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Lars Castellucci
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Frage von Julian D. •

Gibt es Belege dafür, dass ein Schutzkonzept wie Ihres notwendig ist, um die Selbstbestimmung zu gewährleisten?

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Castellucci,

Vielen Dank für Ihre Antwort.
Haben Sie jedoch empirische Belege dafür, dass die Selbstbestimmung bei einer Freigab von Pentobarbital wirklich gefährdet ist? Nach meiner Recherche eher nicht: https://bit.ly/3uxwB6j
Aus meiner Erfahrung ist eher ein gegenteiliges Schutzkonzept notwendig. Meine Angehörigen können sich z. B. mit meinem Sterbewunsch nicht anfreunden und versuchen dies zu verhindern. Daher war ich nun auch schon zweimal in Polizeigewahrsam, bis ein Psychiater kam und mich bald wieder hat gehen lassen. Wenn der Staat die Pflicht hat die Selbstbestimmung zu sichern, dann müsste es auch ein Schutzkonzept gegen Menschen, die das verhindern wollen geben. Ich bin kein Einzelfall: https://bit.ly/34KjPXi
Ist ein ein solches Schutzkonzept wirklich das Richtige, wenn in Ländern mit faktisch freiem Zugang zu Pentobarbital z. B. Mexiko (https://reut.rs/3soQtG6), laut WHO, ein niedrige Suizidrate haben als Deutschland (https://bit.ly/34KuP6I)?

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Sehr geehrter Herr D.,

vielen Dank für Ihre Nachfrage.

Was uns die Zahlen aus Belgien, den Niederlanden und der Schweiz zeigen: Angebot schafft Nachfrage, die Niederlande (10,0 Suizide pro 100.000 Personen), Schweiz (11,3) und Belgien (15,9) weisen höhere Suizidraten auf als Deutschland (9,2). 

Statt uneingeschränkter Sterbehilfe brauchen wir bessere Suizidprävention und guten Zugang zu psychotherapeutischer Unterstützung. Gewiss erreichen wir mit dem Gesetzentwurf nur Menschen, die sich längerfristig mit einem Suizid-Gedanken beschäftigen und dafür fremde Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Für alle anderen Fälle gilt es, die Suizid-Prävention auf allen Ebenen zu stärken, ob staatlich, gesellschaftlich-institutionell, ehrenamtlich oder im privaten Bereich. Menschen, die sich sehr kurzfristig das Leben nehmen wollen, erreichen wir mit diesem Gesetzentwurf nicht, die anderen Gesetzentwürfe übrigens ebenso wenig.

Die vorgeschlagene Regelung dient gerade dazu, die Selbstbestimmung zu wahren. Denn ein Suizidwunsch kann nur dann selbstbestimmt sein, wenn er nicht auf Druck beruht. Der Gesetzgeber „darf“  laut Bundesverfassungsgericht einer Entwicklung entgegensteuern, welche die Entstehung sozialen Drucks befördert, sich aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben zu nehmen. Die staatliche Schutzpflicht zugunsten der Selbstbestimmung könne gegenüber dem Freiheitsrecht Vorrang erhalten, wenn der betroffene Mensch Einflüssen ausgeliefert ist, die die Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährden. 

Mit dem mehrstufigen und multidisziplinären Schutzkonzept wollen wir die innere und äußere Freiheit (Freiverantwortlichkeit) und die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches sichergestellt wissen. Es muss sichergestellt werden, dass Lebensmüde und Sterbewillige ihren selbstbestimmten Willen nicht nur frei von äußerem Druck, sondern ebenso frei von innerem Druck, wie einer seelischen Erkrankung, entwickeln können.  Dass das Szenario der Drucksituationen realistisch ist, zeigen Beispiele wie der mangelnder Zugang zu Pflege, unzureichende Pflege, Angst vor Armut, die Sorge, den Angehörigen zur Last zu fallen oder der Wunsch, den Kindern das mühsam Ersparte hinterlassen zu wollen, ebenso wie Angst vor Schmerzen oder Atemnot während des Sterbens. Der Konflikt dreht sich um die Frage, wie Selbstbestimmung gewährleistet werden kann. Wir meinen: Nicht mit einem staatlichen Gütesiegel für Sterbehilfeangebote. 

Mit freundlichen Grüßen,

Lars Castellucci

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