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Sven-Christian Kindler
Bündnis 90/Die Grünen
73 %
27 / 37 Fragen beantwortet
Frage von Uwe J. •

Frage an Sven-Christian Kindler von Uwe J. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Hallo Herr Kindler,

das Angebot der Linken, sofort zum Mindestlohn abzustimmen, worin besteht da der Trick?
Ich seh da keinen.

Aufgrund der Quorenregelung sinkt bei einer Großen Koalition die Einflussnahme der Opposition (von Grünen und Linken) mit ihren nur noch 127 Stimmen so erheblich, das sie keine Untersuchungsausschüsse mehr einleiten können, denn dazu bräuchten sie 25 % der Gesamtstimmen, also 158 von 630.

So musste die CDU/FDP Regierung sich noch zu dem Drohnendesaster oder den Ermittlungspannen bei den NSU Morden äußern. Sie musste sich zu dem Luftangriff in Kunduz erklären. Es könnten auch keine Sondersitzungen mehr einberufen (erforderlich: 210 Stimmen). Auch für ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung, ob Bundesgesetze mit dem Grundgesetz vereinbar sind, bedarf es 158 Stimmen (Beispiel: Klage von SPD und Grüne gegen die Verlängerung von Atomlaufzeiten) 

Macht Ihnen das Sorgen? Wie könnte das geändert werden?

Wie kommt es, dass das kaum ein Bürger weiss und werden Sie das schnell kommunizieren?

503 Abgeordnete (80% aller Abgeordneten) mit absoluter Bundesratsmehrheit könnten im Parlament durchregieren und mit ihrer Zwei Drittel Mehrheit Grundgesetzänderungen vornehmen. Meine Frage dazu: Gilt das auch für den § 120 GG zur Todesstrafe?

Die sogenannten Volksvertreter verlagern Kompetenzen und Verantwortung hin zu Experten, Kommissionen und Wirtschaftsunternehmen. Wie kann man vom Bürger noch als Souverän sprechen, wenn das Finanzkapital mit seinen Lobbyisten den Ton angibt?

58,5 % aller zur Wahl gegangenen Wähler haben nicht CDU gewählt. Warum tun SPD und Grüne nichts, um diesen Wählern ihre Stimme zu geben? Was spricht gegen eine Minderheitenregierung? Funktioniert in Dänemarkt und Schweden auch.

Wie sieht eine Welt aus, in der Gewissensentscheidungen einem vermeintlich höheren Ziel geopfert werden, wenn am Ende die Menschen selbst verarmen?

Vielen Dank, ich bin gespannt auf ihre Antworten!
Uwe Jahn

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Jahn,

herzlichen Dank für Ihre Fragen, die ich wie folgt beantworte:

6,9 Millionen Menschen in Deutschland arbeiteten 2011 für weniger als 8,50 Euro Stundenlohn. Vor allem deswegen sind über 330.000 Vollzeitbeschäftigte in Deutschland auf ergänzende Arbeitslosengeld (ALG) II-Leistungen angewiesen. Deshalb fordern wir Grüne einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro. Auch wenn der Vorschlag der Linken inhaltlich richtig ist, so ist ihr Vorstoß, wie sie selber weiß, leider nicht umsetzbar. Nach der Geschäftsordnung des Bundestages ist für Gesetzentwürfe eine Befassung in den Ausschüssen vorgesehen. Der Bundestag hat nach der Konstituierung aber erst einmal keine Ausschüsse, sondern muss sie erst einsetzen. Dies erfolgt nach der Regierungsbildung, da sich die Ausschüsse auch an dem Zuschnitt der Ministerien orientieren. Damit ist die Verabschiedung eines Gesetzes in der Zwischenzeit vor der Einsetzung von Ausschüssen leider nicht möglich. Eine Abweichung von dieser bisherigen Geschäftsordnung würde einen Bruch mit grundlegenden demokratischen Spielregeln und Oppositionsrechten, wie zum Beispiel der ausreichenden Zeit zur inhaltlichen Beratung eines Gesetzes, darstellen.

