Welche Belege außer Importstatistiken stützen Ihre Annahme, dass Selbstzahler-Cannabis missbräuchlich verwenden & warum nutzen Sie nicht bestehende Kontrollmechanismen, sondern pauschale Sanktionen?
Sehr geehrter Herr Kippels,
die geplante Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes zielt auf eine angebliche “Fehlentwicklung” durch gestiegene Cannabis-Importe seit 2024 ab (BMG-FAQ zur Gesetzesänderung). Meiner Ansicht nach wirkt diese Reaktion wie eine pauschale Generalverdächtigung: Ärzt:innen verschreiben nach medizinischer Indikation, Apotheken prüfen Dosierung und Verordnung, sodass bereits ein sicheres, kontrolliertes System besteht (vgl. BfArM 2025, Deutsches Ärzteblatt 2024, Apotheken Umschau 2024).
Verletzt dies nicht die ärztliche Verschreibungshoheit und Patient:innenautonomie, warum werden diese von Ihnen so unverhältnismäßig einschränkt?
Wenn es tatsächlich Missbrauchsfälle gibt, könnten diese gezielt verfolgt werden, anstatt das gesamte System für Selbstzahler einzuschränken?
Welche konkreten empirischen Belege (abseits der Importstatistik) stützen Ihre Annahme, dass Missbrauch in einem solchen Ausmaß vorliegt, dass ein tiefer Eingriff gerechtfertigt ist?
Sehr geehrter Herr R.
vielen Dank für Ihre Anfrage, die mir die Gelegenheit gibt, einige Fakten bezüglich des Cannabisgesetzes darzulegen. Die auch von Ihnen angesprochene Importstatistik der Cannabisblüten spielt dabei eine nicht zu vernachlässigende Rolle, denn seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) im April 2024 ist hier eine besorgniserregende Entwicklung zu beobachten. Die Importe von Cannabisblüten sind vom ersten Halbjahr 2024 zum ersten Halbjahr 2025 um 407 Prozent gestiegen (von rund 19 auf rund 80 Tonnen), mit weiter anhaltender Dynamik. Dieser Anstieg ist nicht auf einen erhöhten Bedarf bei schwerwiegend Erkrankten zurückzuführen, denn die GKV-Verordnungen steigen bisher nur im einstelligen Prozentbereich. Vielmehr greifen Konsumenten zu Rauschzwecken in erheblichem Umfang auf Medizinal-Cannabis zurück.
Denn wegen des im CanG geregelten Wegfalls des Betäubungsmittelstatus haben sich verstärkt kommerzielle Online-Plattformen etabliert. Dort können Cannabisblüten mit sehr hohem THC-Gehalten per Fragebogen ohne jeglichen oder persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt günstig per Versand bezogen werden. Dies setzt offensichtlich Konsumanreize, schafft zusätzlich neuen Konsum und gefährdet darüber hinaus wegen der hohen THC-Gehalte die Konsumenten. Angesichts des Suchtrisikos, der gesundheitlichen Risiken – insbesondere bei jungen Menschen – und der Tatsache, dass es sich bei Medizinal-Cannabis um ein Arzneimittel ohne arzneimittelrechtliche Zulassung handelt (Non-Label-Anwendung), ist diese Praxis nicht mit der Patientensicherheit und dem Gesundheitsschutz vereinbar.
Bereits bei der Einführung von Cannabis als Medizin im Jahr 2017 war klar, dass es hierbei um eine Maßnahme zur Verbesserung der Palliativversorgung gehen sollte. Die jetzt vorgeschlagenen Änderungen betreffen ausschließlich die arzneiliche Anwendung zur Gewährleistung der Patientensicherheit. Der Zugang zur Versorgung von schwerwiegend erkrankten Patientinnen und Patienten mit Medizinal-Cannabis bleibt dabei vollständig erhalten. Ärzte und Ärztinnen können weiter nach medizinischer Indikation verschreiben und Apotheken Dosierung und Verordnung prüfen.
Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, die oben beschriebene Fehlentwicklung zu korrigieren, indem nicht medizinisch notwendige Verschreibungen und Abgaben von Medizinal-Cannabisblüten ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt unterbunden werden, bei gleichzeitiger Sicherstellung der Arzneimittelversorgung für Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen.
Mit diesen zielgerichteten Änderungen wird gewährleistet, dass die Behandlung mit Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken weiterhin unter kontrollierten und sicheren Rahmenbedingungen stattfindet und die Arzneimittelsicherheit und der Patientenschutz wieder gestärkt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Georg Kippels

