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Matthias Miersch
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Frage von Hannah P. •

Frage an Matthias Miersch von Hannah P. bezüglich Umwelt

Lieber Herr Miersch, ​

ich bin Hannah Pirot, 16 Jahre alt, seit Januar 2019 Aktivistin bei Fridays for Future und momentan dort Pressesprecherin für Berlin.

Vor Kurzem wurde von der Bundesregierung das 'Kohleausstiegsgesetz' verabschiedet. In der Entscheidungsfindung und Ausgestaltung spielte auch Ihr Standpunkt eine maßgebliche Rolle. ​

Es läuft nun höchstwahrscheinlich darauf hinaus, dass Deutschland erst im Jahr 2038 aus der Kohle aussteigt. ​
Zahlreiche Wissenschaftler*innen allerdings stellten fest, dass Deutschland dann das 1,5°-Ziel sowie das Pariser Klimaabkommen nicht mehr eingehalten kann. Dies bedeutet ohne Frage eine stärkere Klimaerwärmung und der unwiderrufliche Kollaps aller Ökosysteme droht, denn wir befinden uns in der Klimakrise. ​
Unzählige Bürger*innen protestieren seit langem im Rahmen von Fridays for Future und fordern Klimagerechtigkeit. Sie sehen Ihre Lebensgrundlagen bedroht, wenn sich der politische Kurs im klimapolitischen Bereich nicht drastisch ändert. ​
Laut der Wissenschaftler*innen müssen wir, um die Klimakrise bewältigen zu können, schon 2030 aus der Kohle aussteigen. ​

Ich bin mir bewusst darüber, dass Klimaschutzmaßnahmen oft politisch schwierig umzusetzen sind. Allerdings kann man mit dem Klima keine Kompromisse machen, denn die Zeit läuft ab. Meiner Meinung nach sollte kurzfristiger Profit nicht über unsere einzige Lebensgrundlage gestellt werden. Es wäre sicherlich möglich für Sie und andere Politiker*innen, mehr Initiative zu ergreifen, um den Klimawandel aufzuhalten. ​

Daher meine Frage: Wie rechtfertigen Sie das 'Kohleausstiegsgesetz'? Wie werden Sie Ihrer Verantwortung gegenüber unserem Planeten und den zukünftigen Generationen gerecht werden? ​

Mit freundlichen Grüßen,​
Hannah Pirot​

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Pirot,

vielen Dank für Ihr Schreiben und Ihr Engagement bei Fridays for Future.

Der Kampf für den Klimaschutz ist seit jeher einer meiner politischen Schwerpunkte. Ihr Schreiben empfinde ich daher als Unterstützung und Kraft gebend. Der Klimaschutz gehört zu den größten Herausforderungen der Gegenwart. Wir müssen alle dazu beitragen, die Erderwärmung deutlich zu bremsen und den Klima-Infarkt aufzuhalten.

Bevor ich auf einige konkrete Gesetzesvorhaben und auch das Kohleausstiegsgesetz zu sprechen komme, lassen Sie mich ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen, da Sie von „mehr Initiative“ sprechen und davon, dass mit dem Klima „keine Kompromisse“ gemacht werden können. Derzeit haben wir im Deutschen Bundestag eine strukturelle Mehrheit gegen eine progressive Energiewende. Nachdem die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition an der FDP gescheitert waren, wurde eine große Koalition gebildet, in der ich gerade in der Energiepolitik als verantwortlicher stellvertretender Fraktionsvorsitzender harte Auseinandersetzungen mit CDU/CSU führe. Ich kann Ihnen daher mit aller Überzeugung versichern, dass ich hier meine maximale Kraft täglich aufwende, um effektiven Klimaschutz zu betreiben. Politik besteht aus Kompromissen, weshalb ich immer wieder um Differenzierung bitte. Wir haben in den USA gesehen, was ein Außerachtlassen von Bevölkerungsgruppen mit sich bringen kann: Die Wahl eines Präsidenten, der als eine der ersten Amtshandlungen das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigte. Wenn Sie die Wahlkreisergebnisse in den von der Transformation derzeit besonders betroffenen Gebieten anschauen, werden Sie zum Beispiel die Auswirkungen auf die Ergebnisse der AfD erkennen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wenn die SPD oder ich alleine entscheiden könnten, dann wären Beschlüsse sicherlich anders ausgefallen. Wir hätten zum Beispiel nicht eineinhalb Jahre über den Wegfall des Solardeckels oder die Verhinderung von Abstandsregeln für Windkraftanlagen auf Land streiten müssen. Mir ist wichtig, auch Ihrer Bewegung gegenüber immer wieder zu betonen, dass wir durchaus die Empathie füreinander und für unsere Aufgabenfelder aufbringen müssen. Das gilt zum Beispiel auch für den Kohleausstieg:

Der Kohleausstieg ist ein hochkomplexes Vorhaben, das sehr viele Interessen berührt. Ich habe deshalb mit Stefan Weil die sogenannte Kohlekommission initiiert. In der Kohlekommission ist es gelungen einen von einer breiten Mehrheit getragenen gesellschaftlichen Kompromiss unter Einbeziehung aller betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zu erzielen. An der Erarbeitung der Empfehlungen beteiligt waren Vertreterinnen und Vertreter der Energiewirtschaft, von Industrieverbänden, Gewerkschaften, Umweltverbänden und der Wissenschaft. Wir können den Schalter nicht einfach umlegen und die Kraftwerke von heute auf morgen abschalten, ohne entsprechende Alternativen aufgebaut zu haben. Der Vertreter von Greenpeace oder auch einer der bekanntesten Klimaforscher, Professor Schellnhuber, haben insoweit dem Kompromiss zugestimmt, das Abschaltdatum des letzten Kraftwerkes auf 2038 zu legen, wobei ausdrücklich eine frühere Abschaltoption möglich ist. Bis auf eine Vertreterin einer Tagebauregion haben sich zudem alle Kommissionsmitglieder für Verträge mit den Braunkohlebetreibern ausgesprochen, um Rechts- und Planungssicherheit zu erhalten.

