Wie werden Sie oder Ihre Partei abstimmen, sollte es zu einer Abstimmung über den Beschluss des Spannungsfalls kommen?
Sehr geehrter Herr Möller,
in den letzten Tagen entnimmt man den Medien in einer immer höheren Frequenz die Vorbereitung auf den Spannungsfall. Dass der Spannungsfall eine massive Einschränkung der Grundrechte zufolge hat, um Dimensionen größer als während den Lockdowns, bringt in Kombination mit Berichten darüber, dass die Bundeswehr vermehrt zu "Einsätzen im Inneren", also den Einsatz gegen Steikende und Demonstranten, trainiert wird, einen sehr düsteren Ausblick für die Freiheit und Unversehrtheit eines jedes Einzelnen. Dass (eigentlich vermeintliche) Notstandsstituationen auf bösartigste Art und Weise von der Regierung unkontrolliert missbraucht werden können, haben die Jahre 2020-2022 mehr als einprägsam gezeigt. Daher steigt die Sorge vor einem "Corona 2.0"-Szenario.
Wie werden Sie und Ihre Partei in so einem Fall abstimmen und was raten Sie Bürgern, um sich auf dieses Szenario (Machtmissbrauch mit Massenüberwachung usw.) vorzubereiten?
Sehr geehrter Herr F.,
ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass der Spannungsfall (Art. 80 a Abs. 1 Grundgesetz) kurzfristig droht. Zwar ist Roderich Kiesewetter (Union) mit seiner Forderung aktuell in den reichweitenstarken Medien präsent vertreten. Kiesewetter ist nach meiner persönlichen Einschätzung aber in der Union unter Merz tendenziell eher auf dem Abstellgleis unterwegs (vgl.: https://taz.de/Kiesewetter-fliegt-aus-Kontrollgremium/!6092228/). Meine Einschätzung zur Ernsthaftigkeit seiner Forderung nach Feststellung des Spannungsfalls lautet daher: Entweder dient die Forderung seiner Selbstvermarktung, oder er hat sich aus Rehabilitierungsgründen darauf eingelassen, seinen Namen für einen Test der öffentlichen Stimmung herzugeben.
Für den Spannungsfall bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen des Bundestages - und die sehe ich aktuell nicht. Das liegt auch daran, dass die AfD und zumindest teilweise vermutlich auch weitere Oppositionsfraktionen gegen die Feststellung des Spannungsfalls stimmen werden. Selbstverständlich gilt dies auch für mich.
Für tendenziell eher wahrscheinlich halte ich den Bündnisfall (Art. 80 a Abs. 3 Grundgesetz), weil hierfür auf nationaler Ebene ein Kabinettsbeschluss der Bundesregierung ausreicht. Der Bündnisfall soll nach der herrschenden Meinung allerdings nur die zivile Teilmobilmachung im Rahmen des NATO-Alarmsystems ermöglichen.
Die Bedeutung des Spannungsfalls für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird meines Erachtens überschätzt. Zur Gefahrenabwehr darf die Bundeswehr gemäß Artikel 87 a Abs. 4 Grundgesetz auch im Inneren eingesetzt werden, um in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Grundgesetz beispielsweise mit Waffengewalt zivile Objekte zu bewachen und Aufständische zu bekämpfen ("Bürgerkriegsszenario"). Dafür braucht es aber gerade keinen Spannungsfall.
Der Einsatz gegen unbewaffnete Streikende und Demonstranten im Inneren wäre hingegen ein massiver Verfassungsbruch. Aktuell gibt es keinerlei Indizien dafür, dass der Einsatz der Bundeswehr unter Verstoß gegen das Grundgesetz gegen die Zivilbevölkerung erfolgen soll.
Zu Ihrer Frage einer Vorbereitung:
Ich halte zum jetzigen Zeitpunkt aus den oben genannten Gründen und auch aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre ein gesundes Misstrauen gegenüber der Regierung und den Parteien, die in den vergangenen Jahrzehnten bis heute abwechselnd im Bund und Land die Regierungen stellten, für absolut angebracht. Es empfiehlt sich meines Erachtens, Informationen über die politisch-gesellschaftliche Situation nicht ausschließlich aus dem öffentlichen Rundfunk und den Zeitungen der großen Verlagshäuser zu beschaffen. So nutze ich auch Quellen in den sozialen Medien, die sich bereits zu Corona-Zeiten als resistent gegen Konformitätsdruck erwiesen haben.
Für weitergehende Vorbereitungshandlungen fehlt es meines Erachtens entsprechend meiner obigen Ausführungen aber an jeder Grundlage und sachlichen Rechtfertigung.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Möller

