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Ralf Stegner
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Frage von Hans-Günter G. •

Frage an Ralf Stegner von Hans-Günter G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Her Dr. Stegner,

in Ihrer kurzen und ausweichenden Antwort auf meine Fragen vom 29.05.2015, verweisen Sie auf einen Beitrag von Ihnen in www.spd.de Darin behaupten Sie zunächst: „Auch mit diesem Gesetz wird die Gewerkschaft der Lokführer weiter für ihre Rechte streiken können". Hier versuchen Sie die Bürger zu verwirren. Sie sagen nicht, dass man der kleineren Gewerkschaft das Streikrecht verbietet, denn Sie widersprechen sich in Ihrem nächsten Satz, der da lautet: „Künftig kommt jedoch bei Tarifkollisionen (unterschiedliche Regelungen in verschiedenen Tarifverträgen für gleiche Personengruppen in einem Betrieb) nur noch der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft zur Anwendung. Dieses Mehrheitsprinzip ist ja auch ein wichtiger Grundsatz unserer Demokratie."

Doch das ist genau der strittige Punkt. Was nützt mir das Recht der Koalitionsfreiheit, wenn die von mir gewählte, kleinere Gewerkschaft bessere Tarife und Arbeitsbedingungen aushandelt, aber sie letztendlich nicht durchgesetzt werden können, weil das neue Tarifeinheitsgesetz der kleineren Gewerkschaft das gesetzlich verbriefte Recht des Streiks verbietet?

Dem Grundsatz "Ein Betrieb, ein Tarif" wird nicht widersprochen. Den Unternehmern wird doch nicht verboten, in ihrem Betrieb allen den gleichen Tarif zu zahlen. Oder glauben Sie, dass sich die Arbeitnehmer wehren würden den besseren Tarif anzunehmen, selbst wenn er von der kleineren Gewerkschaft erkämpf wurde?
Dass dieses Gesetz auch noch von den meisten Arbeitsrechtlern als verfassungswidrig beurteilt wird, sollte selbst einem angeblich Linken in der SPD zu denken geben.
Doch die SPD scheint Spaß daran zu haben, die Arbeit der C-Parteien zu übernehmen. Sie hat ja auch der Maut zugestimmt, gegen die Jean-Claude Junker jetzt schon rechtliche Schritte angekündigt hat. Werden Sie gegebenenfalls auch dem Freihandelsabkommen TTIP zustimmen?

Auf eine etwas ausführlicheren Antwort hoffend.
Hans-Günter Glaser

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Sehr geehrter Herr Glaser,

die SPD sieht die Tarifautonomie als Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft an, die sich aus gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Sicht bewährt hat. Die Koalitionsfreiheit, das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren und das Streikrecht zur Durchsetzung berechtigter Interessen in Tarifauseinandersetzungen sind Grundrechte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die für die Sozialdemokratie niemals zur Disposition stehen.

Über Jahrzehnte galt in der Bundesrepublik durch Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes der Grundsatz „Ein Betrieb-ein Tarifvertrag“. Damit galt immer das Prinzip, dass in einem Betrieb der Tarifvertrag bindend ist, der von der mitgliederstärksten Gewerkschaft abgeschlossen wurde. Dieses Prinzip galt für Tarifverträge, deren Gültigkeit sich auf die gleichen Arbeitnehmergruppen in einem Betrieb bezog. Damit war Tarifpluralität nicht ausgeschlossen. Wenn sich unterschiedliche Gewerkschaften auf die unterschiedliche Tarifzuständigkeit für verschiedene Beschäftigtengruppen geeinigt hatten, gab es auch immer die Möglichkeit der Gültigkeit von mehreren Tarifverträgen in einem Betrieb.

Wir haben in Deutschland mit der faktischen Tarifeinheit gute Erfahrungen gemacht. Eine Zersplitterung des bewährten Tarifvertragssystems und die Spaltung von Belegschaften wurden verhindert. Im Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung allerdings geändert.

Mit dem neuen Gesetz fördern wir die friedliche Lösung von Tarifkonflikten in Betrieben, in denen zwei oder mehr Gewerkschaften Tarifverträge für die gleichen Beschäftigten aushandeln wollen. Das Existenzrecht kleiner Gewerkschaften wird dabei mit der Neuregelung keineswegs infrage gestellt. Es ist vorrangige Aufgabe der Tarifvertragsparteien, durch autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu vermeiden.

Dies kann insbesondere erfolgen, indem
• die Gewerkschaften ihre jeweiligen Zuständigkeiten abstimmen und ihre Tarifverträge somit für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten,
• die Gewerkschaften gemeinsam ihre Tarifverträge in einer Tarifgemeinschaft verhandeln,
• die Gewerkschaften, ohne in einer Tarifgemeinschaft verbunden zu sein, inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen,
• eine Gewerkschaft den Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft nachzeichnet (sogenannter Anschlusstarifvertrag),
• innerhalb eines Zusammenschlusses mehrerer Gewerkschaften verbandsinterne Konfliktlösungsverfahren genutzt werden oder
• eine Gewerkschaft die Ergänzung ihres Tarifwerks durch tarifvertragliche Regelungen einer anderen Gewerkschaft gestattet.

Das Tarifeinheitsgesetz regelt, dass Gewerkschaften sich eigenverantwortlich abstimmen und für sauber getrennte Tarifregelungen in ihren Betrieben sorgen.

Gelingen eigenverantwortliche Lösungen nicht und tritt eine Tarifkollision ein, gilt:

• Gibt es in einem Betrieb konkurrierende Tarifverträge für dieselben Beschäftigtengruppen, so ist der Tarifvertrag der Gewerkschaft anzuwenden, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat.
• So wird sichergestellt, dass der Tarifvertrag mit der größten Akzeptanz gilt.
• Mit dem neuen Gesetz bleiben auch die Rechte kleinerer Gewerkschaften gewahrt. Sie erhalten Anhörungsrechte. Die Minderheitsgewerkschaft kann sich im Wege einer Nachzeichnung den tarifvertraglichen Regelungen der Mehrheitsgewerkschaft anschließen, die auch Bestandteil des Tarifvertrags der Minderheitsgewerkschaft sind.

Der Gesetzentwurf sieht keinen gesetzlichen Eingriff in das Streikrecht vor. Als Grundrecht aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf das Streikrecht weder eingeschränkt noch in Frage gestellt werden. Es bleibt aber dabei, dass ein Arbeitskampf verhältnismäßig sein muss. Künftig wird im Einzelfall im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu entscheiden sein, ob der von einer Minderheitsgewerkschaft geführte Arbeitskampf verhältnismäßig ist.

Damit vermindern wir Anreize, Belegschaften zu spalten und die Tariflandschaft zu zersplittern. Mit dem Tarifeinheitsgesetz stärken wir die Tarifautonomie und die Solidarität aller Beschäftigten in einem Betrieb.

Mit freundlichen Grüßen
Ralf Stegner

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