Zu den Rechten der parlamentarischen Minderheit weisen Sie zu Recht daraufhin, dass angesichts des Sitzanteils der Oppositionsparteien diese angesichts der momentan in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages festgelegten Quoten eingeschränkt sind. Die Geschäftsordnung gilt auch in der 18. Wahlperiode vorläufig weiter. Da damit die Rechte der parlamentarischen Minderheit weiterhin beschränkt sind, hat sich meine Fraktion bei der Abstimmung über die vorläufige Geschäftsordnung enthalten. Wir werden uns selbstverständlich dafür einsetzen, dass die Rechte der Opposition gewahrt bleiben. Meine Fraktion hat zu dem Thema bereits ein erstes Fachgespräch mit Verfassungsrechtlerinnen durchgeführt , an dem ich auch teilgenommen habe. Die drei Jura-ProfessorInnen haben übereinstimmend dargelegt, warum das Grundgesetz das Gebot einer arbeitsfähigen und wirkungsvollen Opposition mit wichtigen Instrumenten, wie z.B. das Recht einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, vorsieht. Wir werden dazu zu gegebener Zeit auch eigene Vorschläge einbringen. Es stimmt mich dabei optimistisch, dass der Präsident des Deutschen Bundestages, Herr Dr. Norbert Lammert, sich in seiner Rede zur Konstituierung des neuen Bundestages klar für die Wahrung der Rechte der parlamentarischen Minderheit positioniert hat. Angesichts der sich konkretisierenden Aussicht auf eine Große Koalition erfährt das Thema auch in der Öffentlichkeit größere Aufmerksamkeit. Sie können sich sicher sein, dass wir das Thema weiter hoch auf der politischen Agenda halten werden.

Eine Wiedereinführung der Todesstrafe steht jedoch nicht zur Debatte und ist auch für die Zukunft undenkbar – seit den 1950er Jahren hat sich der Deutsche Bundestag nicht mehr mit diesem Thema befasst. Zudem ist die Todesstrafe nach herrschender Rechtsmeinung mit Artikel 1 GG unvereinbar und wäre somit verfassungswidrig. Wir Grüne sind natürlich strikt gegen die Todesstrafe und setzen uns für deren weltweite Ächtung und Abschaffung ein.
Ich halte ebenso wie Sie die Einflussnahme von starken wirtschaftlichen Interessen für sehr bedenklich, jedoch geben diese nicht den Ton an. Großspenden von wirtschaftlichen Interessen an Parteien, wie zuletzt die Spenden der BMW-AktionärInnen an die CDU, aber auch Tätigkeiten von PolitikerInnen neben und nach ihrem Mandat können den Anschein der Käuflichkeit der Politik erwecken. Gerade deshalb ist es wichtig, hier für höchstmögliche Transparenz zu sorgen. Die hartnäckige Weigerung der Bundesregierung dies zu tun leistet damit der Glaubwürdigkeit der Politik einen Bärendienst. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich schon lange für eine transparente Regelung der Anzeige- und Veröffentlichungspflichten von Nebeneinkünften ein. Wir sind für eine Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten auf Euro und Cent. Die bündnisgrüne Fraktion setzt sich zudem energisch für die Einführung eines neuen Straftatbestandes der „Bestechlichkeit und Bestechung der Mitglieder von Volksvertretungen“ in das Strafgesetzbuch (vgl. dazu Gesetzentwurf Bündnis 90/Die Grünen vom 25.05.2011, Drs. 17/5933) ein, damit Deutschland endlich die UN-Konvention gegen Korruption ratifizieren kann (vgl. dazu Gesetzentwurf Bündnis 90/Die Grünen vom 25.05.2011, Drs. 17/5932).

Ich habe mich in der vergangenen Legislaturperiode stark für einen rot-grün-roten Dialog engagiert, denn trotz der teils großen Unterschiede zwischen den drei Parteien gibt es genügend gemeinsame Ziele, die eine rot-grün-rote Option möglich und sinnvoll machen. Ich kritisiere, dass die SPD sich einem gemeinsamen Sondierungsgespräch mit Grünen und Linkspartei nach der Bundestagswahl verweigert hat, auch wenn ich nicht glaube, dass 2013 die Zeit für Rot-Grün-Rot auf Bundesebene schon reif ist. Niemand, der für einen sozial-ökologischen Politikwechsel eintritt, kann wollen, dass Rot-Grün-Rot mangels Vorbereitung und wegen interner Konflikte nach einem halben Jahr oder einem Jahr scheitert. Es muss eine stabile Perspektive für vier Jahre geben. Bis es eine umsetzbare Rot-Grün-Rot-Option geben wird, müssen daher noch auf allen Seiten Hürden und Bedenken abgebaut werden und insbesondere die Linke muss sich kompromissbereiter zeigen. Eine Minderheitsregierung wurde auf Bundesebene noch nie gebildet, auch die Erfahrungen in den Ländern mit Minderheitsregierungen sind sehr begrenzt. Daher ist eine rot-grüne Minderheitsregierung keine realistische und stabile Option für vier Jahre. Zudem darf man nicht vergessen, dass Rot-Grün-Rot zwar eine parlamentarische Mehrheit hätte, aber in der Bundestagswahl nicht die Mehrheit der Stimmen erhielt, wenn man die Stimmen rechts der Mitte für FDP und AfD mitdenkt. Ich werde mich jedoch weiter dafür einsetzen, rot-grün-rote Bündnisse in den Ländern und im Bund zu einer realistischen Option zu machen.

Mit freundlichen Grüßen

Sven-Christian Kindler

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