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Sebastian Brehm
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Frage von Christian R. •

Frage an Sebastian Brehm von Christian R. bezüglich Staat und Verwaltung

Sehr geehrter Herr Brehm!

Bei allem Handeln, auch wenn es dringend und nötig ist. sollte unsere Verfassung im Blick behalten werden sowie alle Auswirkungen, der von Ihnen getroffenen Entscheidungen.

Zu den Corona-Maßnahmen habe ich daher einige dringende Fragen.

1. Es gibt einen Risikobericht des Bundes von 2012, in welchem ziemlich exakt die aktuelle Krise beschrieben wird, sogar mit mutierten Corona-Viren als Auslöser.

Frage: Was wurde seither unternommen? Wieso wurde weiterhin versucht, das Gesundheitswesen profitabel zu machen (Feuerwehr und Polizei müssen schließlich auch keinen Profit erwirtschaften) und wieso wurden nicht ausreichend Schutzausrüstungen in den vergangenen Jahren angeschafft und vorgehalten?

2. Das RKI scheint derzeit die Politik zu bestimmen.

Frage: Werden neben dem RKI auch andere Experten als Entscheidungsgrundlage zu Rate gezogen? Man hat zumindest nicht den Eindruck. Falls doch, welche anderen Experten werden gehört?

Der Chef des RKI, Prof. Wieler, hatte sich immerhin zu Beginn der Krise eine krasse Fehleinschätzung geleistet. Am 22. Januar sagte er in der Tagesschau, dass nur wenige Menschen von anderen Menschen angesteckt werden können“ sowie am gleichen Tag auf 3Sat: : „Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich das Virus nicht sehr stark auf der Welt ausbreitet.“ (Quelle: https://www.merkur.de/welt/coronavirus-rki-deutschland-zahlen-statistiken-falsch-tote-covid-19-robert-koch-institut-zweifel-kritik-zr-13640817.html). Auch jetzt arbeitet es mit Zahlen, die nicht valide sind. Es rät von einer Obduktion der Verstorbenen ab. (Quelle: https://meta.tagesschau.de/id/145479/rki-chef-wieler-zum-coronavirus-die-massnahmen-wirken)-
Wir wissen also nicht, wieviele Menschen tatsächlich dem Corona-Virus zum Opfer fallen.
Was fehlt ist eine Baseline oder Querschnittsstudie.

Frage: Wieso wird eine solche Studie als Entscheidungsgrundlage nicht mit Nachdruck verfolgt?

2. Auch die jetzigen Maßnahmen haben Opfer, wirtschaftliche aber auch medizinische. Ja, es gibt Erkrankte und Tote durch die jetzt bestehenden Maßnahmen.

Frage: Sind die Kollaterlopfer der getroffenen Maßnahmen im Blick?
Frage: Werden diese Opfer evaluiert?
Frage: Um wieviel Prozent haben die Suizide seit der Anordnung der Ausgangsbeschränkung zugenommen, um wieviel Prozent die Todesrate, abzüglich Corona-Fälle? Wie sehr hat die Gewalt zugenommen? Sind die Daten bekannt, wenn nein, wieso werden sie nicht eruiert?

Nicht wenige Mediziner und Psychologen warnen, diese können rasch die Zahl der Corona-Toten übersteigen.
Frage: Wird das ausreichend abgewogen und auch gemessen?

4. Ein Plan, eine Strategie ist derzeit nicht erkennbar. Eine Strategie benötigt nicht nur einen Zweck, sondern ganz konkrete Ziele, die vor allem realistisch erreichbar und meßbar/überprüfbar sein müssen. Vor allem ist dann auch zu überprüfen, ob die eingesetzten Mittel, dienlich sind, um das gesetzte Ziel zu erreichen.

Frage: Welche Strategie wird derzeit verfolgt?

Ich lasse mir eingehen, daß in einem ersten Schritt Notfallmaßnahmen getroffen werden. Dann aber muß eine Strategie entwickelt und kommuniziert werden. Dazu gehört auch eine Exit-Strategie, wie sie Ministerpräsident Laschet als einziger zur Recht anmahnt. Er wird aber ständig niedergebügelt mit dem Hinweis, nun sei nicht der Zeitpunkt für einen Exit. Dabei fordert er gar keinen Zeitpunkt, sondern einen Plan hierfür.

Frage: Ist die Forderung nach einem Plan nicht durchaus berechtigt und muß man nicht genau jetzt planen?

5. Unsere Grundordnung ist innerhalb dieser Krise diversen Übergriffen ausgesetzt.

Frage: Wie ist der vorerst gescheitere Versuch von Jens Spahn zu bewerten, selbst den Gesundheitsnotstand, ohne Einbeziehung des Parlaments, ausrufen zu können und dann quasi Gesetzgebungsbefugnis zu erhalten? Ist dies nicht ein Angriff auf unsere Gewaltenteilung?
Frage: Federstreichartig wurde mit der Neufassung des Infektionssschutzgesetzes der Föderalismus in diesem Bereich ausgehebelt, ist dies ein Verstoß gegen Artikel 20,1 GG?
Frage: Es werden aktuelle Grundrechte eingeschränkt, die nicht im Infektionsschutzgesetz aufgezählt werden. Doch Artikel 19 GG verlangt für solche Beschränkungen eindeutig nicht nur ein Gesetz, sondern die Nennung der jeweiligen Grundrechte mit Namen und Artikel. Wird hier also Artikel 19 GG verletzt?

