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Doris Wagner
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Frage von Sandra B. •

Frage an Doris Wagner von Sandra B. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Frau Wagner,

auch Ihnen möchte ich meine Fragen, die relevant für meine zukünftigen Wahlentscheidungen sind, nicht vorenthalten - ich würde mich sehr über eine Beantwortung freuen:

Das Griechenland-Thema ist in aller Munde - und mir stellt sich die Frage, nachdem in sämtlichen Umfragen klar ist, wie der Souverän dazu steht, wie die "Volksvertreter", also auch Sie, die in dessem Namen abstimmen sollen, diese Aufgabe wahrnehmen?

Es gibt einige offene Fragen, die ich Ihnen heute deshalb stellen möchte:

Wieviel Geld verliert Deutschland als Gläubiger, wenn es für Griechenland zu einem 100% Schuldenschnitt kommt? Wieviel Geld verliert Deutschland, wenn Griechenland aus dem EURO austritt? Wieviel Geld hat Deutschland unwiderbringlich an Griechenland bis heute gezahlt und um welchen Betrag erhöht sich das, wenn das Hilfsprogramm um 4 Monate verlängert wird? Was bedeutet all das für das deutsche Sozialsystem - und dabei insbesondere auf Themen wie Rente etc.? Bitte beantworten sie diese Fragen mit konkreten Zahlen oder teilen sie mir mit, wenn diese Ihnen nicht vorliegen. Es wäre sehr nett, wenn Sie auf algemeine Antworten ohne Fakten, oder Phrasen, die mir bereits aus der Tagespresse bekannt sind, verzichten könnten. Vielen Dank.

Was mich außerdem natürlich, besonders hinsichtlich meines zukünftigen Wahlverhaltens, interessiert, sind Antworten auf meine folgenden Fragen:

Werden sie der Verlängerung des Hilfsprogramms am Freitagvormittag 27.02 zustimmen ? Wenn ja, unter welchen Bedingungen werden sie der Verlängerung des Hilfsprogramms am Freitagvormittag 27.02 zustimmen?

Es würde mich freuen, auf diese - für unsere Gesellschaft elementaren - Fragen, Antworten zu erhalten. Vielen Dank dafür!

Herzliche Grüße,
Sandra Baumann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrtre Frau Baumann,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Wir, die Abgeordneten der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, haben der Verlängerung des zweiten Hilfspakets zugunsten Griechenlands am 27.02.2015 zugestimmt. Lassen Sie mich erläutern, warum ich das für die richtige Entscheidung halte.

Grundsätzlich gilt: Die griechische Regierung hat die Verlängerung des Ende Februar auslaufenden Programms beantragt und eine erste Liste mit Reformmaßnahmen fristgerecht vorlegt. Die Europäische Kommission, die EZB und der IWF haben diese als belastbaren Beginn für einen erfolgreichen Abschluss der ausstehenden Programmüberprüfung bewertet. Griechenland hat sich dazu verpflichtet, alle Zahlungsverpflichtungen, welche die Vorgängerregierung eingegangen war, gegenüber seinen Gläubigern einzuhalten. Es wird in Absprache mit den Institutionen vorgehen und einen Primärüberschuss erzielen, der im jetzigen wirtschaftlichen Umfeld realistisch und angemessen ist. Mit der Verpflichtung Athens, seine Staatsfinanzen nachhaltig zu verbessern, den Finanzsektor zu stabilisieren, die wirtschaftliche Erholung konsequent anzugehen und Maßnahmen gegen die soziale Krise zu ergreifen, sind alle Bedingungen für eine Verlängerung des laufenden Kreditprogramms erfüllt. Mit der Verbesserung der sozialen Lage in Griechenland, aber auch mit den angekündigten Verbesserungen bei der Steuerverwaltung, der Bekämpfung von Korruption und der Verbesserung der Einnahmen durch die Besteuerung großer Vermögen hat sich die neue Regierung Ziele gesetzt, die wir im Verlauf der bisherigen Hilfsprogramme stets reklamiert haben.

