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Bernhard Daldrup
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Frage von Johann D. •

Frage an Bernhard Daldrup von Johann D. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Sehr geehrter Herr Daldrup,

was spräche gegen die Streichung sämtlicher Verbrauchssteuern (Umsatzsteuer, Stromsteuer, Tabaksteuer, Biersteuer, etc.) bis auf die Umsatzsteuer, die dann zur Lenkungswirkung auf diverse Güter in mehr als den derzeit existierenden Steuersätzen von 7% und 19% erhoben wird?

MfG

Diestelberg

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr D.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Entschuldigen Sie bitte die späte Rückmeldung.

Sie konkretisieren leider nicht, was mit Ihrem Vorschlag erreicht werden soll. Die Frage, was eine Systemänderung bringen soll, ist aber nicht unwichtig. Ich nehme daher an, dass Ihre Anregung in erster Linie auf Vereinfachung des Steuerrechts und Bürokratieabbau abzielt.

Es sprechen gleich mehrere Gründe gegen die Streichung sämtlicher Verbrauchssteuern und das Erreichen der Lenkungswirkung über die Umsatzsteuer. Im Folgenden möchte ich nur auf einige dieser Gründe eingehen.

Erstens sind sowohl die Umsatzsteuer als auch viele Verbrauchsteuern in der Europäischen Union harmonisiert – nämlich die Energiesteuer, die Stromsteuer, die Tabaksteuer, die Alkoholsteuer, die Biersteuer sowie die Schaumwein-/Zwischenerzeugnissteuer. Um z. B. die Stromsteuer abzuschaffen, müsste Deutschland zunächst ihre Abschaffung auf EU-Ebene durchsetzen. Alternativ könnte Deutschland die Steuersätze auf das europäische Mindestmaß absenken. Dadurch würden die Verbraucher, die letztendlich die Steuer zahlen, zunächst entlastet und die Einnahmen des Bundes entsprechend geschmälert, eine Vereinfachung des Steuersystems wäre aber nicht erreicht. Der mit der Steuerveranlagung und -erhebung verbundene Aufwand bliebe unverändert. Sollte die Lenkungswirkung dann wie von Ihnen vorgeschlagen über eine entsprechend höhere Umsatzsteuer erfolgen, würde auch der Entlastungseffekt für die Verbraucher verpuffen. Im Endeffekt würde alles beim Alten bleiben.

Zweitens: Selbst wenn wir hypothetisch annehmen würden, dass eine Abschaffung der harmonisierten Verbrauchsteuern in der EU durchsetzbar wäre, wäre so eine Steuerreform kaum aufkommensneutral zu gestalten. Die dadurch entstehenden Steuermindereinnahmen für den Bund, dem das Aufkommen aus den Verbrauchsteuern größtenteils zufließt, wären nur bedingt durch Änderungen bei der Umsatzsteuer zu kompensieren. Allein die Einnahmen des Bundes aus der Energiesteuer (der drittwichtigsten Steuereinnahme des Bundes) betragen jährlich rund 40 Milliarden Euro. Die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSysRL) lässt keine vom Regelsteuersatz abweichenden, höheren Umsatzsteuersätze zu, sondern lediglich „einen oder zwei ermäßigte Steuersätze“ (Art. 98 Abs. 1 MwStSysRL). Um die gewünschte Lenkungswirkung zu erreichen und zugleich Aufkommensneutralität zu gewährleisten, müsste daher der Umsatzsteuerregelsatz so erheblich steigen, dass Deutschland den mit Abstand höchsten Umsatzsteuerregelsatz in Europa haben würde. Dann müsste der ermäßigte Steuersatz ebenfalls entsprechend angepasst bzw. erhöht werden. Dies würde der Harmonisierung der Umsatzbesteuerung in der EU zuwiderlaufen.

Drittens wäre eine solche Reform aufgrund der Verteilung der Steuereinahmen im föderalen System extrem konfliktträchtig.

Es gibt einerseits die sogenannte Gemeinschaftssteuern, wie die Umsatzsteuer, aber auch die Einkommensteuer, die Körperschaftssteuer oder die Kapitalertragssteuer, die zu je rund 42,5 % Bund bzw. Ländern zustehen und zu 15 % den Kommunen. Der abschließende Wert des Länderanteils an der Umsatzsteuer kann nur als ungefährer Wert angegeben werden, weil es einen Umsatzsteuervorwegausgleich vor dem Länderfinanzausgleich gibt. Dabei werden jenen Ländern, deren Aufkommen aus der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und den Landessteuern je Einwohner unterhalb des bundesweiten Durchschnitts liegt, vorab bis zu 25 % des Länderanteils an der Umsatzsteuer als sogenannte Ergänzungsanteile zugerechnet.

Andererseits gibt es Steuerarten, die ausschließlich Bund, Ländern oder Kommunen zustehen. Das Aufkommen aus den Verbrauchsteuern (Energie-, Tabak-, Strom-, Alkohol-, Schaumwein-, Kaffee- und Zwischenerzeugnissteuer) steht grundsätzlich dem Bund zu. Eine Ausnahme gilt für die Biersteuer. Deren Erträge fließen den Bundesländern zu.

Ein Aufschnüren der Verbrauchssteuergesetze würde zeit- und verhandlungsintensive Konflikte zwischen Bund, Ländern und Kommunen um die Bund-Länder-Finanzbeziehungen sowie die Finanzbeziehungen zwischen den Ländern nach sich ziehen, weil Steuereinnahmen des Bundes wegfallen würden bzw. zu Ländern und Kommunen umgeleitet werden und es zu Veränderungen bei den Finanzströmen im Zusammenhang mit dem Umsatzsteuervorwegausgleich kommen würde. Eine langwierige, grundlegende Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen wäre unumgänglich.

Auch das zeigt, dass die von Ihnen vorgeschlagene Umgestaltung des Steuersystems bei unveränderter Lenkungswirkung finanzpolitisch eher mehr als weniger Komplexität nach sich ziehen würde.

Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Daldrup

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