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Petra Sitte
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Frage von Sandra S. •

Wie zeigen Sie alternative Unterstützung den Menschen auf, die am Ende ihres Lebens sind und assistierten Suizid als einzigen Ausweg sehen ?

Die Lebenssituation von Menschen, die über assistierten Suizid oder Euthanasie nachdenken, ist meistens von Leid, Schmerzen oder depressiven Erfahrungen geprägt. Entsprechend ist eine autonome Entscheidung zum Tod kaum möglich. Assistierter Suizid und Euthanasie sind eine Kapitulation vor schwierigen Lebenslage und dürfen nicht erlaubt sein. Im Besonderen ältere Menschen, die das Gefühl haben ihrer Familie "zur Last" zu fallen, denken über den Wunsch seinem Leben medizinisch ein Ende zu bereiten nach. Die Wertschätzung der älteren Menschen geht rapide verloren, wenn wir davon sprechen, dass sie "eine Last" für ihr Umfeld sind. Stattdessen muss die Begleitung im Sterben (Palliative Pflege und Medizin, Hospize solide finanziert, verbessert und ausgebaut werden. Kürzlich beim Kongress Leben Würde haben u. a. mehrere Ärzte und Pflegepersonal von ihrem Expertise und Erfahrungen berichtet, wie Menschen im Sterben begleitet werden können, ohne ihnen ihre Würde abzuerkennen.

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Sehr geehrte Frau S.

Ihre Frage betrifft ein wichtiges, sensibles und im Zweifelsfall existentielles Thema. In der Diskussion um eine gesetzliche Regelung der Suizidhilfe sind viele sehr unterschiedliche Anliegen, Sorgen und Risiken zu bedenken. Die Befürchtung, dass eine Liberalisierung der Suizidassistenz zu einer Normalisierung des selbst herbeigeführten Todes führen werde, wird von den Erfahrungen in Ländern, die das Recht auf selbst bestimmtes Sterben eingeführt haben, nicht bestätigt. In Deutschland ist die Suizidassistenz gegenwärtig wieder ungeregelt, so dass alle Betroffenen und Beteiligten sich in einem rechtlichen Graubereich bewegen, der für alle Beteiligten Gefahren birgt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil aus dem Februar 2020 in ungewöhnlich klaren Worten dargelegt, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist: „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“, heißt es in dem Urteil des Zweiten Senats. Ein Verbot des assistierten Suizids wäre daher schon rechtlich nicht möglich. Ich hielte es auch für eine Form der Fremdbestimmung und Einmischung in die vielleicht persönlichste Entscheidung überhaupt.

Der Gesetzentwurf zum assistierten Suizid, den ich unterstütze und an dem ich mitgearbeitet habe, sieht, ganz im Sinne des BVerfG, eine ausführliche, kompetente und ergebnisoffene Beratung der Betroffenen vor, die flächendeckend, kostenlos und wohnortnah zur Verfügung stehen muss, damit Entscheidungen in voller Kenntnis der rechtlichen, medizinischen, emotionalen, sozialen und anderen Aspekte und möglichen Konsequenzen gefällt werden können. Auch hier zeigt die Erfahrung, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen, die sich zum Beispiel in der Schweiz an Sterbehilfevereine wenden und von diesen beraten lassen, letztlich von ihrem Sterbewunsch abrücken. In der persönlichen Notsituation akzeptiert zu werden und kompetente, zugewandte Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erhalten, ist für die allermeisten Grund genug, sich ihrem Leben wieder zuzuwenden und neuen Mut zu schöpfen. Deswegen steht diese Beratung und Begleitung im Zentrum unseres Gesetzentwurfs.

Es liegt auf der Hand, dass jede Lebenslage, die Menschen an die Beendigung ihres Lebens denken lässt, schwierig und oft genug von Leid, Krankheit und dem Gefühl der Überforderung oder Lebensmüdigkeit geprägt ist. Soweit es möglich ist, müssen – dafür stehe ich ein – Menschen in solchen Situationen Hilfe bekommen. Andererseits gibt es Fälle von Menschen, die sich nach reifer Abwägung und Überlegung aus freien Stücken und eigenem Entschluss dazu entscheiden, ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen. Diesen Menschen lässt sich nicht pauschal eine psychische Erkrankung zuschreiben oder die Unfähigkeit, selbstbestimmt zu entscheiden. Ich kenne zahlreiche solcher Menschen, die sich an mich gewandt und mir ihre Geschichten und Ansichten geschildert haben. Auch ihnen fühle ich mich verpflichtet, und deshalb werde ich weiter für eine solche gesetzliche Regelung der Suizidhilfe eintreten, dass eine selbstbestimmte Beendigung des eigenen Lebens rechtlich sicher, medizinisch verlässlich und praktisch machbar wird.  

mit freundlichen Grüßen,

Dr. Petra Sitte MdB

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