Zur Abstimmung am 27.02. stand die Verlängerung des laufenden Programms um vier Monate bis zum 30. Juni 2015. Das bedeutet, dass weder neue Kredite bewilligt wurden noch zusätzliche Gelder fließen. Die Beträge, die bis Juni noch zur Auszahlung anstehen, sind Teil des zweiten Hilfspakets für Griechenland, das bereits im Jahr 2012 beschlossen wurde.

Ohne die finanziellen Hilfen der europäischen Partner steht Griechenland vor akuten finanziellen Engpässen. Die Verlängerung des zweiten Hilfspakets ist deshalb richtig. Im Gegenzug muss Griechenland die notwendigen Reformen für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Zukunft einleiten. Diese Verbindung zwischen finanziellen Hilfen und sinnvollen und gerechten Reformanstrengungen haben wir in der Vergangenheit immer gefordert und begrüßen deshalb ausdrücklich die Ankündigungen der griechischen Regierung. Allerdings sagen wir auch ganz deutlich: Eine Kurskorrektur ist dringend erforderlich.

Die schwere Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise, in die Griechenland vor über fünf Jahren stürzte, wurde überwiegend durch eine verfehlte Politik in Griechenland ausgelöst. Bei der Wahl im Januar 2015 wurde das alte Klientelsystem abgewählt. Die neue griechische Regierung ist deswegen eine Chance für einen Neuanfang in Griechenland und den Bruch mit der Günstlingswirtschaft. Unterstützt wurde der Wahlsieg von SYRIZA durch Fehler in der nationalen Krisenpolitik und der Politik der Troika und der Euro-Gruppe, welche die Probleme des Landes verschärft und nicht gelöst haben. Der Austeritätskurs ist gescheitert. Griechenland braucht Spielraum für Investitionen in die Zukunft und muss sich dabei auf die Unterstützung der EU verlassen können. Griechenland braucht jetzt mehr Luft zum Atmen. Wir unterstützen die Forderung der neuen Regierung, stärker als in der Vergangenheit an der Problemlösung mitzuwirken, um die Zustimmung in der Bevölkerung für das Reformprogramm zu stärken.

Die Erfahrungen Griechenlands haben mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, dass eine einseitige Sparpolitik, sowie versäumte Strukturreformen und mangelnder politischer Wille nicht nur zu drastischen sozialen Verwerfungen mit Rekordarbeitslosigkeit und um sich greifender Armut führt, sondern durch Schrumpfung der Wirtschaft und Deflation die Schuldenlast sogar noch erhöht. Jetzt muss schnell Vertrauen geschaffen werden, damit wieder mehr in Griechenland investiert wird. Staatliche Hilfsprogramme allein können die Krise nicht lösen, es braucht wirtschaftliche Dynamik. Diese kann nur entstehen, wenn die Unternehmen darauf vertrauen können, dass Griechenland in der Eurozone bleibt.

Die Liste mit Reformvorhaben Griechenlands ist realistischer als bisherige Reformpläne und enthält Ansatzpunkte für eine Neuausrichtung auf eine die Wirtschaft stabilisierende und sozial ausgewogenere Politik. Die Maßnahmen verbessern sowohl die Einnahmeseite als auch die Ausgabenseite des griechischen Staates. Wichtige Strukturreformen zielen auf mehr Transparenz, mehr soziale Gerechtigkeit und weniger Bürokratie. Steuerprivilegien sollen abgeschafft und Steuerflucht sowie Korruption bekämpft werden. Die griechische Regierung zeigt damit, dass sie gerechte und wirtschaftlich sinnvolle Strukturreformen angehen will. Sie wird sich in den kommenden Monaten daran messen lassen müssen, inwieweit die Reformankündigungen auf den Weg gebracht und umgesetzt werden.

