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Bettina Hagedorn
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Frage von Jan J. •

Warum gibt es kein Handelsembargo gegen Russland?

Hoch geehrte Frau Hagedorn,
ich wünsche mir, dass sie sich für ein vollständiges Handelsembargo gegen Russland einsetzen. Die ist die einzige Konsequenz, wenn man einen Militäreinsatz nicht riskieren möchte. Dieses Video fasst alles sehr gut Zusammen, die Stimmen vieler hängen nun von ihrem Handeln ab. https://www.youtube.com/watch?v=h97J6HLP_j8

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Sehr geehrter Herr. J.,

vielen Dank für Ihre Anfrage, warum es bisher kein Handelsembargo gegen Russland gibt, obwohl es mit dem 24. Februar 2022 und dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine eine absolute Zeitenwende für Europa und weltweit gibt. Es ist Ihnen sicherlich nicht bewusst, aber als Bundestagsabgeordnete KANN ich keinen Einfluss darauf nehmen, ob ein Handelsembargo auf russisches Öl und Gas verhängt wird, denn das ist KEINE Entscheidung, die im Deutschen Bundestag quasi im nationalen „Alleingang“ gefällt werden könnte.  Entscheidungen zu unseren Handelsbeziehungen in und mit Europa entscheidet allein die Europäische Union, da diese politischen Entscheidungen zu Handelsverträgen alle EU-Staaten auf die Ebene in Brüssel übertragen haben, so dass die EU-Kommission und der Europäische Rat allein zuständig sind (Art.206 AEUV). Ein Handelsembargo kann darum nicht (!) im nationalen Alleingang beschlossen werden. Wenn die materiellen Voraussetzungen des Völkerrechts (Art.206, 207 und 215 AEUV) erfüllt sind, kann ein Handelsembargo NUR durch den Rat der Europäischen Union verhängt werden, weil alle EU-Mitgliedstaaten an die gemeinsame Handelspolitik gebunden sind (Art.206 AEUV). Für die Einführung eines umfassenden Handelsembargos wäre auch ein einstimmiger Beschluss nach Titel V Kapitel 2 EUV erforderlich, weshalb die Verhängung eines Handelsembargos auch wesentlich komplexer ist als z.B.  die Verhängung von sofortigen Sanktionen. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben extrem schnell die schärfsten Sanktionen gegenüber Russland verhängt, die jemals verhängt worden sind, und sie behalten sich noch weitere Sanktionen vor. Wichtig ist, dass Deutschland und Europa in voller Übereinstimmung und eng abgestimmt auch mit weiteren westlichen Partnern handelt wie u.a. den USA, Kanada, Großbritannien und Japan.

Diese Sanktionen zielen speziell auf Putin und seine politische Elite, auf die Oligarchen-Clique und die russische Wirtschaft sowie auf die russischen Banken ab, um hoffentlich durch diesen Druck auf die Führungsspitze Putin zum Einlenken, zum Stopp des Krieges und an den Verhandlungstisch zu zwingen. Diese Sanktionen sind nicht gegen die russische Bevölkerung gerichtet, aber natürlich wird auch die Zivilgesellschaft indirekt stark betroffen sein.

Im Bereich des Finanzsektors haben wir 70 Prozent des russischen Bankenmarktes und wichtige staatliche Unternehmen – auch im Verteidigungsbereich – von den wichtigsten Kapitalmärkten abgeschnitten. Zusätzlich schließen wir wichtige russische Banken vom Banken-Kommunikationsnetz SWIFT aus. Transaktionen der russischen Zentralbank werden untersagt. Damit wird die Nutzung eines großen Teils der Währungsreserven Russlands zur Stabilisierung des Rubel-Wechselkurses und zur Stützung von in Schieflage geratener Banken und Unternehmen verhindert. Im Bereich des Energiesektors werden insbesondere Exportverbote für technologische Spezialausrüstung verhängt, die es Russland unmöglich machen, seine Ölraffinerien zu modernisieren. Im Transportsektor werden der Verkauf von Flugzeugen und Ausrüstung an russische Fluggesellschaften verboten. Im Industriesektor wird der Zugang Russlands zu wichtigen Technologien wie Halbleitern oder modernster Software beschränkt. Im Bereich der Visavergabe verlieren Diplomaten und verwandte Gruppen sowie Geschäftsleute ihren privilegierten Zugang zur EU-Einreise. Außerdem schränkt das geltende Flugverbot - d.h. der Luftraum ist für drei Monate für russische Flugzeuge in Deutschland, Europa und auch z.B. in den USA und Kanada gesperrt – die Bewegungsfreiheit der Russen wirtschaftlich wie privat eng ein. Diese Sanktionen zielen auf die russische Wirtschaft und die politische Elite und sind nicht (!) gegen die russische Bevölkerung gerichtet. Sie sind sofort nach dem Beginn von Putins Überfall auf die Ukraine gemeinsam in Europa und in Absprache mit unseren transatlantischen Partnern ergriffen worden. Wir hoffen mit derartigen Maßnahmen Putin von seinem Aggressionskurs abzubringen, denn der Krieg ist eine Katastrophe für die Ukraine, aber auch für Russland selbst und für Europa.

Sehr geehrter Herr Joswich, es ist das erste Mal seit über 80 Jahren, dass auf europäischem Boden ein Land einen großflächigen militärischen Überfall auf ein friedliebendes Nachbarland gestartet hat. Vor allem die Frauen und Kinder erleben unermessliches Leid – ob auf der Flucht oder durch die vielen gezielten Angriffe auf Wohnblöcke und zivile Einrichtungen. Ihnen – und ebenso den vielen mutigen Ukrainern, die ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen und ungeachtet der Gefahr für Leib und Leben sich den russischen Angreifern entgegenstellen -  gelten unsere volle Solidarität und Unterstützung. Der Krieg gegen die Ukraine ist Putins Krieg. Deshalb gilt mein Respekt und meine Hochachtung auch allen mutigen Menschen in Russland, die öffentlich oder im Sinne des zivilen Ungehorsams den Aggressionskurs ihres Präsidenten verurteilen und zur Beendigung des Angriffs auf die Ukraine aufrufen. Auch sie zahlen für ihren Mut einen hohen Preis.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Bettina Hagedorn

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