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Katrin Göring-Eckardt
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Frage von Helga M. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Helga M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Frau Göring-Eckardt,

in der DDR-Zeit war ich bei der Aktion Sühnezeichen . Verinnerlicht hat sich bei mir, daß Deutschland nie wieder Unheil über andere Völker bringen darf. Sie sind auch im Kuratorium der Aktion Sühnezeichen. Ich gehe davon aus, daß man damit auch ein Anliegen verbindet.
Sie haben im März 2007 als Bundestagsabgeordnete für den Tornado-Einsatz in Afghanistan gestimmt. Sie wissen wie ich, daß in diesem ungerechten Krieg vor allem Zivilisten Opfer geworden sind und wahrscheinlich noch werden.
Sie wissen auch, daß Deutschland seinen früher guten Ruf bei den Afghanen verloren hat.

Hat sich der Inhalt von Aktion Sühnezeichen geändert?
Ist ein Bündnisdenken in der Politik heute wichtiger als die Souveränität von Ländern, die wichtige Rohstoffe haben?

Ich verstehe zugegeben diese Politik nicht mehr und schäme mich eine Deutsche zu sein, obwohl ich zu diesem Land gehöre und es nicht verlassen will.

Freundliche Grüße aus Thüringen

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Müller,

ich danke Ihnen für ihre Email. Nie wieder darf es dazu kommen, dass Deutschland Unheil über andere Völker bringt. Darin stimme ich mit Ihnen völlig überein und aus dieser Überzeugung heraus engagiere ich mich auch im Kuratorium der Aktion Sühnezeichen.

Kriegerischer Auseinandersetzungen in der Welt nehmen zu. Es sind Konflikte offen ausgebrochen, die zu Zeiten des Kalten Krieges noch unter der Oberfläche brodelten. Der internationale Terrorismus konfrontiert uns mit höchst beunruhigenden Formen der Gewalt.

Für Deutschland stellt sich die Frage, wie angesichts solcher Konflikte agiert werden soll. Wo immer es geht, müssen kriegerische Auseinandersetzungen mit diplomatischen Mitteln verhindert oder eingestellt werden. Der Einsatz von Soldaten ist aber dann notwendig, wenn Kriegsparteien mit zivilen Mitteln nicht zum Frieden zu bewegen sind, wo nur noch mit militärischen Mitteln zu Gunsten Schwächerer eingegriffen und Völkermord verhindert werden kann. Wenn deutsche Soldaten in Krisenregionen zum Einsatz kommen, besteht ihr Auftrag unter dem Mandat der Vereinten Nationen darin, Frieden wieder herzustellen und dauerhaft zu sichern. Ziel ist es immer, Frieden zu schaffen und den Krieg zu beenden.

Auch die Bevölkerung Afghanistans ist auf Hilfe aus Deutschland angewiesen. Deutsche Soldaten in Afghanistan leisten im Rahmen des ISAF-Mandats wertvolle Aufbauarbeit. Das Konzept von regionalen Aufbaugruppen (PRTs), welches unter dem ISAF-Mandat verfolgt wird, gilt als vorbildhaft.

Im vergangenen Jahr hat ein Team der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit einer Hilfsorganisation vor Ort die Bevölkerung im Norden Afghanistans befragt, was sie vom Engagement der Bundeswehr und der deutschen Entwicklungshilfe halten. 80% begrüßten deren Anwesenheit und bestätigten, dass die internationale Präsenz zu ihrer Sicherheit beträgt, zwei Drittel der Befragten wiesen den Fortschritt beim Wiederaufbau der Unterstützung durch den Westen zu.

Im Kleinen, oft im Unbemerkten, gibt es viele positive Entwicklungen. Es bleibt unendlich viel zu tun, doch viele Menschen haben endlich wieder Zugang zu Bildung, werfen langsam den erdrückenden Mantel jahrzehntelangen Krieges und fanatischer Terrorherrschaft durch die Taliban ab. Frauen sind wieder Teil der Gesellschaft und nicht länger systematisch von Grundrechten ausgeschlossen. Diese positiven Entwicklungen gilt es trotz oder gerade wegen der vielen Rückschläge zu stärken. Theater- und Frauenprojekte, auch im Süden, sollen fortgesetzt werden können; der weitere Aufbau und die Sicherung von Mädchenschulen, von Universitäten, Bibliotheken, von Hebammenprojekte, die Versorgung mit Wasser und Strom, der Bau von Straßen in heute zum Teil fast völlig abgeschnittenen Gegenden - all das muss weiter gehen. Es muss eine harte Bekämpfung des Drogenhandels geben und den Aufbau von verlässlichen staatlichen Strukturen ohne Korruption und Vetternwirtschaft. Es braucht eine gut ausgebildete Polizei (in einem Land mit hoher Analphabetenrate auch bei genügend Kräften und Mitteln nicht leicht). Es wird eine unabhängige Justiz benötigt, die rechtsstaatlich agiert.

Ein solcher Aufbau ist in Afghanistan in der gegenwärtigen Situation mit zivilen Anstrengungen aber allein nicht zu erreichen. Die Taliban haben sich mit pakistanischer Unterstützung reorganisiert und sorgen für Destabilisierung besonders im Süden und Osten des Landes. Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absicherung des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Besonders im Süden und Osten muss Stabilität auch mit militärischen Mittel herbeigeführt werden, um zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermöglichen. Die Tornados, deren Einsatz Sie ansprechen, können durch ihre Aufklärungsfähigkeit einen spezifischen Beitrag für Schutz und Sicherheit leisten.

Allerdings ist es in Afghanistan zu einem Ungleichgewicht im Einsatz ziviler und militärischer Mittel gekommen ist. Auch durch das teilweise kontraproduktive Vorgehen der US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF) droht die Situation zu eskalieren. Das muss sich dringend ändern. Ein Strategiewechsel ist notwendig, hin zu einer zivilen Offensive - mit mehr finanziellen Mitteln für den zivilen Aufbau, mit besser strukturierter und koordinierter Hilfe vor Ort, mit mehr Unterstützung der Polizeiausbildung.

Genauso wenig wie mit zivilen Mittel allein, kann allein mit militärischen Mitteln der Frieden gewonnen werden. Jetzt aber die Soldaten abzuziehen würde bedeuten, dass die Taliban wieder die Macht übernehmen und alle mühsam errungenen Erfolge der letzten Jahre zunichte gemacht würden.

Mit vielen Grüßen,
Katrin Göring-Eckardt

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