Ginge es nach konservativen Hardlinern in Europa und Deutschland, dann würde Griechenland aus der Eurozone ausscheiden. Ein Grexit wäre aber nicht nur für Griechenland und die Eurozone wirtschaftlich verheerend, sondern auch das Ende des europäischen Projekts. Nationale Nabelschau, chauvinistische Parolen und parteipolitisches Kalkül zersetzen die europäische Idee. Dafür war und ist kein Platz in Europa. Es darf keinen Zweifel geben, dass die Mitgliedsstaaten auch künftig zusammenhalten und gemeinsam eine für alle Seiten tragbare Lösung finden. Die Debatten der vergangenen Wochen wurden viel zu stark nach der Logik des Nullsummenspiels geführt: Einer verliert, was der andere gewinnt. Dieses Spiel ist nicht nur zutiefst uneuropäisch, sondern auch extrem gefährlich, da es nationale Fronten verhärtet, statt belastbare Kompromisse zu finden. Wir fordern ein Ende des nationalen Gepolters. Alle Beteiligten müssen zu einem Kurs zurückkehren, der von gegenseitigem Verständnis, Verhandlungsbereitschaft und Solidarität geprägt ist.

Die griechische Regierung sollte nicht nur den eingeschlagenen Weg der Haushaltskonsolidierung beibehalten, sondern auch dringend notwendige Strukturmaßnahmen – auch gegen einflussreiche Klientele – durchsetzen und soziale Maßnahmen gegen Armut und Arbeitslosigkeit ergreifen. Die soziale Situation in Griechenland ist dramatisch. Die vorhandene Flexibilität muss genutzt werden, um die soziale Krise zu lindern. Die angekündigten Schritte in der Reformliste der griechischen Regierung für eine landesweite soziale Grundsicherung, die Überprüfung einer Rückkehr zu kollektiven Tarifverhandlungen mit betrieblicher Flexibilität oder die Ausgabe von Essensmarken als kurzfristig umsetzbare Maßnahme für in Armut lebende Menschen in Griechenland sind dabei wichtige Bausteine.

Die Bundesregierung muss die Chance nutzen, in den nächsten vier Monaten mit der neuen griechischen Regierung die begonnene Kurskorrektur in der Rettungspolitik konsequent weiterzuführen. Dabei muss es um den Abbau der Arbeitslosigkeit und eine bessere soziale Balance gehen. Das ist im deutschen Interesse, denn Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit für Millionen von Menschen im Süden Europas sind gefährlich für Europa insgesamt. Auch Schuldenerleichterungen müssen angestrebt werden. Denn nur so wird eine Rückzahlung des Großteils der Kredite realistisch. Auch die Frage, was Europa insgesamt zusätzlich tun muss, um den Krisenmodus endlich zu verlassen und zu einem nachhaltigen Wachstum zu finden, muss dringend diskutiert werden. Wir halten es für erforderlich, dass neue Impulse für private und staatliche Investitionen gegeben, gleichzeitig die Glaubwürdigkeit der Haushaltskonsolidierung in der Euro-Zone gestärkt und Strukturreformen mit sozialer und ökologischer Ausrichtung angegangen werden.

Mittelfristig muss statt der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF ein Europäischer Währungsfonds unter Kontrolle des EU-Parlaments für die Reformprogramme zuständig sein. Allerdings muss auch bis zur Schaffung eines solchen Fonds die demokratische Kontrolle der Tätigkeit der Institutionen (früher: Troika) deutlich gestärkt werden. Es gilt daneben weiterhin: Finanzielle Unterstützung kann es nicht ohne Kontrollen geben.
Schon jetzt ist abzusehen, dass Griechenland nach den vier Monaten wahrscheinlich weiterhin finanzielle Unterstützung benötigen wird. Für ein drittes Griechenlandprogramm müssen dann gerechte und wirtschaftlich sinnvolle Strukturreformen im Fokus stehen, wie die Modernisierung der Steuerverwaltung, die effektive Besteuerung von Vermögen und ein bürgerfreundlicher, effizienter öffentlicher Sektor. Auch der Kampf gegen Korruption und die Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit werden weiterhin zentral sein. Im Gegenzug müssen Schuldenerleichterungen geprüft werden. Essentiell ist, dass angesichts der hohen Armut und Arbeitslosigkeit sinnvolle Maßnahmen gegen die soziale Krise und für sozialen Ausgleich im Land ergriffen werden. Griechenland braucht dringend mehr Gerechtigkeit.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen unsere Position verständlich und nachvollziehbar erläutern.
Mit besten Grüßen

Doris Wagner