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Erik Marquardt
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Frage von Luisa J. S. •

Frage an Erik Marquardt von Luisa J. S. bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht

Sehr geehrter Herr Marquardt,

ich finde es sehr schockierend, dass an den europäischen Außengrenzen Menschen teilweise ohne fließend Wasser oder einen guten Schlafplatz in Lagern leben müssen. Ich denke schon lange darüber nach, wie man dieses Problem lösen könnte, mir ist bisher aber nichts Gutes eingefallen.

Ein Beispiel: Aktuell geht die Situation in Bosnien-Herzegovina (Stadt Bihać und Umgebung) durch die Medien. Dort sind ca. 900 Leute gestrandet. Sie möchten nicht in Bosnien bleiben und stellen daher dort keinen Antrag auf Asyl obwohl Bosnien sicher ist, kommen aber auch nicht weiter Richtung Deutschland, da Kroatien im Auftrag der EU die Außengrenzen schützt (teilweise sehr brutal und mit rechtlich höchst fragwürdigen Push-Backs).

Ein Großteil der Leute im dortigen Lager sind laut IOM und bosnischen Medien aus Pakistan. Sie haben z.B. in Deutschland eine Anerkennungsquote im niedrigen einstelligen Bereich. Um nach Bosnien zu gelangen, müssen sie mehrere sichere Drittstaaten sowie mindestens ein EU-Land durchschritten haben (Griechenland/Bulgarien), wo sie laut Dublin einen Asylantrag hätten stellen können.

Diese Menschen fliehen vor Armut und Chancenlosigkeit, das ist aber kein Asylgrund. Ich finde das ein riesiges Dilemma.

Sollte man die Menschen trotzdem nach Deutschland holen, damit sie hier einen Antrag stellen und zu > 90% wieder abgeschoben werden müssen? Ist den Menschen damit geholfen?

Selbst wenn sie trotz fehlenden Asylgrundes irgendwie doch bleiben können (Duldung/Untertauchen), haben sie kaum Chancen in unserer hochtechnisierten Volkswirtschaft. Zudem fürchte ich, eine solche Aufnahme verwässert den Begriff "Flucht"/"Flüchtling" und erodiert die Zustimmung der Deutschen zum Asyl (Aufwind für Rechtspopulisten).

Kurz gefasst: Wie beenden wir nachhaltig das Elend an den Außengrenzen OHNE extrem brutale Abschreckungsmaßnahmen und OHNE einfach jeden in die EU hineinzulassen, der hier leben möchte?

Dankeschön!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau S.,
auch mich schockiert es immer noch jeden Tag wie in Europa mit Schutzsuchenden umgegangen wird.
Zu der konkreten Lage in Bosnien-Herzegowina habe ich diesen Text verfasst, der nochmal erklärt, wie es zu einer Lage kommen konnte, in der tausende Schutzsuchende frieren. Auch in meinem Podcast „Dickes Brett“ gehe ich nochmal auf die Frage ein.
Es ist korrekt, dass es sich bei vielen der Schutzsuchenden in Bosnien-Herzegowina um Menschen aus Pakistan handelt und dass die Schutzquote für Menschen aus Pakistan in Deutschland niedrig ist.
Dennoch haben diese Menschen das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren in denen ihr Asylantrag geprüft wird. Und vor allem haben Sie das Recht nicht an der kroatischen Grenze von Beamten verprügelt und widerrechtlich nach Bosnien-Herzegowina zurückgewiesen zu werden. Sie haben auch das Recht in Bosnien-Herzegowina in menschenwürdig untergebracht zu werden. Die EU hat Bosnien-Herzegowina hierfür knapp 90 Millionen € zur Verfügung gestellt. Leider mangelt es bei dieser Frage an politischem Willen und nicht an Geld.
Wir haben in der EU Gesetze in denen solche Fälle klar geregelt sind. Leider halten sich Staaten wie Griechenland, Kroatien oder Ungarn schlichtweg nicht an diese Gesetze. Ich setze mich dafür ein, dass sich das ändert. Leider hat die EU-Kommission bislang kein großes Interesse daran gezeigt die rechtswidrige Praxis der Pushbacks zu sanktionieren. Dabei ist das explizit Aufgabe der Kommission als Hüterin der Verträge. Wenn Staaten so vehement und systematisch gegen EU-Recht verstoßen, müssen wir Druck machen, damit das aufhört. Ein Mittel dafür könnte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen diese Staaten sein. Das wäre folgerichtig, aber leider fehlen dafür derzeit schlicht die Mehrheiten.
Es stimmt, dass nicht jeder Mensch ein Recht darauf hat in Europa zu bleiben. Aber jeder Mensch hat das Recht darauf, dass seine Asylgründe in einem rechtsstaatlichen Verfahren angehört werden und in diesem Prozess auch human behandelt zu werden. Außerdem sollte es neben dem Zugang zum Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte aus Drittstaaten auch Möglichkeit für geringer qualifizierte Menschen aus Drittstaaten geben in Europa legal zu arbeiten. Das ist aber ein anderes Thema.
Mit freundlichen Grüßen,
Erik Marquardt

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