Frage von Anja Z. •

Stellungnahme zu Israels Kriegsverbrechen und Deutschlands Rolle erwartet

Sehr geehrter Herr Rinderspacher,

als besorgte Bürgerin und Wählerin erwarte ich von Ihnen eine klare Stellungnahme zu den dokumentierten Kriegsverbrechen Israels im Gaza-Krieg. Die Eskalation der Gewalt, die Tötung Tausender Zivilist:innen, die Zerstörung von Krankenhäusern und Infrastruktur sowie die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung sind unerträglich – und dürfen nicht weiter ignoriert oder relativiert werden.

Besonders empört mich die fortgesetzte deutsche Waffenexportpolitik an Israel, die trotz offensichtlicher Verstöße gegen internationales Recht aufrechterhalten wird. Die Doppelmoral ist unübersehbar: Während Deutschland zu Recht Waffenlieferungen an Russland stoppt und Putin als Kriegsverbrecher verurteilt, wird Netanyahus Regierung weiter unterstützt – obwohl auch sie Kriegsverbrechen begeht. Diese Heuchelei untergräbt Deutschlands Glaubwürdigkeit in der internationalen Gemeinschaft.

Mit freundlichen Grüßen,

Anja Z.

Markus Rinderspacher
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Z.,

der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war einer der schwersten Angriffe auf israelisches Territorium seit der Staatsgründung 1948. Er war brutal, groß angelegt und gezielt gegen Zivilisten gerichtet. Mehrere tausend bewaffnete Kämpfer der Hamas durchbrachen die Grenzanlagen zum Gazastreifen, während gleichzeitig Tausende Raketen auf israelische Städte abgefeuert wurden.

Über 1.200 Menschen wurden getötet, darunter auch viele Frauen, Kinder und ältere Menschen. Mehr als 250 Menschen wurden verschleppt – darunter Kinder, ältere Menschen und Ausländer. Die Hamas drang in israelische Kibbuzim und Dörfer nahe Gaza ein, wo gezielt Massaker an der Zivilbevölkerung verübt wurden. Es gab dokumentierte Fälle von Folter, Vergewaltigungen und öffentlichen Hinrichtungen.

Das Vorgehen der Hamas war ein klarer Akt der Aggression und ein schwerer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Israel hat gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen das unveräußerliche Recht, sich gegen einen bewaffneten Angriff zu verteidigen. Dabei ist Israel – wie alle Staaten – völkerrechtlich verpflichtet, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen zu wahren. Das humanitäre Völkerrecht bleibt in Kraft – auch im Rahmen der Selbstverteidigung. Es bleibt Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, bei allen militärischen Reaktionen auf Einhaltung des Völkerrechts zu drängen und auf eine politische Lösung des Konflikts hinzuwirken.

Die internationale Gemeinschaft hat in den letzten Wochen und Monaten verstärkt auf das Vorgehen Israels im Gazastreifen reagiert. Internationale Gerichte und Organisationen haben Israels Vorgehen in Gaza kritisch bewertet und Maßnahmen gefordert, um die humanitäre Lage zu verbessern und das Völkerrecht zu wahren.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in einem von Südafrika angestrengten Verfahren angeordnet, dass Israel seine militärischen Operationen in und gegen Gaza sofort aussetzen und sicherstellen soll, dass keine weiteren Schritte unternommen werden, die diese Operationen unterstützen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) forderte einen sofortigen, bedingungslosen und dauerhaften Waffenstillstand in Gaza, die sofortige Freilassung aller Geiseln und den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe durch die UNRWA. Die EU und mehrere europäische Länder haben ihre Haltung gegenüber der Regierung Netanjahu angesichts der humanitären Lage jüngst deutlich zum Ausdruck gebracht. Das Vereinigte Königreich hat Handelsgespräche mit Israel ausgesetzt. Spanien und Irland fordern konkrete Maßnahmen, um den Konflikt zu beenden und den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe sicherzustellen. Die deutsche Bundesregierung betont Israels Recht auf Selbstverteidigung, fordert jedoch auch die Einhaltung humanitärer Verpflichtungen und hat humanitäre Hilfe für Gaza bereitgestellt.

Der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte bereits bei einem Besuch in Israel im März 2024 Besorgnis über die humanitäre Lage im Gazastreifen. Er betonte: „Wir können nicht zusehen, wie Palästinenser den Hungertod riskieren“ und forderte eine Ausweitung der humanitären Hilfe sowie Zurückhaltung bei militärischen Offensiven. Die frühere Außenministerin Annalena Baerbock rief Israel dazu auf, bei der Bekämpfung der Hamas die Zivilbevölkerung zu schonen und das Völkerrecht einzuhalten. Sie betonte die Notwendigkeit sicherer Schutzräume und ungehinderten Zugangs für Hilfslieferungen.

Es sind bis heute die Bemühungen Deutschlands erkennbar, eine Balance zwischen der Solidarität mit Israel und der Verpflichtung zur Einhaltung des Völkerrechts und humanitärer Prinzipien zu finden. Dies findet nicht nur Zustimmung, sondern löst erkennbar auch Kritik aus. Deutschland steht somit auch beim Thema Waffenlieferungen vor dem Dilemma, dem Schutz und der Unterstützung Israels als demokratischer Staat und enger Partner Rechnung zu tragen, und gleichzeitig die Achtung des humanitären Völkerrechts durchzusetzen. Es ist ein komplexer Konflikt: Die deutsche Politik muss dabei Verlässlichkeit gegenüber Israel und Glaubwürdigkeit in ihrer Menschenrechtspolitik zugleich bewahren. 

Klar ist: Deutschland darf keine Waffen liefern, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen genutzt werden könnten. Dies ist völkerrechtlich durch das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz und internationale Verpflichtungen festgeschrieben.

Mit freundlichen Grüßen

Markus Rinderspacher, MdL

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