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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Klaus-Peter S. •

Die SPD will in der EU unbedingt eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung durchsetzen.Wollen Sie das auch erreichen?Unterstützen Sie auch persönlich dieses Vorhaben?

Im Endeffekt sieht das dann so aus,dass wir deutschen Steuerzahler mit unserem Geld die hohe Arbeitslosigkeit anderer Länder finanzieren! Das kann uns als größter Netto- Zahler in der EU nicht auch noch aufgelastet werden.Die SPD sollte das ganz schnell vergessen! Unzumutbar! Deutschland hat nicht zuletzt durch den Wumms und die Bazooka von Olaf Scholz mittlerweile die höchste Staatsverschuldung ever!

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

danke für Ihr Schreiben vom 17. September 2021 hinsichtlich der Einführung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung, da Sie mir damit die Gelegenheit geben, Ihre offensichtlichen Falschinformationen und haltlosen Rückschlüsse sachlich aufzuklären. Ja, ich unterstütze den Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz zur Einführung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung vom Frühsommer 2018 in Meseberg bei Gesprächen der Bundesregierung mit der französischen Regierung voll und ganz und habe dazu auch am 4. April 2019 im Bundestag eine Rede gehalten, die ich Ihnen (in Auszügen) mit diesem Brief gerne zur Verfügung stelle. Zunächst haben die Bundeskanzlerin und die CDU/CSU diesen Vorschlag zwar blockiert, aber als die Corona-Pandemie ausbrach, wurde auf Vorschlag von CDU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf europäischer Ebene im März 2020 der EU-Fonds SURE mit 100 Mrd. Euro für Darlehen an die EU-Mitgliedstaaten beschlossen, der auf dem Prinzip genau dieser Arbeitslosenrückversicherung von Olaf Scholz beruht. 19 EU-Staaten haben seitdem über 90 Mrd. Euro als Darlehen (!) aus diesem EU-Fonds abgerufen und damit die Arbeitslosenversicherungen bzw. die Auszahlung von Kurzarbeitergeld in ihren Ländern während der Corona-Pandemie gestärkt und damit Arbeitslosigkeit verhindert – ein wichtiger Beitrag der Nationalstaaten, um die Wirtschaftsleistung NACH der Pandemie in Europa zu stärken, und ein wichtiger Beitrag der Solidarität in der EU.

Sie irren gründlich: „Wir deutschen Steuerzahler“ finanzieren eben NICHT die Arbeitslosigkeit anderer EU-Länder, weil dieser EU-Fonds ausschließlich Darlehen vergibt, die von den EU-Ländern selbst nach der Krise an Brüssel zurückgezahlt werden müssen. Deutschland wird nichts „aufgelastet“ und Deutschlands Schuldenquote wird dadurch NICHT erhöht. Mit großer Zustimmung zum „EU-Eigenmittelbeschluss“ hat der Deutsche Bundestag vor gut einem halben Jahr zugestimmt, dass die EU-Fonds zur Finanzierung der wirtschaftlichen und sozialen Unterstützung der EU-Länder in und nach der Corona-Pandemie durch EU-Anleihen von Brüssel selbst finanziert (und zurückgezahlt) werden. Schade, dass Ihnen offensichtlich diese historisch wichtige Beschlussfassung des Bundestages total entgangen ist.

Hier finden Sie einen Protokoll-Auszug aus meiner Rede im Deutschen Bundestag am 4. April 2019 zum Thema „Soziale Absicherung europaweit garantieren“:

Link zur Rede in der Mediathek des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7341629#url=aHR0cHM6Ly93d3cuYnVuZGVzdGFnLmRlL21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03MzQxNjI5&mod=mediathek

Es gab in Meseberg auch einen Prüfauftrag für eine Arbeitslosenrückversicherung als EU-Fonds. Das war ein Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz, der in der Bundesregierung bislang zwar noch nicht einhellig geteilt wird – das ist richtig – und der auch nicht – wie die anderen Dinge – im Dezember 2018 auf dem Euro-Gipfel verabredet worden ist, der aber auch nicht in der Versenkung verschwunden ist. Wie gesagt, wir wollen ja noch ein bisschen länger miteinander regieren. Auch wenn die Grünen jetzt in Punkt 8 ihres Antrags diesen Vorschlag quasi abgeschrieben haben, bleibt das Urheberrecht beim Finanzminister. Ich möchte Folgendes festhalten – das hatte ich nicht vor, aber jetzt muss ich es sagen, Frau Kollegin Leikert, weil hier wieder fälschlicherweise gesagt wurde, dass eine Arbeitslosenrückversicherung angeblich ein Weg in die Transferunion ist –:

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das ist so!)

