Sollte der Staat nicht erst einmal seine "Schulden" bei den GKVs zahlen, bevor die Beitragszahler der GKV durch eine weitere Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze belastet werden?
Sehr geehrter Herr Klüssendorf, sie fordern, dass die Beitragszahler der GKVs über eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze weiter belastet werden könnten. Das große Ungerechtigkeitsproblem ist doch nicht die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze, wie sie es so populistisch formulieren, sondern die Tatsache, dass der Staat versicherungsfremde Leistungen von den GKVs erbringen lässt, für die der Staat nicht ausreichend zahlt. Die GKVs und Ersatzkassen fordern schon lange einen kostendeckenden Beitrag, der für Bürgergeldempfänger gezahlt wird. Nach IGES-Berechnungen müsste der Beitrag (2022) bei 311,45/mtl. liegen, gezahlt werden jedoch nur 108,48/mtl. Damit fehlen den GKVs jährlich ca. 10 Mrd. €, für die Sie jetzt GKV-Mitglieder zur Kasse bitten wollen.
Dies ist nur ein Beispiel neben weiteren, bei denen der Staat bei Sozialkassen "bestellt" aber keine kostendeckenden Beitrag leistet.
Wie sage ihr SPD Kollege Tschentscher kürzlich in der MPK: „Wer bestellt, bezahlt.“

Sehr geehrter Herr A.,
vielen Dank für Ihre Zuschrift.
Konkret geht es bei meinem Vorschlag um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Herausforderungen in diesem Bereich sind erheblich, und es besteht Handlungsbedarf. Dabei ging es mir vor allem darum, eine Debatte über Solidarität im Kontext der Sozialversicherungen anzustoßen.
Meine in den letzten Wochen zitierte Aussage entstand in einem Interview, in dem ich zum Ausdruck gebracht habe, dass ich, als jemand, der deutlich überdurchschnittlich verdient, selbstverständlich bereit wäre, höhere Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen. Das sage ich für mich mit voller Überzeugung. Ich bin selbst freiwillig gesetzlich versichert – so wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion auch – und stehe vollkommen hinter dem für unseren Sozialstaat leitenden Solidaritätsgedanken. Gleichzeitig verstehe ich sehr gut, dass höhere Beiträge für andere eine untragbare Belastung sein können. Meine Absicht ist nicht, Menschen mit niedrigem, mittlerem, durchschnittlichem oder modert überdurchschnittlichem Einkommen zu belasten.
Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ist aus meiner Sicht in erster Linie eine sehr aktuelle Frage der Gerechtigkeit: Wer heute als GKV-Versicherter ein Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze hat, zahlt effektiv einen geringeren Beitragssatz als jemand mit einem Einkommen darunter. Das liegt daran, dass alle Einkommen oberhalb der aktuellen Grenze von 66.150 Euro beitragsfrei bleiben. Je höher das Einkommen über dieser Grenze liegt, desto stärker sinkt die reale Beitragsbelastung.
Während ein vergleichsweises niedriges Jahreseinkommen von 35.000 Euro mit 17,1 % Krankenversicherungsbeitrag belastet wird, zahlt ein Spitzenverdiener mit 120.000 Euro nur 9,4 %. Das bedeutet, dass starke Schultern derzeit eine geringere Last tragen als schwächere. Unser Steuersystem funktioniert aus gutem Grund anders: Mit steigendem Einkommen steigt auch der Steuersatz, weil es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz dafür gibt, dass stärkere Schultern auch mehr tragen können – und sollen.
Als Sozialdemokrat sehe ich es also als meine Aufgabe, Vorschläge zu machen, die die eklatante Ungleichheit und bestehende Missstände in unserem Land in den Blick nehmen und zusätzliche Belastungen der großen Mehrheit vermeiden. In Zeiten steigender Kosten stehen wir vor der Wahl: Entweder wir erhöhen die Beiträge für alle Versicherten gleichermaßen – was insbesondere Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zusätzlich belasten würde – oder wir prüfen, ob Personen mit höheren Einkommen über eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze stärker beteiligt werden können. Gerade die kleineren und mittleren Einkommen sind derzeit ohnehin schon stark belastet. Ich halte Letzteres in der Abwägung daher für die sozial gerechtere Option.
Bei dem zugegebenermaßen unglücklich und, wie sich nun zeigt, zu eng kommunizierten Thema ging es mir also nicht darum, Menschen mit Einkommen knapp über der Beitragsbemessungsgrenze zu belasten. Vielmehr wollte ich eine grundsätzliche Frage stellen: Was ist uns unsere Gesundheitsversorgung wert? Mir geht es dabei vor allem um eine gerechtere Lastenverteilung – sowohl bei den Beiträgen als auch bei den Leistungen. Dieser Debatte müssen wir uns als Gesellschaft stellen.
Langfristig setzen wir uns als SPD für eine Reform hin zu einer Bürgerversicherung ein, in die alle – also auch Beamtinnen und Beamte sowie Selbstständige – einbezogen werden. Damit könnte der individuelle Beitragssatz insgesamt weiter gesenkt werden. Diese grundlegende Reform halte ich für konsequent und notwendig, um die Finanzierung stabil und solidarisch nachhaltig zu gestalten.
Darüber hinaus ist es wichtig, die bereits angesprochene Effizienzpotenziale in der Krankenversicherung zu heben. Dazu hat Karl Lauterbach bereits in der vergangenen Legislaturperiode wichtige Reformen angestoßen, an die wir anknüpfen müssen.
Das Solidarprinzip in der Krankenversicherung stellt sicher, dass die Gesundheitsversorgung unabhängig vom persönlichen Einkommen oder Gesundheitszustand gewährleistet ist. Wer mehr verdient, zahlt mehr – aber jede und jeder bekommt die nötige Behandlung, wenn sie oder er sie braucht, egal, wie hoch das Einkommen ist. Dieses System ist ein zentraler Baustein unserer sozialen Absicherung und sorgt dafür, dass auch in schwierigen Zeiten niemand auf notwendige medizinische Versorgung verzichten muss.
Ich wünsche Ihnen alles Gute!
Beste Grüße
Tim Klüssendorf