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Beate Müller-Gemmeke
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Frage von Matthias J. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Matthias J. bezüglich Wirtschaft

Viele halten den Umstieg vom Verbrennungsmotor auf Elektro-Mobilität für unvermeidlich. Wie wollen Sie den damit einhergehenden Strukturwandel gestalten? Ich gebe mich nicht mit der Antwort zufrieden, dass der Strukturwandel besser gelingt, je früher man damit beginnt. Mich interessiert, mit welchen konkreten Maßnahmen Sie bzw. Ihre Partei den hiesigen betroffenen Unternehmen (vom Hersteller von Ansaugfiltern bis zum Hersteller von Abgasanlagen) und deren Mitarbeitern eine Zukunftsperspektive sichern wollen.
Nicht zuletzt aufgrund des tatenlosen Zusehens der Regierung beim Ausverkauf der deutschen Solarbranche wäre zudem interessant zu wissen, wie die deutschen Investionen in Batterie- und Antriebstechnik (egal ob durch Steuermittel bezuschusst oder nicht) gegen ausländische Dumping-Angriffe geschützt werden sollen. Unsere deutschen Umwelt-Standards, Sozial-Standards, Arbeitsschutzrechte und Tarifverträge nützten uns nichts, wenn Konzerne diese durch eine Verlagerung ins Ausland umgehen können. Wie wollen Sie verhindern, dass sich einige wenige Investoren auf dem Rücken ausgebeuteter Arbeitnehmer und Naturzerstörung im Ausland eine goldene Nase verdienen und hierzulande immer mehr Menschen nur noch prekäre Arbeitsverhältnisse finden?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr J.,

vielen Dank für die Frage, die auch mich umtreibt. Die größte Herausforderung in der heutigen Zeit ist die Klimakrise. Die Auswirkungen sind heute schon weltweit sichtbar. Wir müssen heute konsequent handeln, damit die nachfolgenden Generationen noch gut auf diesem Planeten leben können. Die Energiewende allein wird dafür nicht ausreichen. Die OECD hat prognostiziert, dass die heute weltweit 900 Millionen Autos bis 2050 auf dann 2,4 Milliarden ansteigen. Und die OECD sagt auch, dass dieses Wachstum nur mit abgasfreien Autos funktioniert. Deshalb brauchen wir dringend eine Verkehrswende und deshalb haben wir Grünen das Ziel gesetzt, dass ab 2030 nur noch abgasfreie Autos zugelassen werden. Nur so kann Deutschland seine Klimaziele einhalten und nur so kann das Klimaabkommen von Paris umgesetzt werden.

Es ist mir bewusst, dass dieses Ziel verunsichert und die Menschen sich Sorgen machen um ihren Arbeitsplatz. Und Sie können mir glauben, dass ich das gerade als Arbeitsmarktpolitikerin sehr ernst nehme. Und doch: Der Abschied vom Verbrennungsmotor ist bereits entschieden. Noch nicht entschieden ist, wo die sauberen Autos der Zukunft gebaut werden. Und wir Grünen wollen, dass diese Autos in Deutschland gebaut werden.

Die emissionsfreie Mobilität steht in vielen Staaten auf der politischen Agenda. Großbritannien und Frankreich sprechen von 2040. Norwegen diskutiert 2025. China will eine Quote einführen. In China und den USA sind bereits heute die Länder, in denen die meisten Elektroautos zugelassen werden. Und deshalb ist unsere politische Zielsetzung mit dem konkreten Datum 2030 notwendig, denn nur abgasfrei hat die Automobilbranche eine Zukunft auf dem Weltmarkt. Die Auto- und Zulieferbranche muss endlich in die Forschung und Entwicklung investieren. Wir wollen das einfach und unbürokratisch mit einem steuerlichen Forschungsbonus von 15 Prozent auf alle Forschungs- und Entwicklungsausgaben für kleine und mittlere Unternehmen fördern. Denn die Firmen, die nicht ausreichend innovativ sind, werden in Zukunft keinen Erfolg haben. Die politische Zielvorgabe zum Umstieg auf emissionsfreie Autos wird damit nicht der Grund dafür sein, dass Arbeitsplätze verloren gehen, sondern im Gegenteil – nur so können Arbeitsplätze gesichert werden.

Es gab bereits viele tief eingreifende Entwicklungen in der Arbeitswelt. Deutschland hat Branchen verloren, wie beispielsweise die Textilindustrie. Die Automatisierung hat zu einem heftigen Wandel geführt. Jetzt geht es um die Verkehrswende und viel stärker noch um die Digitalisierung. Durch den Wandel werden Arbeitsplätze verloren gehen, aber auch neue Arbeitsplätze entstehen. Diese Entwicklung, die im Übrigen nicht von heute auf morgen geht, sondern viele Jahre dauern wird, braucht vorausschauende Rahmenbedingungen. Die betroffenen Branchen müssen ihren Teil zur Bewältigung dieses Wandels durch Innovation leisten. Von Seiten der Politik sind gute Rahmenbedingungen im Bereich der Bildung und Weiterbildung dringend nötig. Durch protektionistische Maßnahmen wird die Autoindustrie aber nicht zu schützen sein, weil sie hohe Weltmarktanteile haben.

Das Problem der prekären Beschäftigung ist ein Thema, das auch mich heftig umtreibt. Aber prekäre Beschäftigung gibt es vor allem im Bereich der Dienstleistung und weniger in der klassischen exportorientierten Industrie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Tarifparteien in der deutschen Fahrzeugindustrie auch in Zukunft gute Tarifverträge mit guten Löhnen und guten Arbeitsbedingungen aushandeln. Notwendig ist dennoch eine politische Flankierung. Wir brauchen in Deutschland insgesamt für alle Branchen wieder mehr soziale Leitplanken. Und deshalb streite ich im Bundestag unentwegt beispielsweise für eine Reform der Leiharbeit (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) und für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Ich setze mich vor allem auch dafür ein, dass die Betriebsräte und die Unternehmensmitbestimmung gestärkt werden. Denn die Mitbestimmung ist ein Garant nicht nur für gute Arbeitsbedingungen, sondern auch für Innovationen. Und das ist nötig, denn Betriebsräte können und sollen den Wandel in ein neues Zeitalter der Mobilität mitgestalten.

Mit freundlichen Grüßen
Beate Müller-Gemmeke MdB

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