6. Wir werden derzeit quasi mit Notverordnungen regiert. Dieser Art der Regierung wurden wegen Weimar enge Grenzen gesetzt.
(https://m.tagesspiegel.de/politik/parlament-gibt-kontrolle-aus-der-hand-die-regierung-ermaechtigt-sich-in-der-corona-krise-selbst-zulaessig-ist-das-nicht/25701884.html)

Frage: Sind Grundrechtseinschränkungen - noch dazu in diesem Ausmaß - aus Ihrer Sicht mit der Verfassung vereinbar, wenn Sie nur auf dem Verordnungsweg erfolgen?
Frage: Sind Notverordnungen nicht ausschließlich über Art. 80 GG möglich?
Frage: Haben Sie persönlich dem Infektionsschutzgesetz und damit der Selbstentmachtung des Parlaments zugestimmt bzw. der Ermächtigung der Regierung, Gesetzgebungsbefugnisse auszuüben?

7. Derzeit darf man seinen Hund Gassi führen, spazieren gehen und Lebensmittel einkaufen. Aber es darf auch eine Sendung wie Big Brother fortgeführt werden, bei der fremde Menschen auf engem Raum zusammenleben. Busse und Bahnen fahren, teils mit vermindertem Takt, und die Menschen sind hier auf engem Raum zusammengepfercht, auch dies ist zulässig. Einige Menschen haben Arbeitsverbote, andere nicht und sind auch hier dem Infektionsrisiko ausgesetzt.
Zugleich aber sind beispielsweise Gottesdienste oder Kundgebungen, selbst bei Einhaltung des Mindestabstandes nicht erlaubt. Auch haben Bibliotheken und der Buchhandel zwangsweise geschlossen.

Frage: Finden Sie die geschilderten Widersprüche konsequent?
Frage: Wieso darf man sich zu Gottesdiensten oder Kundgebungen auch dann nicht versammeln, wenn man Sicherheitsabstände einhält?
Frage: Würden Sie der Forderung des PEN-Club zustimmen, Buchhandel und Bibliotheken wieder zu öffnen, da der Zugang zu Büchern in einer Demokratie wesentlich ist?

Da wir in einer Demokratie und keiner Diktatur leben, sind all diese Schritte ausführlich und einleuchtend zu kommunizieren. Dies dürfen wir von Regierung und unseren Abgeordneten, die stellvertretend für uns die Staatsgewalt ausüben, erwarten.

Vorab vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Rechholz
Nürnberg

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Sehr geehrter Herr Rechholz,

ich bedanke mich für Ihre Nachricht vom 05. April 2020, in der Sie sich mit dem Thema Corona und den damit verbundenen Fragen befassen. Gerne möchte ich die Gelegenheit nutzen Ihnen nachträglich zu antworten.

Zu dem von Ihnen angesprochenen Thema:

1. Es ist zu vermuten, dass die letzten Gesundheitsminister sowie das Ministerium, trotz des vorgelegten Berichtes, eine Pandemie als unwahrscheinlich angesehen haben. Die letzte Pandemie liegt mit der Spanischen Grippe sehr weit zurück. Ich halte die Entscheidung, nicht auf die Experten des Berichtes zu hören, im Nachhinein für falsch, jedoch lässt sich dieses im Nachhinein immer leicht sagen. Wäre es nicht dazu gekommen, wäre diese Frage nicht in der öffentlichen Debatte kommentiert worden.

2. Neben dem RKI als führendes staatliches Institut zur Einschätzung von Pandemien werden auch andere Experten gehört und zu Rate gezogen. Der Umstand, dass besonders Herr Drosten in der Öffentlichkeit steht, ist dem Umstand geschuldet, dass die Charité Berlin eine der größten Virologie- und Immunologieabteilungen in Deutschland unterhält und den ersten Corona-Test entwickelte. Hier findet die meiste Forschung statt.

Der Umstand, dass zum Anfang der Pandemie Fehleinschätzungen getroffen wurden, liegt auch daran, dass die Situation einen sehr dynamischen Verlauf nahm und schwer abzuschätzen war. Besonders im Hinblick auf die auftretenden Mutationen des Corona-Virus war nicht immer sofort abschätzbar, wie sich die Pandemie entwickelt. Dieses erschwerte auch einen Masterplan der Bekämpfung. Oberstes Ziel ist nach wie vor die freiwillige Impfung der Bürger, um dem Virus entgegenzutreten.

3. Die Maßnahmen und Ihre Konsequenzen werden sehr genau in den Blick genommen. Grundsätzlich hat der Staat nicht nur die Verpflichtung Grundrechte wie die allgemeine Handlungsfreiheit zu garantieren, sondern auch die Schutzpflicht des Lebens Dritter. Die Entscheidungen werden tagtäglich unter Einbeziehung der Konsequenzen abgewogen.

