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Danyal Bayaz
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Frage von Holger S. •

Frage an Danyal Bayaz von Holger S. bezüglich Gesundheit

App-Begleitgesetz [1] / Einführung Corona-Warn-App

Guten Tag Herr Bayaz,

ich bin besorgt über die Einführung der Corona-Warn-App und möchte Sie um Unterstützung bitten:

Der Rechtswissenschaftler und Richter am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht Malte Engeler beurteilt die App juristisch als kritisch. Auch der bekannte Journalist Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung [2] steht hinter dem „Vorschlag für ein Gesetz zur Einführung und zum Betrieb einer App-basierten Nachverfolgung von Infektionsrisiken mit dem SARS-CoV-2 (Corona) Virus“, das Ihnen auch als „App-Begleitgesetz“ bekannt sein dürfte. Mit einem solchen Gesetz wird die Zweckentfremdung und der Missbrauch der App verringert.

Ich habe deshalb folgende Fragen an Sie:
1. Wie wird Ihrer Meinung nach sichergestellt, dass die App freiwillig ist und nicht das alltägliche Leben künftig unter einem App-Vorbehalt steht (z. B. Nutzung Supermärkte, Büros, Omnibusse und S-Bahnen, für Gottesdienste, Volkshochschulen, Theater und Restaurants)? Der Konzertveranstalter Deutsche Entertainment AG, DEAG hat bereits diese Woche eine App-Pflicht für Konzerte gefordert [2].
2. Setzen Sie sich persönlich für eine App-Pflicht ein, wenn die App nicht von 60 Prozent der Bevölkerung angenommen wird? Wie steht Ihre Partei zur Freiwilligkeit der App-Nutzung?
3. Wie stellen Sie sicher, dass der Einsatz der App strikt auf die Dauer der Pandemie beschränkt bleibt?
4. Wie stellen Sie sicher, dass die App nicht zum Anfang und zum Ausgangspunkt einer Infrastruktur der Überwachung wird?

Abschließend möchte ich Sie bitten mir mitzuteilen, ob Sie das App-Begleitgesetz unterstützen?

Ich bitte um Beantwortung meiner Fragen, damit ich weiß, ob ich Ihnen auch in Zukunft meine Stimme geben kann/können.

Vielen Dank für Ihre Unterstützung.

H.

[1] https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2020/05/Vorschlag-für-ein-Gesetz-zur-Einführung-und-zum-Betrieb-einer-App-basierten-Nachverfolgung-von-Infektionsrisiken-mit-dem-Corona-Virus-Version-1.0.pdf
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/tracing-app-corona-1.4932256
[3] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/coronavirus-und-veranstaltungen-konzert-organisator-tritt-fuer-app-pflicht-ein-71326420.bild.html

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihr erneutes Schreiben.

Eine „Tracing-App“ („Corona-Warn-App“) zur Nachverfolgung von Infektionsrisiken ist ein sinnvoller Baustein zur Eindämmung und Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Es ist zu begrüßen, wenn die App nach monatelangem Ankündigen von Seiten der Bundesregierung nun endlich vorgelegt wird. Im Zentrum der nur bei weiter Verbreitung in der Bevölkerung effektiven Applikation steht neben der Notwendigkeit höchster Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards die Freiwilligkeit ihrer Nutzung als Voraussetzung für die nötige Akzeptanz. Das haben wir schon Anfang Mai in einem Antrag an den Bundestag detailliert dargelegt. In Sachen Datenschutz und IT-Sicherheit haben wir uns mit unseren Forderungen sehr weitgehend durchgesetzt, bei der Sicherung der Freiwilligkeit muss die Bundesregierung aber noch nachsteuern.

Wir fordern ein Begleitgesetz
Freiwilligkeit verlangt nicht nur Freiheit von staatlichem Zwang, sondern auch Freiheit von faktischem Zwang zur Nutzung und Offenbarung von Daten aus der App-Nutzung. Die Freiwilligkeit würde unterlaufen, wenn etwa sozialer oder wirtschaftlicher Druck, aber auch Arbeitgeber eine Nutzung erzwingen könnten. Deshalb sollte die Freiwilligkeit der Nutzung und Offenbarung von Daten aus der Nutzung der App bestmöglich abgesichert werden durch begleitende Regelungen zum Schutze für Verbraucherinnen und Verbraucher und Beschäftigte. Die Nutzung von privaten wie öffentlichen Einrichtungen, der Besuch eines Shopping-Centers, Dienstleistungen, bereits das Betreten von Geschäfts-, Betriebs- und Veranstaltungsräumen, generell der Abschluss von Verträgen, Arbeits- und Dienstverhältnissen und vieles andere mehr könnten anderenfalls von der Nutzung der App abhängig gemacht werden. Dies liefe vielfach letztlich mangels Alternative und angesichts des Interesses an der Lockerung von Infektionsschutzmaßnahmen auf einen faktischen Nutzungszwang hinaus.

Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir für bestimmte Massengeschäfte regeln, dass niemand deshalb benachteiligt werden darf, weil er keine Tracing-App auf einem Mobilgerät installiert hat bzw. nutzt. Gleiches soll für Arbeitsverhältnisse gelten. Verstöße gegen diese Benachteiligungsverbote sollen mit einem Unterlassungs- sowie einem Schadensersatzanspruch sanktioniert werden. Zudem sollen die Vertragsparteien über diese Ansprüche nicht disponieren können.

Außerdem wird klargestellt, dass die Nutzung oder die Offenbarung von Daten aus der Nutzung der App-Anwendung nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers und dem Weisungsrecht des Dienstherrn unterliegen. Weiter regelt der Gesetzentwurf eine strenge Zweckbindung sowie ein Beschlagnahme- und Verwertungsverbot und sieht die Möglichkeit von Ordnungswidrigkeitssanktionen bei Verstößen vor.

Beschäftigte sollen durch die Nutzung der App auch keine finanziellen Einbußen befürchten müssen. Deshalb soll zweierlei vorgesehen werden: Erstens zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten ein an näher bestimmte Voraussetzungen gebundenes eigenständiges Leistungsverweigerungsrecht der App-Nutzer im Falle der Warnung für den Zeitraum zwischen Warnung durch die App und Testung bzw. infektionsrechtlicher Entscheidung des Gesundheitsamtes. Und zweitens ein vollständiger Ausgleich eines dadurch ggf. entstandenen Verdienstausfalls, auch für Erwerbstätige, die ihre selbständige Tätigkeit ohne angestellte Mitarbeiter ausüben („Solo-Selbständige“).

Höchste Sicherheitsvorkehrungen als Garant für Vertrauen
Die Debatte um die Möglichkeiten digitaler Unterstützung dieser sogenannten Kontaktverfolgung wird seit Anfang März intensiv geführt. Sie fand auch vor dem Hintergrund höchst unterschiedlicher internationaler Ansätze der Pandemiebekämpfung statt. Asiatische Länder wie China, Singapur, Taiwan oder Südkorea verfolgen differenzierende Ziele und Konzepte. Sie werten sowohl individuelle als auch aggregierte Informationen zu Bewegungen der Bevölkerung aus. In Israel nutzt man geheimdienstliche Trackingdaten zum Aufspüren von Infizierten und deren Kontaktpersonen.

Die europäische Herausforderung bestand darin, eine potentiell tief in Grundrechte eingreifende Lösung effektiv mit besten IT-Sicherheitsstandards in Einklang zu bringen. Die ursprünglichen Pläne von Bundesgesundheitsminister Spahn zur Handyortung per Funkzelle im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes waren so unausgegoren, rechtlich umstritten und auch wenig zielführend, dass die Bundesregierung sie selbst nach einigen Wochen verworfen hat. Dies hat einen Korridor für ebenso datenschutzkonforme wie zielführende Maßnahmen eröffnet.

Tracing-App kann bei Eindämmung helfen
Die Corona-Krise stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Außergewöhnliche Krisen erfordern außergewöhnliche Schritte. Aber: Gerade in diesen Krisen bewährt sich der Rechtsstaat. Demokratische Abstimmungsprozesse sind eine Stärke, keine Schwäche. Das hat die Diskussion um die Corona-App gezeigt.

Wir Grüne im Bundestag haben frühzeitig auf die Möglichkeit datenschutzkonformer und zielführender Alternativen hingewiesen. Die Bundesregierung ist in zentralen Fragen umgeschwenkt und so kann die nun vorgeschlagene App-Lösung ein wichtiger Baustein bei der weiteren Eindämmung der Pandemie werden. Mit ihr könnten grundsätzlich Lücken in der Kontaktverfolgung geschlossen, die Benachrichtigung von Kontaktpersonen beschleunigt und das bestehende System effektiviert werden. Sie ist aber gewiss kein Allheilmittel, auch weil nie alle Bürgerinnen und Bürger auf diesem Wege erreichbar sein werden.