Klar ist, dass es kein Transfersystem ist, sondern ein Rückversicherungssystem mit klaren Regeln als Basis.

(Zuruf des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU])

Klar ist auch, dass es keine Umverteilung – zuhören, Herr Amthor! – zulasten deutscher Steuer- oder Beitragszahler ist. Klar ist, dass ein Anspruch auf ein Darlehen nur diejenigen Länder haben, die selbst in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Es soll einen Anreiz bilden, dass in den Ländern, in denen es noch keine eigene nationale Arbeitslosenversicherung gibt, diese in nationaler Souveränität aufgebaut wird. Damit ist es ein System, das den Respekt vor nationalen Werten gewährleistet.

[…] Ich hatte ja gerade dargestellt, was eine Arbeitslosenrückversicherung ist. Nur die Länder, die eine Arbeitslosenversicherung haben und in diese Rückversicherung eingezahlt haben, haben überhaupt die Chance, etwas herauszubekommen. Das soll dazu beitragen bzw. einen Anreiz bieten, dass Länder, die keine Arbeitslosenversicherung haben, diese aufbauen. Eines ist auch richtig: Es ist kein Geschenk, sondern ein Darlehen. Eine abschließende Bemerkung sei mir noch gestattet. Die Große Koalition – es war allerdings eine frühere – hat in einer großen Krise 2008/2009 gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir das Geld hatten, um das Kurzarbeitergeld zu implementieren, übrigens unter einem Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz. Das hat uns, der Großen Koalition, und Deutschland damals geholfen, gut durch die Krise zu kommen, und das sollten wir doch auch unseren europäischen Nachbarn gönnen.“

Sehr geehrter Herr S., diese Rede habe ich im Bundestag fast genau ein Jahr VOR dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa gehalten, die neben dramatischen gesundheitlichen und gesellschaftlichen auch verheerende soziale und wirtschaftliche Konsequenzen in Europa und weltweit hatte. Kurz vor Übernahme der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Juni 2020 war es darum ein großes Glück, dass der damals schon fast zwei Jahre alte Vorschlag von Olaf Scholz für eine Arbeitslosenrückversicherung als EU-Fonds „in der Schublade lag“ und bereits im März 2020 von Olaf Scholz mit den Finanzministern als 1. Antwort auf die Corona-Pandemie und ihre Bedrohung für Europas Wirtschaft als 540-Mrd.Euro-Fonds aus Liquiditätshilfen (also leihweise!) durchgesetzt werden konnte. Darin waren auch 100 Mrd. Euro für das Projekt SURE enthalten, womit quasi in allen Staaten Europas eine Art „Kurzarbeitergeld“ in der Corona-Krise zur sozialen Absicherung finanzierbar wurde. Dieser Vorschlag wurde dann auch von der CDU/CSU als unserem Koalitionspartner mitgetragen und nicht länger „in Bausch und Bogen“ abgelehnt. 2020 hat dieses Programm SURE in Europa schnell stabilisierend gewirkt. Im April 2020 verkündete dann übrigens Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit Präsident Macron den gemeinsamen Vorschlag eines „EU-Recovery-Fonds“, bestehend aus 750 Mrd. Euro (teils Zuschüsse, teils Darlehen) und finanziert über Kredite, der quasi unsere deutschen Konjunkturpakete zum Vorbild hat. Mit diesem Vorschlag ist Angela Merkel endgültig von der europäischen Austeritätspolitik mit Wolfgang Schäuble (2009-2017) abgerückt, was innerhalb der CDU/CSU bis heute viele interne Kritiker auf den Plan ruft. Aber Fakt ist: Im Deutschen Bundestag hat die CDU/CSU-Fraktion all diesen Maßnahmen zugestimmt.

Abschließend möchte ich betonen, dass mit der europäischen Solidarität – unter anderem durch das Instrument SURE – gerade die Deutsche Wirtschaft, deren Exporte zu 60 Prozent in den europäischen Nachbarländern geordert werden, am allermeisten profitiert: Eine Exportnation wie Deutschland kann eine Wirtschaftskrise nur dann schnell überwinden, wenn es auch den europäischen Nachbarländern und Kunden wirtschaftlich wieder gut geht und der Warenaustausch „brummt“. Die Aufträge aus dem europäischen Ausland sichern deutsche Arbeitsplätze.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Bettina Hagedorn

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