anhand einer willkürlich gegriffenen Abgrenzung mit Bezug auf eine Mitarbeiterzahl vorgenommen werden darf, und
3. Werkverträge und die Arbeitnehmerüberlassung als notwendige und erprobte Arbeitsmarktinstrumente anzuerkennen sind. Dort wo die gravierendsten Verstöße festgestellt wurden, spielte Zeitarbeit kaum eine Rolle. Ein Verbot dieser Arbeitsmarktinstrumente wird deshalb die kleinen und mittelständischen Fleischverarbeitungsbetriebe treffen, ohne die Arbeitsbedingungen dort zu verbessern, wo es nötig wäre. Aus unserer Sicht geht ein pauschales Verbot von Zeitarbeit und Werkverträgen völlig am Problem vorbei und es muss befürchtet werden, dass das Arbeitsschutzkontrollgesetz irgendwann als Präzedenzfall für ein flächendeckendes Verbot dieser Instrumente dienen soll.

Das Arbeitsschutzkontrollgesetz haben wir aus all diesen Gründen abgelehnt.

Mit freundlichen Grüßen

Ulla Ihnen, MdB