Eine verlässliche Untersuchung über mögliche Suizide durch die getroffenen Corona-Maßnahmen ist meines Wissens leider, nicht vorhanden. Die politischen Auswirkungen der Pandemie und ihre Folgen müssen wir aber unbedingt im Blick behalten.

4. Hauptziel ist es die Fallzahlen und Todesraten zu reduzieren und gleichzeitig so viele Menschen wie möglich zu impfen. Dazu wurden umfangreiche Maßnahmen auf Basis parlamentarischer Mehrheitsentscheidungen im Bundestag getroffen. Um dieses Ziel zu erreichen setzen wir, auch weiterhin auf die Aufklärung und anschließende freiwillige Teilnahme an der Impfung der Bürger.

5. Die Exekutive steht in einer Krise immer in einem starken Spannungsverhältnis zur Legislative. Es geht schließlich darum, schnelle Maßnahmen zu ergreifen, um der Pandemie entgegenzuwirken. Und trotzdem ist eine Krisensituation nicht die Stunde der Exekutive, sondern die des Parlamentes. Umfangreiche Maßnahmen und Gesetzesänderungen können nur durch das Plenum des Bundestages getroffen werden. Jede andere Handlung ist verfassungswidrig, sofern sie nicht von Exekutivmaßnahmen umfasst werden.

Dieser Aufgabe wird das Parlament gerecht. Ich teile daher nicht Ihre Auffassungen, dass wir mit Notverordnungen regiert werden. Notverordnungen sind ein Begriff, den das Grundgesetz so nicht kennt. Der Begriff stammt aus der Weimarer Verfassung. Darüber hinaus ist eine Verordnung ein exekutiver Erlass und kein parlamentarischer Beschluss. Das Grundgesetz kennt nur einen parlamentarischen Notstand, der im Verteidigungsfall ausgerufen werden kann. Dies liegt in der aktuellen Pandemiesituation nicht vor.

Der Artikel 2 GG gilt als allgemeines Auffanggrundrecht. Es ist daher nicht zwingend notwendig andere Grundrechte als Einschränkung im Infektionsschutzgesetz zu nennen, da im Artikel 2 GG grundsätzlich die Allgemeine Handlungsfreiheit und die allgemeine körperliche Unversehrtheit genannt werden. Der Artikel 2 GG wird bei einer Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich immer mitgeprüft, sofern kein anderes spezielles Grundrecht einschlägig ist. Die Rechtsmeinung darüber, ob dies in einer Pandemiesituation ausreicht, ist nicht eindeutig. Darüber wurde während der parlamentarischen Debatte immer wieder intensiv diskutiert. Hier zeigt sich auch, dass das Parlament keine Entscheidung leichtfertigt trifft.

6. Wie schon in fünftens begründet gibt es keine Notverordnungen. Das Parlament ist der einzig legitime Rechtssetzer. Die Exekutive ist ausschließlich durch Anwendungserlasse/ Verordnungen legitimiert Gesetze auszulegen und praktikabel umzusetzen.

Grundrechtseinschränkungen sind solange zulässig, wie sie durch eine gesetzliche Grundlage gedeckt sind und legitim zustande gekommen sind. Legitim zustande kommt ein Gesetz durch ein ordentlich gewähltes Parlament, dass eine Mehrheitsentscheidung trifft und damit Recht setzt.

Eine Selbstentmachtung des Parlamentes findet nicht statt. Wie Sie selber sagen, hat das Parlament eine Abstimmung zu dem Infektionsschutzgesetz durchgeführt. Eine Abstimmung über ein Gesetz ist ja gerade die Machtdemonstration des Parlamentes. Eine Einschränkung der parlamentarischen Prozesse findet durch die Gesetzesänderung nicht statt. Dies kann auch nicht passieren, da das Demokratieprinzip nach Art. 20 GG und der Wesensgehalt des Grundgesetzes nach Art.19 GG durch den Art. 79 Abs. 3 GG geschützt sind. Dies gilt ebenso für die anderen Grundrechte (Art. 1-20 GG). Die Regierung kann diesen Umstand nicht umgehen. Nach persönlicher ausführlicher Abwägung habe ich dem Infektionsschutzgesetz zugestimmt.

7. Die dynamische Situation der Pandemie erfordert unterschiedliche Maßnahmen zur Eindämmung. Der Grad zwischen zu viel und zu wenig ist schmal und muss sorgsam immer wieder abgewogen werden. Da die Eindämmung der Pandemie aus vielen Einzelmaßnahmen besteht, müssen auch die einzelnen Sachverhalte individuell bewertet werden können. Eine allgemeine Grundorientierung ist wichtig, kann jedoch nicht immer erfolgen. Ganz sicher kann ich nachvollziehen, dass eine Sendung wie Big Brother zur Zeit der Pandemie befremdlich ist.

Ich hoffe ich konnte Ihre Fragen beantworten und stehe Ihnen weiter gerne für Rückfragen zur Verfügung.

Herzliche Grüße

Sebastian Brehm, MdB

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