Bei dem nun verfolgten Ansatz samt dezentraler Lösung verbleiben alle Kontaktdaten auf den Smartphones der Nutzerinnen und Nutzer. Hierfür haben wir immer wieder gemeinsam mit zahlreichen NGOs geworben, darunter der Chaos Computer Club (CCC). Wir begrüßen, dass die Bundesregierung von der von ihr ursprünglich verfolgten, risikoreicheren, zentralen Lösung abgekehrt ist. Auch, dass man sich entschlossen hat, auf einen Open-Source-Ansatz und die Veröffentlichung des Quellcodes der App umzuschwenken, haben wir begrüßt.

Bundesregierung hat Vertrauen unnötig verspielt
Während wir immer auf Transparenz, Freiwilligkeit, eine enge Zweckbindung, die dezentrale Speicherung und die Bereitstellung des Source Codes sowie die umfassende Einbeziehung und Überprüfung der Technik sowohl durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz (BfDI) als auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gedrängt haben, ließ die Bundesregierung diese Eindeutigkeit viel zu lange vermissen.

So blieb viel zu lang unklar, ob die Nutzung der App – zumindest für bestimmte Personengruppen wie Angehörige von Berufen der kritischen Infrastrukturen – doch verpflichtend eingeführt werden könnten. Entsprechend äußersten sich wiederholt Vertreter der Bundesregierung. Durch immer neue, unausgegorene Pläne wie die einer zusätzlichen Quarantäne-Kontrolle-App hat sie eine weitere Verunsicherung in der Bevölkerung auslöst.

Gesetzliche Regelung kann Vertrauen wieder herstellen
Vor diesem Hintergrund haben wir frühzeitig für eine gesetzliche Regelung zur Corona-App geworben. Sie kann Vertrauen schaffen, klare rechtliche Verantwortlichkeiten, eine enge Zweckbindungen, Löschfristen und zeitliche Befristungen definieren, die Diskriminierung von App-NutzerInnen und Nicht-NutzerInnen ausschließen. Gerade in arbeitsrechtlichen Verhältnissen droht ansonsten eine große Rechtsunsicherheit. Genauso muss der Zugriff von Sicherheitsbehörden auf die Daten klar ausgeschlossen werden.

Anfang Mai 2020 haben wir einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht, der die Bundesregierung zur Vorlage eines Begleitgesetzes zur App aufforderte. Unserer Forderungen haben sich seitdem neben anderen Oppositionsfraktionen auch mehrere Landesdatenschutzbeauftragte, zahlreiche Verbände, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen sowie der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz angeschlossen. Zudem gibt es mittlerweile einen Gesetzesvorschlag der grünen Justizministerinnen und -minister der Länder. Die Bundesregierung lehnt eine Begleitgesetzgebung jedoch auch weiterhin ab.

Dabei hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragte in einem Schreiben an BMG, Kanzleramt und Bundestags-Fraktionen explizit darauf verwiesen, dass sich mehrere Menschen bereits mit Hinweisen auf entsprechende Pläne ihrer Arbeitgeber bei ihm gemeldet hätten. Ein solches Vorgehen stellt ein aus seiner Sicht „unzulässiges Verhalten“ dar, das er für den Fall der Vorlage eines Begleitgesetzes empfiehlt, zu untersagen.

Bundesregierung muss Begleitgesetz schnellstmöglich vorlegen
Die Ansicht der Bundesregierung, es bedürfe keiner gesetzlichen Regelung teilen wir explizit nicht. Sie ist aus unserer Sicht schon juristisch nicht tragbar. Die stets betonte Freiwilligkeit steht längst offen in Frage. Die Bundesregierung wäre nach all dem Hin und Her der letzten Monate und angesichts der Tatsache, dass sich schon jetzt eine große Unsicherheit bezüglich der Nutzung der App abzeichnet gut beraten, durch ein Begleitgesetz offene Fragen zu beantworten und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen.

Wie bei zahlreichen anderen Themen zuvor muss die Bundesregierung auch in diesem Punkt noch einlenken. Tut sie dies nicht, gefährdet sie auch den Erfolg der App. Wir befürchten, dass nach dem Start der Corona-App diese Fragen vermehrt auftreten. Unser Gesetzentwurf liegt vor. Es sieht aber so aus, als wolle die Koalition das Thema verzögern. Einen Tag nach Vorliegen der App haben sich die Fraktionen von CDU/`CSU und SPD im Rechtsausschuss des Bundestages geweigert, einen schnellen Anhörungstermin zu unserem Gesetzentwurf zu vereinbaren. Das finden wir unverantwortlich.

https://www.gruene-bundestag.de/themen/datenschutz/datenschutzkonforme-pandemiebekaempfung

Mit freundlichen Grüßen,
Danyal Bayaz