Durch das Kohleausstiegsgesetz wird Deutschland als erstes hochindustrialisiertes Land in dieser Form gesetzlich fixiert aus Atom und Kohle aussteigen. Wir haben lange verhandelt, um den Kompromiss der Kohlekommission gesetzlich umzusetzen. Und ich finde, es ist uns gelungen, alle Interessen bestmöglich zusammenzubinden. Wir helfen den Beschäftigten der Kohlewirtschaft mit dem Anpassungsgeld. Wir unterstützen den Strukturwandel in den betroffenen Regionen. Wir verankern den Ausstieg rechtssicher im Kohleausstiegsgesetz und schaffen belastbare Rahmenbedingungen für die Unternehmen.

Wichtig ist, dass ein entschädigungsfreier Ausstieg vor 2038 weiterhin möglich bleibt. Die Grundlage für den Kohleausstieg, vor allem für einen schnelleren Kohleausstieg, ist der massiv verstärkte Ausbau der Erneuerbaren Energien, das belegt ja auch das aktuelle von Fridays for Future initiierte Gutachten. Daher ist das zentrale politische Vorhaben in den nächsten Wochen, dass wir aus dem schwachen Gesetzentwurf zur Änderung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes aus dem Hause von Wirtschaftsminister Altmaier im Parlament einen großen Wurf machen, um dem Ausbau der Erneuerbaren Energien einen starken Schub zu geben. Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb die parlamentarischen Beratungen zur Novelle des EEG nutzen und einen Zukunftspakt zwischen Bund, Ländern und Kommunen für Erneuerbare Energien vorschlagen, der ambitionierte Ausbaupfade vorsieht.

Sehr geehrte Frau Pirot,

verglichen gegenüber den anderen Ländern dieser Welt kann ich somit den gleichzeitigen gesetzlich fixierten Ausstieg aus Kohle und Atom absolut rechtfertigen, da ein großes Transformationsprojekt begonnen wurde. Dies gilt auch vor allem in Hinblick auf die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag und die zahlreichen Interessen zwischen Bund und Ländern und den jeweiligen Bevölkerungsgruppen. Zentral ist für mich diesbezüglich auch die Möglichkeit noch schneller den Umstieg zu schaffen. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn die progressiven Kräfte nun alles daran setzen, gemeinsam für den schnellen und massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien zu kämpfen.

Zudem hat die SPD in der großen Koalition ein weiteres wichtiges Instrument durchgesetzt, dass in den Jamaika Kollation nicht einmal ansatzweise erwähnt worden ist.
Letztes Jahr wurde das Klimaschutzgesetz beschlossen. Mit dem Klimaschutzgesetz haben wir zum ersten Mal die Klimaziele für Deutschland gesetzlich festlegt, so dass sie verbindlich gelten und zwar sektorspezifisch. Auch ein Gedanke, den das Wuppertal Institut in der aktuellen Studie aufgreift. Da Sie mich nach meiner Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen fragen: Ich habe über zehn Jahre für dieses Klimaschutzgesetz gekämpft. Jetzt ist es Realität. Vielleicht können Sie nachvollziehen, dass mich Ihre Zeilen insoweit berühren, wenn Sie meine Verantwortung gegenüber künftigen Generationen in Frage stellen. Nicht verschweigen möchte ich, dass mit dem Klimaschutzgesetz noch keine Garantie für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik besteht. Es liefert aber sehr wohl die Gewissheit, dass sich zukünftige Bundesregierungen nicht mehr „wegducken“ können, wenn sie in den einzelnen Sektoren Klimaschutzziele verfehlen. Ich möchte betonen, dass wir bei Instrumenten wie dem Klimaschutzgesetz – aber auch dem Kohleausstiegsgesetz - jederzeit das Tempo anziehen und die Ziele verschärfen können.

Ich hoffe mit diesen Ausführungen Ihren Fragen gerecht geworden zu sein und danke Ihnen nochmals ganz herzlich für Ihr Schreiben. Ich werde mich auch weiterhin mit Hochdruck für mehr Klimaschutz einsetzen. Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, um die oben angesprochenen Maßnahmen durchzusetzen. Die FridaysforFuture-Bewegung hat den politischen Prozess beschleunigt. Aber Sie und ich brauchen noch einen langen Atem. Das Engagement Ihrer Generation für diese Zukunfts-Themen ist sehr wichtig. Und es lässt mich hoffen, dass Sie und Ihre Mitstreiter*innen den gesellschaftlichen Veränderungen neue Wege ebnen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Matthias Miersch MdB

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